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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 10.1896-1897

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Heft 7
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Der Städtebau heut und ehedem
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https://doi.org/10.11588/diglit.11731#0110

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Beifall gefundea hat. Will man einen Platz, fo
wird halt ein Block unbebaut gelasfen, oder auch ein
Stück Land dazu verwendet, das dort, wo der neue
Plan an die ältere Stadt trisft, in Gestalt etwa eines
Dreiecks halt übrig geblieben ist. Das gottlob wenig
Gehirnschmalz kostende „System" wird dann hübsch
mit dem Lineale durchgeführt, alles immer nach
Möglichkeit in der geraden Linie und mit Betonung
der Schnittpunkte, indem z. B. Kirchen oder Monu-
mente nett in den Schnittpunkt der Diagonalen
! kommen. Aus dem Reißbrert mags leidlich scheinen:
da ist alles gar übersichtlich, sauber und simpel, und
schon mit u, b, o und s, 2, Z läßt es sich, vgl.
eben das glückliche Mannheim, so gut bezeichnen,
daß man ohne weitere Namenkenntnis schnell zu
jedem Block hintupsen kann. Die Wirklichkeit aber
zeigt Einiges, was einige anders wünschten.
Gehst du dic schönen geraden Straßen entlang, so
können darin nicht nur Sonne und Wind oft minder
behindert schalten, als dir lieb, sorrdern dir erscheint
auch all die Akkurntesse bntd etwas eintönig: von
den Häusern zu deiner Seite siehst du nichts, als
was du aus Nasenlänge siehst, von den gegenüber-
liegenden bis aus die drei, vier Bauten dir gerad
^ gegenüber alles auch noch in allzu kühner Verkürzung.
Du kommst auf einen Platz — ja, ist es einer? Jst
es überhaupt ein architektonisches Etwas oder ists
nur ein Loch in den Häusern? Die Straße dehnt
sich darüber ins Ungewisse weiter, bis sie sich im
Stadtdunst auflöst; auch in andere Straßenlöcher
ohne Abschluß siehst du hinein; der Platz ist so weit,
daß selbst die Kirche darauf nicht so stattlich erscheint,
wie sie ist; und gehst du um diese Kirche herum, so
ist allenthalben der Abstand von den Häusern gleich
weit, damit ja keine Mannichfaltigkeit entstehe, sondern
aus allen Seiten nach aller Möglichkeit gleichförmige
Bilder. Steht dagegen keine Kirche im Mittelpunkt,
sondern ein Denkmal, so ist dem unisormierten Bronze-
manne dort ohne Helm augenscheinlich uicht hübsch
zu Mut, obgleich er von seinem Postamente hoch er-
hobenen Degens zu den Droschken hinüberzeigt. Er
steht eben so ganz allein aus weiter Flur, ohne
Rückendeckung, — hat er Platzangst?

Böse Leute sagen, Platzangst sei überhaupt eine
Krankheit, die erst das moderne Stadtbauen gezüchtet
habe: in alten Städten sei keine Gelegenheit dazu,
denn man habe da immer etwas, woran sich zum
wenigsten die Blicke halten könnten. Aus den Plänen
sreilich — ja, da sähen diese alten Städte kraus
darein, sie seien halt nicht mit Zirkel und Reiß-
schienen sürs Papier, sie seien gleich sür Stein und
Holz gemacht. Für ein geschlossenes Stadtbild
sorgten ja ehedem schon die Mauern und Türme.
Und drinnen lebte man mehr aus der Straße als

jetzt. Aus dem Marktplatz um die Brunnen herum,
vor dem Rathause mit der Gerichtslaube, vor der
Kirche, was spielte sich da nicht alles ab! Also
wollte mans gemütlich haben, unter sreiem Gottes-
himmel, aber doch wie in einer Halle. Nicht so klein
durften da die Plätze sein, daß sie wie enge Höfe
bedrückten, aber auch nicht so groß, daß nicht ein
behagliches Rnumgesühl verblieb. Demnach überatl Ab-
schluß gegen außen: so liesen die Straßen ein, daß du
kaum je einmal von einem Punkte aus in mehr nls
eine hineinblicken konntest. Wenn aber schon, gabs ,
doch kein Loch, denn die Straßen bogen sich sanst
und boten so sreundlich Bitd aus Bild, immer
wechselnd zu hundert verschiedenen Ansichten. Aus
dem Plntze nber standen, im Süden wenigstens,
Rathaus uno Kirche hübsch an der Wand zwischen
den Bürgerhäusern: da sah man dann, was sür ein
größermächtig Ding sie waren, nls die Wohngebäude
ringsum; trutzig und wieder traulich stand das Rat-
haus zwischen ihnen, vornehmeren aber gleich irdischen
Wesens wie sie, als ein steinern Spmbot der Heimat
hinieden, und mit stolzem Turm wie daneben das
Symbol der himmlischen Heimat nach oben. Trnt,
im Norden, die Kirche nicht in die Hüuserreihe, so '
wnr daran der Friedhos schuld, der sie ursprünglich
abtrennte vom Markt; ward er eingezogen, so blieb
das Gotteshaus nun allerdings auf sreiem Platz,
aber doch nicht in seiner Mitte, so daß aus jeder
Seite das Platzbild ein andres war. Brunnen aber
und Monumente traten an die Seiten der Plätze, und
nun schauten sie aus den sreien Mittelraum, Häuser
hinter sich, welche somit von ihnen geschmückt wurden
und die ihnen wiederum Hintergrund und Rahmen
gnben, die Angesichter dem Leben zugewandt, das
sich hier, wo kein Wagen stören konnte, erging.

Empsunden hat man das „Malerische" der alten
Stüdte zu jeder Zeit. Aber stets überzeugt, daß erst
das neueste Jahrzehnt den dicksten Bodensatz der
Weisheit in den Lössel gefischt, hat man sür dieses
Malerische alle nnderen Gründe eher gelten lassen,
nls den: die Altvordern hätten etwa das Straßen-
und Platznnlegen besser verstanden als wir. Was
abweichend von einer Regel, von einer geraden oder
doch mckthematisch leicht bestimmbaren Kurve dnstand,
ja, das war eben so, weil mnns nicht besser verstund
— dnß es gut aussah, nun: „wie eben der Zufnll
spielt!" Schon eine Erwähnung hätte zur Bor-
sicht bei solcher Aussassung mahnen sollen: bei den
antik en Anlagen der Griechen und Römer wimmelts
von wirklichen oder scheinbaren Nachlässigkeiten und
Jnkorrektheiten, für die jeder moderne Architekten-
gehilse vom Meister beim geistigen Ohre genommen
würde, andererseits jedoch sinden wir ganz leise Ab-
weichungen vom Schema, z. B. ganz leiie Biegungen
 
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