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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 10.1896-1897

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Heft 9
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11731#0149

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können. (Lin kräftlger Geist ist es aber nicht, der in seinell
Gedichten lcbt, grotzc Weichheit vereint sich mit ciner be-
stiinnitcn Schwüle, wie sie mnnchen Heine'schcn Sachcn
cigen ist (Todenlririk). A. B.

L'clirtttcn übcr Lttcrntur.

Geschichte dcr lv eltIik eratur u n d des S h eaters
allcrZeiteii uud küölker. Von Julius Hart. Ju
ziuei Bünden. Mit gegen 1000 Abbildungen. lNeudamm,
I. Neumann, geb. Mk. )5.)

Der Gcgenstand, den Julius Hart in diesem nun ab-
gcschlossenen Werke behandelt hat, ist so riesengroß, daß
die leidige Frage Fachmaun oder Laie verstummt — es
gibt keiue Fachmanuer für dic Geschichte der Weltliteratur,
es gibt höchstens welche für einzelne ihrer Abschnitte.
Hosseu ivir alo, daß der akademische Rat in diesern Falle
hart unter den Zugelassenen „dulde", obgleich unzweisel-
haft jeder der Herren iu irgend einem der sünstausend
Häuser dcr Stadt besser Bescheid weiß, als er, und somit,
wie seine Brust ihm sagt, auch zum Führer durchs Ganze
gewiß der bessere Mann gewesen wäre. Zch als Laie muß
bekennen, daß ich keinen befähigtern Mann sür diese
Aufgabe weiß, als dcn, der sie gelöst hat, deun Julius
Hart hat sie in hocherfreulicher Weise gelöst.

Schon bei der Behandlung der ältesten Literaturen
spüren wirs bald, daß hier ein Kopf von eigener Kritik-
fähigkeit zu uns spricht. Schon hier finden wir so gut
wie nirgends die überlieferteu Bewertungen ohne weiteres
nngcnommeu; wo es möglich war, sind sie an eigeuer
Anschauung nachgeprüft worden, ivo ntcht, wird uns doch
nicht verhehlt, was zu Vorsicht und Ziveisel mahnen
künnte. Hart kennt das Rüstzeug, üas die Natur- und
Völkerkunde, die Kulturgeschichte und die moderne Psycho-
logie dem verfügbar hält, der in diese Reiche reisen will,
er hat sich gut damit verseheu und er weiß es anzuwenden
Aber schon in diesen ersten Teilen des Buchs tritt auch
hcrvor, was ihm mehr und mehr doch seinen Hauptwert
gibt: die Besähigung Harts, das künstlerische und dichte-
rische Element aus allen Mischungen zur Untersuchung
und Darstellung loszulösen. Hart leitet aus diese in
allen größeren Literaturgeschichten viel zu sehr vernach-
lässigte Aufgabe auch den Leser immer wieder hin. Er
wendet gelegentlich auch eine seiner kostbaren Seiten da-
ran, eine allgemeinere ästhetische Frage kurz zu erürtern,
ohne deren Verständnis auch die Entwicklung poetischer
Beskrebungen nicht wirklich erfaßt werden kann. So hat
er ein im höheren Sinne pädagogisches Buch geschrieben;
er will die Leser nicht nur unterrichteu, sondern gleich-
zcitig zur rechten Weise der Poesiebetrachtung erziehen.
Und wie ungewollt ergab sich aus solchem Bemühen ein
Drittes: sein Buch ist viel interessanter, viel anregender,
ohne schlechte Nebenbedeutung viel unterhaltender ge-
worden, als es bei rein beschreibender Besprechung der
Literaturgeschichte hütte werden können. Die warmfühl-
ende Persönlichkeit des Versassers, dessen innere Betei-
ligung an seinem Gegenstande allerwärts in Erscheinung
tritt, thut auch das ihrige, den Leser von Anfang bis
zu Ende zu sesseln. Und vortresflich ist es gelungen, auch
bei der Fahrt des einzelnen Schissleins die Einslüsse der
großen Hauptströmungen zu zeigen, deren Krüfte hier
miteinander ringen.

Mögen neue Auflagen bald Gelegenheit geben, Un-
gleichmäßigkeiten der Behandlung zu tilgen, wie sie sich

beim ersten Abfassen eines solchen Buchs ivohl kaum ver-
meiden ließen. Es macht den Eindruck, als hätte Hnrt
den verfügbaren Raum anfangs überschätzt ünd ivüre
nun je nüher gegen das Ende hin je mehr zum Zusam-
menpressen gezwungen gewesen. Unsere deutsche klassische
Literatur, der Faust z. B., ist entschieden im Verhältnis
zu der ülteren zu knapp weggekommen, aber nicht sie
allein. Auch die großen Führenden der modernen Lite-
ratur z. B. könnten aus die Dauer nicht mit so wenigen
Worten abgemacht bleiben, während sich doch im ersten
Bande des Werks recht wohl manches kürzen ließe, ohne
daß der Text zu datentrockenem Aufzählen einschrumpsen
müßte.

Ein Werk wie dieses mehr und mehr der Vollkom-
menheit zu nähern, muß ja eine Freude für seinen Ver-
sasser sein. Es hat alles dazu, um eines der nützlichsten
Bücher unsrer ganzen allgemeinverständlichen Literatur
zu werden, wenn es das nicht schon jetzt ist. So ver-
dienstlich die Scherrsche „Allgemeine Geschichte der Lite-
ratur" sür ihre Zeit war, diese Hartsche steht unvergleichlich
höher. Mögcn die reichen und vernünstig gcwählten
Bilderbeigaben und der verhültnismäßig s e h r billige
Preis das Jhrige thun, die ganz prächtige Arbeit so wcit
wie möglich zu verbreiten. A.

Töeater.

» Mliclttigcrc Hcdausplcluuttüldrungcn.

Dresdeuer Bericht.

Jm Dresdenertzoftheater machtsich zur Zeit ein srischer
Zug zur Befreiung vom Vorbild andererBühnen mehr und
mehr bemerkbar; man wartet nicht mehr nur die Erfolge
an anderen Theatern ab, man zeigt den Mut zu eigenen
Versuchen. Ein solcher Versuch brachte uns ein neues
Schauspiel in drei Akten, „Ewige Liebe" von Hermann
F a b e r. Faber (Pseudonl)in für vr. H. Goldschmidt in
Frankfurt a. M.) ist auf der Bühne keiu Neuling; er be-
sitzt vielleicht, ein wenig altklug, schon zu viel Erfahrung,
aber er ist noch nirgends recht ivarm geworden. Ein
Drama von ihm, „Der sreie Wille", das die Eigennützig-
keit der liberalen Presse an einem an sich leider nicht
ungewöhnlichen Falle — es handelt sich um faule Aktien,
die der Zeitungsverleger an den Mann bringen will —
aufzeigt, errang am Münchener Hoftheater Erfolg. Es ist
eine fleißige und sorgfältige Arbeit, die Tendenz tritt
kaum aufdringlich hervor, zumal sie durchaus nicht an
dem Milieu der Journalismus haften bleibt, sondern ganz
allgemein aufdeckt, was es mit dem sreieir Willen in einem
vom Kapital beherrschten Zeitalter aus sich hat; die be-
liebteu dramatischen Explosionen, die berühmten 8eenes
ä taire, werden fast absichtlich vermieden. Aber merk-
würdig — üder vielmehr höchst begreiflich—: die Bühnen
der Großstädte hielten eine Aussührung des Stückes nicht
für augebracht; sie fürchteten, es mit der Presse zu ver-
derben. Auch in seinem Drama „Ewige Liebe" rückt
Faber einer Fabel der Philisterseelen zu Leibe, denn das
ist doch — abgesehen von den bekannten Ausnahmen -
die ewige Liebe, wie sie sich die Jugend zuschwört. Faber
ist einer vou den Stillen im Lande, kein Revolutionär,
kein Protestler gegen die Allerweltsmoral. Wo er sie
geißelt, da stcllt er sich ein paar Dpfer hin, denen niemand
eine Thräne nachweinen wird. Er schlägt, wie man bei
 
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