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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 10.1896-1897

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Heft 7
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11731#0112

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wird ; ich glaube, der Dichter verdankt einen recht beträcht-
lichen Teil seiner Erfolge beim breiten Publikurn denselben
(Äründen, denen Mendelssohn die seinen verdankt. Wie
vieles, was uns bei ihm ehedem schön erschien, erscheint uns
jetzt nur noch elegant; es wird so wenig aus den Tiefen
^ geholt, und nicht das Leben selber gibt den eigentlichen Ge-
halt, sondern ein Gedanken- und Empfindungsspiel über
das Leben. Wie bezeichnend in dieser Beziehung das immer
wiederkehrende Lobpreisen des Dichtens selber, — kein ur-
sprünglicher, kein naiver Poet kennt das, während Geibel
sortwährend auf das „Tönen" im „Busen" aufhorcht und
sein Seher- und Priestertum selber besingt. Da erscheint
dann alles bewußt, und nicht mit den sesten Schritten der
Charakteristik treten die Versfüße auf, sie schreiten dahin
mit den Pas von zierlichen, wohlgemessenen Menuetten
oder auch von heiligen Tänzen. Es mag eine literarische
Pslicht gewesen sein, diesen Band noch herauszugeben, aber
Geibels Ruhm wird er bei den Sachverständigen nicht
mehren. A.

Lin 5^ chlaqwc> rt d e r Z e i t. Ronran von Fedor
von Z o b e l t i tz. Zwei Bände. (Berlin, F. Fontane
L Co. Mk. 8.—)

Ja, Fedor von Zobeltitz, das ist einmal ein Alann,
der hat noch etwas vom Blute des alten Duinas und
Friedrich Gerstäckers in den Adern, und seine Schutd ist
es nicht, wenn heute auf dem Gebiete des Unterhaltungs-
romanes die Damen dominieren. Jedesmal, wenn ich
einen Roman von ihm in die Hand bekomme, macht es
mir Spaß zu sehen, wie frisch und resolut er auf sein
Ziel losgeht; ich glaube, er wäre im stande, wenn es
sein müßte, sämtliche Personen seines Romanes bei kaltem
Blute umzubringen oder auch einen alles glücklich machen-
den Millionenonkel aus Jndien znrückkehren zu lassen,
was sich doch sonst von den Modernen keiner mehr so
recht getraut. Und er ist ein Moderner, kann es wenig-
stens sein, wenn er will: das hat er durch den vorliegen-
den Roman glünzend bewiesen. Da haben wir die mo-
derne unverstandene Frau, die sich, da ihr Mann sie etwas
vernachlüssigt, in einen genialen Bildhauer mit grünen
Augen verliebt, da haben wir eine exzentrische Amerika-
nerin, die sich ihren Anbetern auf ihrem Zimmer als
spanische Tänzerin vorstellt und sie höchst eigenhändig
verführt, nebenbei auch behauptet, daß die Menschen von
normaler Gesundheit ertötend langweilige Exemplare
seien, da haben wir eine moralisch werdende majestätische
Kurtisane — aber ich werde mich hüten, die ganze Reihe
der interessanten Persönlichkeiten, die Zobeltitz das Ber-
liner Pflaster unsicher machen läßt, aufzuzühlen, will nur
noch versichern, daß auch hinreichend anständige Menschen-
kinder in dem Romane vorkommen. Das Schlagwort der
Zeit, das der Roman meint, ist natürlich das Wort
„modern", und Zobeltitz verfehlt nicht, geistreiche Raison-
nements über die Modernität entweder durch den Mund
seiner Personen oder felbständig von sich zu geben, Rai-
sonnements, um deretwillen ihn ein Sudermann beinahe
beneiden könnte. „Ohne die Nerven Rasaels und Canovas
und Dantes und Mussets und Grabbes würden wir heute
auf dein Zivilisationsstandpunkt der Papuas stehen und
nicht aus dem des neunzehnten Jahrhunderts", meint ein-
inal die kluge Amerikanerin, und dergleichen findet sich
noch manches. Das moderne Berlin ersteht vor unsern
Blicken in seiner ganzen Gefährlichkeit, und an der na-
tionalen Philippika, die es verdammt, fehlt es nicht. Es

wird aber auch der Gegensatz eines ländlichen Jdylls ge-
geben, und überhaupt ist der Abschluß des Romanes so
durchaus befriedigend, daß jede Frau sich der interessanten
Lektüre ohne Furcht hingeben darf. Was den Kunstwert
des Zobeltitzschen Werkes anbetrifft, so reden wir

von andern Dingen, schließt passend eine Sonett von
Chamisso. Adolf B a r t e l s.

PcbrtttLu über Ibiterntur.

Geschichte der deutschen Literatur in der
Gegenwart von Eugen Wolfs. (Leipzig, S. Hirzel,
Mk. s.—) (Schluß.)

Die Schachtelei Wolffs bewirkt es auch, daß aus Lin-
dau und Mauthner als der erste Meister des realistischen
Stils nun Otto Ludwig austritt, der nach Wolff seine beste
theatralische (!) Kraft verpuffte, aber aus dem Gebiet der
Erzählung sein Ziel erreichte. Wenn nur jeder deutsche
Dramatiker seine Kraft in zwei solche Werke wie den ^
„Erbsörster" nnd die „Makkabäer" verpuffen wollte!
Ludwigs Erzählungen hat Wolff sehr ausführlich be-
handelt, und das ist unter allen Umständen zu loben.
Nach Ludwig wird Gottfried Keller charakterisiert. „Der
Ausstieg zum realistischen Stil", heißt es da, „bekundet
sich vor allem in der Virtuosität, mit der jede Seelenreg-
ung für die Charakteristik verwendet, mit der sogar (!)
jeder Handlung, jeder Aeußerung ein Zug von dem cha-
rakteristischen Gepräge der vorgeführten Persönlichkeit ge-
geben wird". Als ob nicht jeder Dichter, auch der idea-
listische so verführe! Was die Kunst im allgemeinen
ausmacht, wird hier wieder als Charakteristikum einer
Richtung, eines Dichters hingestellt. Keller wird dann ein
Meister der Kleinkunst genannt. Es ist richtig, daß er über
die Technik der Kleinkunst verfügt und öfter Blumen-,
Frucht- und Dornenstücke, wie man mit Jean Paul sagen
könnte, gibt, aber seiner Gesamterscheinung nach ist er
nichts weniger als ein Kleinkünstler, wie ein Blick lehrt
auf seine vielsach eigentümlich große Lyrik, auf den
„Grünen Heinrich", der nicht die Entwicklung eines belie-
bigen Schweizerjünglings, sondern die des deutschen
Jünglings, also durchaus typisch ist, auf die Gesamtheit
der „Leute von Seldwyla", die eine Welt darstellen, auf
die „Sieben Legenden", die Altertum und Mittelalter
wiederspiegeln. Selbst „Martin Salander" ist kein spezi-
fisch-schweizerisches Produkt, da die in ihm geschilderte
Zeitkrankheit eben nicht spezifisch-schweizerisch ist. Wie man
aber im „Grünen Heinrich" gar Rohes und Schlüpfriges
finden kann, das begreife ich nicht. Sollte Wolff die
Nachtszene mit Judith im Auge haben, so erlaube ich mir
ihm zu bemerken, daß die geradezu keusch ist. Man sollte
doch mit dergleichen Vorwürfen einem Keller gegenüber
recht sehr vorsichtig sein! Gelegentlich der „Leute von
Seldwyla" schreibt Wolff: „Die virtuose Beherrschung des
menschlichen tzerzens (!), die Plastik der Erscheinung, die
künstlerische Farbenpracht — alles ift des Gewaltigen von
Weimar würdig". Vergleiche oben bei Klaus Groth.
Bezeichnend für das Urteil Wolffs ist, daß er die größte
humoristische Leistung Kellers, die „drei gerechten Kamm-
macher", nicht einmal erivühnt. Wolffs Auslassungen übcr
Theodor Storm, Konrad Ferdinand Meyer, Marie von
Ebner-Eschenbach, Theodor Fontane kann man im ganzen
gelten lassen, obwohl sie scharfe Profile nicht geben. Nur
eine Geschmacklosigkeit will ich hier tadeln: „Fontane
hatte sich längst als charakteristischer Vertreter branden-
 
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