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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 10.1896-1897

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Heft 23
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11731#0369

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freilich auch recht gut, daß er koukrete Züge gebeu muß,
weuu seine Bilder lebeu solleu. So gibt er sie, aber
uicht plastisch, sondern wesentlich malerisch, stimmung-
bildend, und sein eigentümlicher fortreißender Schwung
vereinigt sich mit der malerischen Glut zu einer im-
ponierenden Einheit. Freilich, diese Einheit wirkt trotz
allen Glanzes und aller Poesie im einzelnen doch zuletzt
als Einförmigkeit, man glaubt, ein unendlich langes
Musikstück zu hören, in dem alles rippLssion^to über-
schrieben ist. Und da wird man, wenn man zusällig ein
Kritiker isch zuletzt boshaft und fängt auf die gar nicht
cinmal häufigen Fälle zu achtcn an, wo der Dichter aus
seiner Anschauung heraus oder vom Erhabenen ins
Lächerliche fällt. Vor kommt das nntürlich, ein so aus-
gezeichneter Schilderer, ein so vortrefflicher Versbildner
Heinrich Hart ist — iMeräum äoriuitLt bonus ltomerus.
Jmmerhin, es ist doch eine bestimmte Größe in diesem
„Moses" , man könnte von einer kühnen Phantasie über
den alten biblischen Stoss reden. Die Gestalten schaucn
wir nicht klar, aber vorhanden sind sie doch, und gerade
das Nebelhaste läßt sie größer erscheinen, als sie sind.
Dazu dann wieder — wohl ein wenig bewußt gebracht
— ganz realistische Züge, ja, in der Ausfassung sogar
ein modcrner Rationalismus, der aber die menschliche
Bedeutung der biblischen Gestalten nicht zerstört. Selbst,
echt jungdeutsch, Annlogien zu modernen Verhültnissen
finden sich, aber doch weit besser gemacht, als sie die
Jungdeutschen von ^830 bis ^8^8 machten. Die neue
epische Technik, die Heinrich Hart für sein Epos verspricht,
habe ich allerdings nirgends entdecken können. Jn Ge-
sänge teilt er sein Werk zwar nicht ein, gibt vielmehr
kurze Einzelbilder, aber das hat vor ihm lüngst Byron
in seinen kürzeren epischen Dichtungen gethan, an üen
der rnoderne Dichter übrigens auch im einzelnen, in der
Verbindung von Schilderung, Handlung und Dialog er-
innert; wenn serner Heinrich Hart Moses seine Entwick-
lung selber erzählen läßt, statt sie -rb ovo vorzuführen,
so ist das doch wohl eine sehr alte Technik, eben die der
Odyssee. Höchstens die Erweiterung der byronischen
Form könnte man Heinrich Hart zugestehen. Dem Geiste
und Gehalt nach gliedert er sich, das muß ich, um kein
Mißverständnis aufkommen zu lassen, doch ausdrücklich
sagen, in unsere deutsche Entwicklung ganz zwanglos ein.
Er gehört zu der Reihe Alfred Meißner, Moritz Hart-
mann, Rudolf Gottschall und Robert Hamerling, also zu
den Poeten, die über die jungdeutsche Abstraktion, um
das Wort zu wiederholen, aber nicht über die Rhetorik
und noch weniger über die malerische Manier hinaus-
gelangten; Meißners „Ziska", Gottschalls „Göttin",
Hamerlings „Ahasver" sinö üie Eltern der Erzählungen
des „Liedes der Menschheit". Heinrich Hart ist objektiver
als sein Vorgänger, der moderne Realismus ist nicht ohne
Einsluß auf ihn geblieben, aber, wenn auch er und sein
Bruder die „Moderne" eingeleitet haben, es kommt mir
immer vor, als ob sie selber wie Moses das ersehnte
Land zwar gesehen hätten, aber nicht hineingelangt seien.
Um ganz kurz meine Schlußmcinung zu sagen: ein echtes
objektives Epos halte ich überhaupt sür unmöglich, seit
das Volk nicht mehr die Stoffe schafft, aber sehr schöne
epische Dichtungen, die die poetische Kultur unserer Zeit
repräsentieren, können ohne Zweifel geschaffen werden,
und unter diesen dürften die Dichtungen von Heinrich
Hart sicherlich einen hohen Rang einnehmen. Dem Dichter
die Vollendung des Zyklus — einfach durch Kaufen der

Bände — ermöglichen zu helfen, ist Pflicht jedes literarisch
gebildeten Menschen. Adols Bartels.

Ausgewählte Gedichte von Adols Brieger.
Zweite, vermehrte Auslage. (Großenhain und Leipzig,
Baumert L Ronge.)

Adolf Brieger ist erst in spüteren Tagen als Dichter
hervorgetreten, mit seinen Gedichten erst im vierund-
sechzigsten Lebensjahre. Sie scheinen auch wirklich die
Erzeugnisse eines Spätfrühlings zu sein; denn sie berühren
durchaus modern und erinnern an die Poesie der Karl
Busse, Ludwig Jakobowsky u. a., die zwar in der Haupt-
sache die alten Motive verwenden, aber sie,ffoweit wie
möglich durch charakteristisches Detail auffrischen. Sie
erinnern daran, sind aber durchaus nicht Nachahmung
oder Schulpoesie, sondern echt empfundene Dichtung, oft
sehr frisch und hübsch. Charakteristisch für die Art
Briegers ist etwa das folgende Gedicht:

M ärzlied.

Wandelst nun im Abendschein
Durch den blättertosen Hain,

Und die Weidenbüsche neigen
Mit den kätzchenschweren Zweigen
Ueber dich sich sanft herein.

Und die Kätzchen weich und lind
Streicheln meinem trauten Kind
Zart und schmeichlerisch die Wangen,

Die in wärm'rem Rote prangen
Jn des Märzen Abendwind.

Und dein helles Auge lacht,

Eben hast du mein gedacht,

Meinst in kosendem Berühren
Meiner Seele Hauch zu spüren,

Die dich küßt zur guten Nacht.

Man gewinnt aus der Sammlung den Eindruck,
daß es Brieger leicht fällt, seine Empfindungen in Versen
auszusprechen, daß er zu jenen Poeten gehört, die für
alles Töne haben, die darum aber doch nie zu bloßen
Gelegenheitspoeten herabsinken, sondern das Leben in
wirklich poetische Stimmungen einzuhüllen vermögen.

Adolf Bartels.

Bartel Turaser. Drama in drei Akten von
Philipp Langmann. (Leipzig, Robert Friese Sep.
Conto.)

Wie die Leser des Kunstwarts sich vielleicht ent-
sinnen, habe ich vor einiger Zeit auf den Erzähler
Philipp Langmann energisch hingewiesen, zu gleichet Zeit
aber eine augenscheinlich gegen Gerhart Hauptmann ge-
richtete Auslassung Otto Julius Bierbaums, nach der
wir den Proletarierroman großen Stiles und das noch
nicht vorhandene Proletarierdrama vielleicht von Lang-
mann zu erwarten hätten, zurückgewiesen. Nun tritt
Langmann in der That mit einem Proletarierdrama auf,
mit dem dreiaktigen „Bartel Turaser", das dem mährischen
Fabrikleben entnommen ist, und sein echtes Talent er-
weist er ohne Zweifel auch damit. Aber ist das nun
wirklich das Proletarierdrama großen Stiles? Jst es
auch nur dem Kern nach ein Drama? Jn der Fabrik,
wo Bartel Turaser arbeitet, übt der Färbermeister Kleppl
eine Gewaltherrschast; nicht nur, daß er jeds Lohnerhöh-
ung verhindert, er zwingt auch die Arbeiterinnen, ihm
zu Willen zu sein. Turaser hört eines Tages, wie er der
Maria Zelber einen unzüchtigen Antrag macht, es kommt
zum Strike und zur Anklage gegen Kleppl, den die Ar-
beiter so loszuwerden hoffen. Aber die Arbeiter können
den Strike nicht durchsühren, auch bei Turaser herrscht,
da ihm ein Sohn erkrankt ist, große Not. Da kommt



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