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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 10.1896-1897

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Heft 12
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Dresdner, Albert: Der Regisseur
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https://doi.org/10.11588/diglit.11731#0190

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herausgegriffen. Am Schlusse des ersten Aktes der
„Weber" wird die für das gauze Stück überaus
wichtige, die erste Veraulassuug zu der Revolte bil-
dende Thatsache der Lohnherabsetzung mit einer äußer-
sten Kürze mitgeteilt, wie sie literarisch nur möglich
ist, weil man bei der Lektüre nachlesen und überlegen
kann. Theatralisch ist es ganz unerläßlich, daß dies
Moment viel stärker herausgetrieben wird, soll das
Publikum den Zusammenhang erfassen. Die Mög-
lichkeit dazu bietet sich wie von selbst. Da Pseiffer
damit beschästigt ist, die Webstücke in die Regale ein-
zuordnen, so kann er an der betreffenden Stelle leicht
zum obersten Regale hinaufklettern; dies gibt dann
die Veranlassung und das Motiv dasür, daß er die
Mitteilung mit verstärkter Stimme hinabrust, wodurch
— im Vereine mit der gleichsalls" stark zu betonen-
den Bewegung unter den Webern — der Vorgang
zu ausreichender Bedeutung gelangen dürfte. So
naheliegend aber diese Anordnung erscheint, so war
sie doch in den — übrigens nicht schlechten — Weber-
Aufführungen, die ich sah, nicht getroffen und das
Publikum war bei dem Aktschlusse natürlich verblüfft.
Weswegen unterließ es hier der Regisseur, die Jdee
des Dichters theatermüßig herauszuarbeiten? Weil
das Verständnis für die Struktur des Dramas sehlte,
wie sie sich beispielsweise Laube (vergl. das ,Burg-
theater") vor jeder Neuaufführung analytisch und psy-
chologisch klar machte.

Jch habe diesen einzelnen und anscheinend viel-
leicht nebensächlichen Fall zuerst herangezogen, um zu
zeigen, daß es sich nicht um literarische und ästhetische
Sentiments, sondern um sehr reale, praktisch durchzu-
sührende Aufgaben handelt. Was wir Stimmung
oder plastische Krast einer Aufführung nennen, setzt
sich aus einer Reihe solcher Einzelheiten zusammen,
und dieselben Faktoren, die hier zum Fehlerhaften
sührten, beeinträchtigen die Gestaltung von Aufführ-
ungen im ganzen. Nehmen wir z. B. die „Ge-
spenster". Die Gespenster werden gewiß nie ein eigent-
liches Theaterstück werden; sie müssen aber vollends
ganz pathologisch und quälend wirken, wenn man
Oswald nach Krästen in den Vordergrund schiebt.
Jst es nun schon literarisch zu rechtsertigen, daß nicht
Oswald, ein durchweg Leidender, sondern Frau Al-
ving, eine Ringende und Kämpsende, als Heldin des
Stückes anzusehen ist, so ist diese Gruppierung im
Sinne des Theaters ersichtlich unumgänglich. So
muß durch eine möglichst glänzende Besetzung der
Rolle, durch eine breite und krästige Herausarbeitnng
ihrer Szenen Frau Alvings Gestalt in den Vorder-
grund gerückt, Oswald zu ihrem Schicksal in ein mehr
peripherisches Verhältnis gesetzt werden. Statt dessen
wendet der heutige Regisseur alle Ausmerksamkeit aus
Oswald, sucht sür ihn den stürksten Darsteller, gibt

seinen Szenen ein unerträglich langsames Tempo und
bemüht sich auf alle Weise, das Krankheitsparsüm zu
verstärken. So glaubt er recht volle Stimmung zu
machen und erreicht dabei nichts anderes, als daß er
dem Stück den Boden abgrübt. Das Nächstliegende,
Plumpe, Triviale steht eben seiner Auffassung durch-
gängig am nächsten; darüber hinauszugehen sällt ihm
sehr selten ein. Wie er bei diesem Verfahren zu vol-
liger Stillosigkeit gelangt, mag die „Jungsrau von
Orleans" zeigen. Dies Stück umschließt zweierlei
Elemente: ein heroisch-pathetisches und ein lyrisch-vi-
sionäres. Jedes von beiden kann zum Schlüssel der
Jnszenierung gemacht werden. Man kann das Stück
aus den heroisch-pathetischen Ton stimmen: dann wird
es ein prächtiges und lautes Ritter- und Abenteuer-
drama, Johanna im Küraß, großer Krönungsauszug,
„stilechte" Dekorationen. Oder man geht von Johanna
aus: dann muß alles, was sonst sich vollzieht, in
den Dämmerschleier des Empfindens gehüllt sein, in
dem sie, wie eine Traumwandlerin aus schmalem
Steg dahinschreitend, alles sieht. Jst es wahr, ist
es geträumt? Jedenfalls dars die Außenwelt nicht
mit täppischer Aufdringlichkeit sich in ihrer Realität gel-
tend machen, sondern muß als aus Johannas Seele —
auf die es dann allein ankommt — gesehen, hinter
einem leichten Nebel schweben. Dann also lyrischer
Grundzug, Deklamationen und Säbelrasseln gedämpsy
um Himmelswillen nicht durch äußeren „realistischen"
Pomp die Körperlichkeit noch verstärkt, sondern Deko-
rationen, Kostüme, Auszüge u. s. w. nur eben, so weit
nötig, angedeutet, märchenschön. Welchen von diesen
beiden Stilen man zu wählen hat, das wird in erster
Linie von der Natur der sür die Johanna verfüg-
baren Darstellerin abhängen; darnach muß sich das
Ganze richten. Was aber thut der Regisseur? Er
nimmt ruhig die lyrischste, visionärste, psychologisch
zarteste Jungsrau und stellt sie in einen Waffenlärm
und Krönungsprunk hinein, der sie erdrücken muß.
Der Krönungszug speziell ist seit Jffland sür den Re-
gisseur eigentlich das Wichtigste, die Stimmung des
Stücks; und wenn er ganz „modern" ist, dann bringt
er noch in die Massenszenen recht viel meiningisch-
realistisches Leben, — statt sie abzudämpfen und
ihnen eher einen archaisierenden Zug zu geben. Der
Regisseur hat eben schlechterdings keine Empfindung
sür das Stillose, das in dem Nebeneinander gewisser
Künstler, und für das Deplazierte, das in dem Hi-
neinstellen eines Künstlers in eine gewisse Stimmung
liegt. Anstatt entweder von den gegebenen Krästen
auszugehen und ihnen nach Möglichkeit das Stück
anzupassen, oder das Wesen des Dramas zur Grund-
lage zu machen und dazu sich die geeigneten Dar-
steller zu schulen, — statt dessen leimt er fröhlich
alles zusammen, was er hat, wenn es auch schließ-
 
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