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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 10.1896-1897

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Heft 6
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Avenarius, Ferdinand: Das Talent bricht sich Bahn?
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https://doi.org/10.11588/diglit.11731#0095

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doch noch irgend ein spätes Zufnllsglück die rechten
Aufgaben mit rechter Muße, — sehr möglich, daß
feine Kraft dnnn versagt! Da fieht mans, meinen
in solchen Fällen die Klugen, er kann halt doch rüchts
Rechtes, — „sonst hätte sich ja auch seiu Talent läilgst
Bahn brechen müssen!"

Vielleicht seit längerer Zeit und allgemeiner noch
als die Presse ist bis auf wenige vornehme Aus-
nahmen der Buchhandel in Deutschland nur noch ein
Geschäft, das auch allein die geschästliche Ehre kennt.
Das ist ja allgemein bekannt. Aber mail spottet
über den Lyriker, der mit seinen Gedichten vergeblich
hausieren geht. Man würde desselben Lyrikers Ge-
dichte beklatschen, hätte er genug Geld für schöue Aus-
stattung und mächtige Reklame — vorausgesetzt nur,
daß sie weder so schlecht wären, daß sie keinem,
noch so gut, daß sie nur wenigen Menschen Eindruck
machten. Geld muß bei fast jedem buchhäudlerischen
Unternehmen winken, in der Nähe als Beitrag des
Autors zu den Kosten, oder in der Ferne als Absatz
bei den Vielzuvielen. Wer sich, ein echter Förderer
seiner Kunst, seine Gemeinde erst suchen und bilden
müßte, den kann, satls er arm ist, unter deu heu-
tigen Verhältnissen nur ein Zufall oder ganz unge-
wöhnliche Energie dahin bringen, daß er überhnupt
vermag als Dichter an sich weiterzuarbeiten. So
tauchen echte Sterne ins Dunkel, weil mau Papier-
lampions vor sie hängt.

Aber den Buchschreibern gehts ja nicht allein so,
die Bühnendichter sind eher noch schlimmer daran,
denn jetzt sind selbst unsre Hostheater, soferne sie
nicht „Repräsentationsanstalten" sind, fast überall nur
Geschäftslokale. Wer wüßte von einem Fulda, wär'
er kein Millionärssohn, wer aber selbst von einem
wirklichen Poeten wie Gerhart Hnuptmann, hätt er
nicht sorgenlos seiner Poesie leben können, bis das
Kapital erkannte: der Mann ist bar Geld, werden
wir seine Associäs!

Aufsätze mit den Ueberschristen „Dns Geld in
der Schauspielkunst", „Das Getd in der Musik",
„Das Geld in der bildenden Kunst" u. s. w. würden
überall Verhältnisse beleuchten, die denen ähneln, die
wir hier sür die Poeten und Schriststeller nur bei-
spielsweis und ja auch nur ganz oberflächlich be-
trachtet haben. Es wäre Thorheit, alle Schäden un-
seres Kunstlebens nur unter dem Gesichtsminkel der
Geldherrschaft zu betrachten, — es gibt ja, sozusagen,
noch andre Weltgewichte, die diese Planeten in ihrem
Kreisen um die goldene Sonne ablenken und stören.
Glauben aber manche unserer Leser, wir übertrieben,
so wundert uns das nicht. Es ist auch uns ähnlich
ergangen; man hört früh von solchen Einflüssen, aber
sie erscheinen zu ungeheuerlich, als daß man nicht
ganz unwillkürlich sagte: wie ist das übertrieben!

Darin liegt ja, ich wiederhole es, die Hauptgesahr
bei diesen Dingen, daß die ungeheure Maschine ganz
lautlos arbeitet, daß sast alle gezwungen sind, die
Wahrheit zu verheimlichen, die in dem großem Ge-
triebe mitivirken, daß sie gezwungen sind, an emem
wolkengroßen blauen Dunste mitzubrauen, der den
Harmlosen vorgemacht wird. llnd immer wieder
werden von den Verteidigern des Kapitalismus Fragen
gestellt, die nur täuschen können. Was soll z. B. die
Redensart: auch in unserm sozialen Leben gelte halt
nach dem Naturgesetze der Darwinsche Kampf ums
Daseiu. Ach, hätten wir nur auch hier eiueu Kamps ums
Dasein, einen richtigen, wie in derNatur, bei dem die ein-
gebornen Kräfte des einen Menschen mit denen des
andern rängen! Aber auf der einen Seite steht der
Mensch mit, auf der andern der ohne Geld, und
der Mensch ohne Geld unterliegt dem Geldsack, auch
wenn er ats Mensch seinen Gegner im Kampf ums
Dasein spielend besiegen würde. So wird nicht
der bessere Mensch bevorzugt, sondern der
r e i ch e r e.

Der Satz „Das Tatent bricht sich Bahn" gilt
also sür unsere Zeit nicht mehr schtechthin. Wir
müssens uns klar machen, daß rvir alle iu einem
stäten Kampfe gegen die Verderbung unseres Besten,
im eigentlichen Ernst: „unserer heiligsten Güter" stehen
müssen. Lassen wir uns also zunächst einmal nicht
imponieren durch all das Drum und Dran einer
Sache, das Geld kostet. Denken wir nicht, wenn
wir ein Buch glänzend ausgestattet sehen: Das muß
aber was sein, da man so viel daran wendet! Lassen
wir uns nicht imponieren durch Jnserate, Plakate,
Reklamen jeder Art, noch durch das „einstimmige Lob"
so und so vieler Hundert Zeitungen, — die Wasch-
zettel abdruckeu. Glauben wir nicht: was die Theater
geben und gar, was sie „mit senfationellem Ersolge"
geben, bedeute in Wahrheit das Wertvollste unsrer
dramatischen Literatur. Lassen wir uns nicht durch
Preise und Medaillen fangen. Kurz und gut: seien
wir mißtrauisch gegen jederlei Versuche, unser Urteil
zu blenden, halten wir schlechtes Fleisch sür nichts
besseres, wenn es aus silbernen Platten serviert wird.
Ueberhaupt: seien wir m i ß t r a u i s ch gegen die Er-
scheiuuugen unseres öffentlichen Kunstlebens sie klingt
sehr sonderbar, diese Aufforderung, aber wahrlich, sie
bezeichnet unter den heutigen Verhältnissen das erste
Gesetz einer gesunden Kunstpolitik.

Stände es noch viel schlimmer ats es steht, zu
verzweifeln brauchten wir ja noch lange nicht: die
Menschheitsmächte, die in der Kunst zum Ausdruck
ringen, sind denn doch gewaltiger, als aller Kapita-
lismus. Wir habeu die Schwindeleien geglaubt, daß
es all dieseu Herren Literaten, Verlegern, Theater-
und Konzertdirektoren, Agenten, Mode- und Sensa-
 
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