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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 10.1896-1897

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Heft 20
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11731#0327

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Kunst" lechzt! Selbst besserc Maler, mie Schlichting,
der ein Paar „Hach über Paris" darstellt, zeigen in ihren
Bildern keinen seelischen Gehalt und lassen deshalb im
Grunde gleichgiltig. Vollends die Beisetzung Kaiser Wil-
helms I. und die bekannte Szene „Ein Volk, ein Reich,
ein Gott" iverden unter den Händen Westphalens und
Papis zu trockenen Chronikenbildern, gegen die A. von
Werners Darstellungen phantasievoll erscheinen. Eine
unberlinische Neigung zur Phantasie in Hosinanns Art
zeigt Scheurenberg, der einige Mädchen anr Strande
mit entschiedenem Gesühl für die Schönheit der Bewegung
und der Form gemalt hat. Jm Anschlusse hieran ivären
noch Baluschek und Brandenburg zu nennen, von
denen an dieser Stelle ja gleichfalls schon die Rede war.
Damit glaube ieh im großen und ganzen das, ivas sich
auf dieser Ausstellung wirklich Berliner Kunst nennen
darf, umschrieben zu haben. Vielleicht, wäre es in wenigen
Sälen vereinigt, böte es einen würdigen Anblick; so unter
Hunderten von wertlosen Arbeiten verstreut, macht sichs
traurig.

Unter diesen Umständen kann es nicht wunder nehmen,
datz trotz der guantitativ geringen Vertretung andere
Kunststätten einen erheblich günstigeren Eindruck als Berlin
machen. Jst die Zahl der von ihnen gesandten Werke
gering, so sind sie doch in der Mehrzahl beachtenswert.
So schicken aus Worpswede Mod erso h n und O verb eck
Landschaften, mit dencn in ihrer Stimmungssülle, in ihrem
frischen Farbensinne und in dcrganzen Energie des Vortrags
nur sehr wenige Berliner Leistungen sich messen können.
Ueberhaupt erregt es Beachtung und Hoffnung, datz in
Niederdeutschland ein eigener Stil von einer gesammelten
Krast und männlichen Derbheit, von einer urwüchsigen
Frische, die an die See erinnert, sich zu entwickeln beginnt.
Landschaften von der Eigennrt, wie die üer Worpsweder,
sind in unserer Kunst sehr selten. Jn Ahrenshoop in
Mecklenburg sitzt M ü l le r-Kämp f, der sreilich noch nicht
zu gleicher Geschlossenheit der Stimmung, ivie die Worps-
weder, sich durchgearbeitet hat, aber doch durch seine ge-
sunde Kraft wohlthuend auffüllt. Und endlich Mohr-
butter aus Altona, der für die Scherebecker Webschule
schöne Entwürfe geschaffen hat. Von ihm sind einige
Bildnisse da, die ein ganz seltenes und eigenartiges
dekoratives Talent verrnten. Farben und Bewcgungen
schlietzen, wie von selbst, zu natürlicher, dekorativer
Harmonie zusammen ; die Einzelheiten, wieHände u. dgl. m.,
werden vernnchlässigt, aber die Charakteristik ist mit wenigen
Zügen bestimmt gegeben und das Ganze, wie es einmal
ist, jedenfalls eindrucksvoll.

Auch München hat nur wenige, darunter aber sehr
schöne Arbeiten gesandt. Von dem traulichen Keller-
Reutlingen, dem trüumerischen und poetischen Benno
Becker und dem sarbentiefen Otto H. Engel sind
schöne Landschaften da. H. Völcker bringt eine feine
und stimmungsvolle Mondnacht bei ruhiger See. V o l z'
„singende Musen" zeigen sich hier nochmals. VonL enbach
sind einige ganz hervorragende Porträts, vor allem das
des Reichskanzlers Fürsten Hohenlohe, und die hinreitzende
Skizze der Frau von Poschinger zu sehen. Das Haupt-
stück der Münchener bleibt aber wohl diesmal Julius
Exters Himmelfahrt, aus der der von Engeln cmpor-
getragene Heiland, dessen gequülter Leib noch alle Spuren
der Leiden zeigt, mit einem unbeschreiblichen Ausdrucke
seliger Verzückung den Wundern des Himmels entgegen
blickt. Es ist nicht die Himmelfahrt des Triumphators,

sondern die des Glüubigen. Das Bild ist von einer tiefen
seelischen Gewalt und, wenn auch etwas bunt, so doch
sehr krüftig gemalt, der Körper sehr gut charakterisiert, die
Engelchen sind von grotzer Lieblichkeit und voll von andäch-
tiger Versenkung. Alles in allem nehmend, möchte ich dieses
Bild als das interessanteste der diesmaligen Ausstellung
bezeichnen. Es scheint, datz Exter von seiner früheren
Neigung, Farben und Formen zu verschleiern, zurück-
gekommen ist und nun ganz im Fahrwasser seines kräftigen
und gesunden Temperamentes schwimmt. Jrre ich nicht,
so zeigt er jetzt eine gewisse, keincswegs unerfreuliche Ver-
wandtschast mit Corinth. Auch die flotte Dame in rotem
Kleid und blonden Haaren, die das Glas gegen den Be-
schnuer zutrinkend hebt, ist in ihrer srischen Lebendigkeit
ein Zeichen der inneren Gesundung des so lange im
Kreise von Experimenten sich bewegenden Künstlers.

Albert Dresduer.

vernliscktes.

» Litcratur.

Die Barrisons. Ein Kunsttraum zum Kapitel
Zeitsatire von Pierre d' Anbec q. Aus dem Manuskript
übersetzt und eingeleitet von Anton Lindner. sBerlin,
Schuster L Löffler, Mk. z.)

Es gibt Leute, die trotz Biographie, Bildnis, Autograph
und Werkeverzeichnis am Dasein des Herrn Pierre d'Au-
becq zweifeln — ich weitz nicht, ob sie recht haben, mutz
aber sagen: Herr Pierre d'Aubecq verdiente zu leben,
wenn ers nicht thut. Denn ein Stück sehr lustiger Zeitsatire
gibt er schon, nur datz nicht die Barrisons, sondern er
selber die Hauptfigur darin machen, er selber wie er nach
diesem seinem geistigen Bildnisse aussieht. Ueber die
Barrisons und ihre Wirkung nicht nur aus die Lebe-
münner und Roues, sondern auch auf die Kunstgigerln
und Aestheten lietze sich gewitz manches Jnteressante
finden, wenns einem nur wirklich darauf ankäme, diese
Erscheinung zunächst einmal schlicht und ernsthast zu
prüfen, wie jeden anderen zu crörternden Stoff. Aber
das würe freilich ein gerader Weg, und dieser Herren
Leitspruch scheint weitz der Himmel zu sein: nur nicht
auf geradem Wege crreichen, was sich auf krummem
n i ch t erreichen lätzt. Also vollsührt Herr Pierre d'Aubccq
um die Barrisons einen Gedanken-Kankan, als wäre er
ihre sechste Schwester. Was von ivirklichem Geiste dabei
ist jund es ist allerdings wirklicher Geist dabei), mutz man
haschen, wie Motten, und das ist nicht leicht, denn der Herr
Verfasser gehört zu denjenigen unserer 5lopsklowns, deren
Produktionen einen schwindlich machen. Jmmerhin
wird mancher ganz gern diese Betrachtungen darüber
lesen, wie die Barrisons nach d'Aubecq Mallarme, Maurice
Barres, Verlaine, Goya, Baudelaire, Poö, sowie topas-
gelben Cognac und nilgrüne Chartreuse tnnzen mit dem
„Aromatisch-Mondänen des dekadenten Weibes". Schöner
noch mutz es ja freilich sein, das in d'Aubecqs Manuskript
zu thun, als welches „mit giftgrüner Tinte in leidenschaft-
lich-verschlungenen Lettern geschrieben" ist, „eine fast jede
1 cm hoch und ^/4 cm breit." Soll das Ganze etwa
eine Satire auf die Allerneuesten sein^ — Von dcn
Bildern sind Th. Th. Heines Schnörkel in der That
geistreich.

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