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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 10.1896-1897

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Heft 15
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Schwindrazheim, Oskar: Der Gedanke einer deutschen Volkskunst, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.11731#0240

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richtet, so bildet das Kunstgewerbe doch das tragende
Fundament, und so viel ich überblicken kann, sind
aus diesem Gebiete zuerst die Bedingungen sür eine
Umgestaltung zum grundlegenden Teil einer Volks-
kunst genauer sestgestellt worden. Die Fortschritte,
die hier bemerkbar sind, sie sind es, die ich in folgen-
dem einmal zusammenstellen möchte.

Wie stellen wir uns nun ein deutsches Kunst-
gewerbe als Grundlage einer deutschen Volks-
kunst vor?

Man kanns beinahe mit einem Worte sagen:
Gerade entgegengesetzt unserm heutigen Kunstgewerbe.

Wir denken es uns, als gesunde Tochter des
Gewerbes, mit diesem eng und untrennbar verbunden,
nicht wie heute vornehm sich von ihm absondernd,
sondern vielmehr die gesunde Grundlage, die ihr dns
Gewerbe gibt, vergeltend durch rückwirkenden Einsluß
auf die rein praktischen Erzeugnisse desselben. Wir
denken es uns vom einfacheren Gegenstand bis zum
lururiösesten aus einem Gusse, nicht wie heute so.
daß es dem letzteren den Stempel des Protzigen, dem
ersteren den des Fünfgroschenbazarschundes ausdrückt.
Wir denken es uns ehrlich, nicht wie heut, wo es
schlechte Konstruktion durch ausgeklebten Schnörkelkram
verdeckt. Wir denken es uns sähig, auch das Gebiet
des Minderbemittelten mit einem Hauche von Schön-
heit zu verklären, nicht wie heut, wo es ihn un-
weigerlich zum völligen Verzichte daraus verdammt.
Wir denken es uns so, daß auch der Nichtberufs-
künstler es verstehen kann, nicht wie heut, wo eigene
kunsthistorische Studien dazu gehören, seine Formen-
welt zu verstehen. Wir denken es uns so, daß ein
geschickter Nichtberufskünstler, der sür sein Heim aus
Liebhaberei sich etwas zurechttischlert oder schnitzt, in
seinem Geiste arbeiten kann, nicht wie heut, wo er
insolge seiner Stilartenunkenntnis selbstverständlich
kaum etwas Sinngemüßes schassen kann, wo insolge
dessen der „Dilettant" dem Künstler eine über die
Achsel anzusehende Person ist. Wir denken es uns
zeitgemäß, unseren heutigen Bedürsnissen angemessen,
nicht so wie jetzt, wo es uns zwingt, heute Renais-
sance-, morgen Rokokomenschen zu werden, wenn wir
in unsre vier Wände hineinpassen sollen. Wir denken
es uns eigen-lebendig, so daß es ungefesselt, srisch
aus eigenem Schönheitsgesühle schasst, nicht wie heut,
wo vergangene Schönheitsgedanken die eigenen unter-
jochen. Wir denken es uns dabei pietätvoll, so daß
es aus den Werken der Vorväter — und zwar nicht
nur aus den Resten des stüdtischen und hösischen
Kunstgewerbes, sondern auch aus denen bäuerlicher
Kunstsertigkeit — gerne lernt, was an unvergänglichen
Lehren darin zu sinden isk, nicht so wie heut, wo es
einmal einen Raubbau an toten Aeußerlichkeiten
der Vorvüter treibt, das andere Mal aber, wenn die


Mode anders weht, sie verlacht, wie es die büurische
Kunst überhaupt verlacht. Wir denken es uns stetig,
nicht wie heut unstüt hin und her tastend zwischen
diesem und jenem augenblicklich „Modernsten". Wir
denken es uns naturfreundlich, indem es aus unserer
deutschen Natur Formen- und Farbenschönheit lernt,
nicht wie heut, wo es nur in einzelnen Zweigen noch
die Fähigkeit behalten hat, aus der Natur zu lernen.
Wir denken es uns grunddeutsch, nicht wie heut bald
mit Paris, bald mit Japan, bald mit England und
Amerika liebäugelnd. Doch denken wirs uns dabei
nicht dünkelhaft, sondern bereit, vom Fremden Gutes
zu lernen, aber es deutsch umzuprägen, nicht wie
heut, wo das „Echtest-Jmitierte" das Beste ist. Wir
denken es uns so eins mit der deutschen Volksseele,
daß der Grundcharakter der Ausstattung des Baueen-,
des Bürgerhauses wie des Palastes ein und derselbe
ist, nicht wie heut, wo wir einmal glauben, uns in
einem Hause des 15., das andere Alal in einem des
18. Jahrhunderts, das eine Mal in Japan, das andere
Mal in England zu besinden. Wir denken es uns so
eins mit der Volksseele, daß es versteht, auch der Kirche
einen Charakter zu geben, der völlig übereinstimmt
rnit dem Charakter der Ausstattung des Wohnhauses,
nicht wie heut, wo die Kirche einen völlig außerhalb
der sonstigen Geschmacksrichtung stehenden Typus
bildet — wo sie deutlich zeigt, daß unser Kunstge-
werbe noch keinen selbständigen Ausdruck gesunden
hat, der würdig genug erschiene, das Haus unseres
Gottes zu schmücken! Kurzum, wir denken es uns
volkstümlich — vom handarbeitenden Volke bei der
Herstellung jedes Gegenstandes geübt, von allen ver-
standen, von allen geliebt, allen dienend, unserer
Zeit, unseren Bedürfnissen entsprechend, in seinen
Formen einsach, ehrlich, aus dem nationalen Schön-
heitsempsinden und der deutschen Liebe zur Natur
beruhend, sühig, jeden Sondergeschmack zu besriedigen,
sähig, die Sondergedanken jeder Variation des deut-
schen Charakters in diesem oder jenem Landstrich
auszudrücken, sähig, Alles, Haus und Gerät,
Bürger- wie Bauernhaus, Palast wie Kirche niit
gleich volkstümlichem, zeitgemüßem Geiste auszu-
gestalten.

Und trotzdem ich den Volkskunstgedanken unserem
heutigen Kunstgewerbe entgegensetze, sagte ich zu An-
sang des Aussatzes, man könne von Erfolgen oder,
besser gesagt, von Erfolgen auf dem Wege zum Er-
folge sprechen?

Nehmen wir zunächst einrnal unsere neueste
Moderichtung: England schickt uns seine Erzeugnisse,
seine einsachen, gefälligen, praktischen Möbel, seine
mit Naturornamenten gezierten Stoffe, Tapeten usw.
als besreienden Gegensatz gegen unsere formenüber-
schwünglichen „altdeutschen" oder Rokokomöbel und


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