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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 10.1896-1897

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Heft 24
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11731#0385

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erste, die „Seebraut" die schwächste, nicht mehr als eine
gewöhnliche Feuilletonhumoreske ist. Von den übrigen
sind noch zwei, „Hans und Heia" und „der gestrandete
Holländer" als Humoresken zu bezeichnen, aber sie sind
es in weit höherem und besserem Sinne, wir folgen den
Kricgs- und Friedensabcnteuern der beiden Seekadetten
mit wahrem Ergötzen. „Auf der Borönner Platte" ist
eine gute, ja ergreifende, ernste Erzählung, die das
mwäig, in vitcl" vortrefflich illustriert, und „Ob er mich
noch kennt?" kann als novellistische Skizze einen hohen
Rang beanspruchen. Das Buch bildet den dritten Band
des neuen Reißnerschen Unternehmens „Deutsche Seege-
schichten", dem wir den besten Erfolg wünschen, da es
den, Gott sei Dank, immer mehr um sich greifenden Be-
strebungen, den Deutschen Heimat und Volkstum wieder
teuer zu machen, entgegenkommt. Wir Deutschen sind ja
immer ein seefahrendes Volk gewesen. A. B.

» Pcbrikten über Litcratur.

Geschichte der dcutschen Literatur. Von Otto
von Leixner. Vierte, vermehrte und verbesserte Auflage,
mit H23 Textabbildungen und 55 teilweise mehrfarbigen
Beilagen. (Leipzig, Otto Spamer, gebd. Ntk. t8.—.)

Die Leixnersche Geschichte der Deutschen Literatur ist
bestiinmt, in weitere Kreise zu dringen; der Verfasser
schlägt darum einen volkstümlich pädagogischen Ton an
und setzt bei seinen Lesern keine gelehrten Kenntnisse
voraus. Aeußerlich ähnelt ste der König'schen Literatur-
geschichte; wie diese bringt sie auch sehr viele Bildnisse,
zeitgenössische Bilder, getreu nachgebildcte Briese, Druck-
und Schristproben aus der jeweilig besprochenen Zeit.
Dic Auswahl dieser Bilder und Beilagen ist gut und
verleiht dem Buche jene lebendige Anschaulichkeit, die
man an derartigen Büchern jetzt nicht mehr missen mag.
Jn Bezug auf den Text steht die Leixnersche Literatur-
geschichte bedeutend höher als die König'sche. Der Ver-
fasscr hnt einen sreieren Standpunkt und geht mehr in
dic Tiefe.

Sehr angenehm ist die Vollständigkeit des Buches,
insofern als der Verfasser ein volles Viertel seines dick-
leibigen Buches dem Jahrhundert widmet und die
Schilderung bis in die unmittelbare Gegenwart sührt.
Er hat für die vierte Auflage „das iy. Jahrhundert einer
tiefgreisenden Bearbeitung unterzogen, wobei das Haupt-
gewicht auf die jüngste Zeit gelegt worden ist. Zur Er-
läuterung sagt der Verfasser erfreulicher Weise in der
Vorrede, er wolle nicht die Ansicht erwecken, daß alle aus
dem Zeitraume von 1870—96 vorgeführten Schriftsteller
bleibende Bedeutung hätten. Die Leser sollen nur zur
tieseren Einsicht in die geistigen Strömungen unserer Tage
geführt und es soll ihnen ein sester Punkt geboten werden,
von dem aus eine Ueberschau möglich ist.

Den Vorwurf, gegen den sich Leixner im Vorwort
wehrt, daß er nämlich den sittlichen Wert verschiedener
literarischer Erscheinungen und den Einstuß auf die
ethische Bildung des Volkes zu sehr betont habe, kann
ich leider doch nicht ganz unberechtigt sinden. Wir wollen
die Wichtigkeit des ethischen Gesichtspunktes wahrlich nicht
unterschätzen, aber wer über Poesie schreibt, sollte, denke
ich, doch schließlich das Aesthetische in die erste Linie
stellen, denn nicht das ethische, sondern das ästhetische
Moment bestimmt ja den dauernden Wert eines Kunst-
werks als eines solchen. Zugegeben sei allerdings, daß
gerade in einem ganz populären Werke für die besonders
starke Betonung der ethischen Werte auch noch besondere

Gründe sprechen. Jm Anschluß hieran bleibt zu
wünschen, daß die wahrhaft Großen unter den deutschen
Dichtern und Schriftstellern noch mehr aus der Zahl der
kleinen Geister hervorgehoben würden und als solche wahr-
haft hervorragende noch eindringlicher gekennzeichnet und
räumlich noch mehr bevorzugt würden. Als solche, trotz
allen Lobes zu kurz Bedachten erscheinen mir z. B. Gott-
fried Keller, Friedrich Hebbel und Otto Ludwig. Wie sie
der Verfasser behandelt, treten sie für den unbewanderten
Leser nicht genug hervor aus tüchtigen, aber ihnen doch nicht
entfernt ebenbürtigen Geistern. Ausführlicher als von
Keller spricht der Verfasser sogar von sich selber. Gewiß
hat sich Leixner dadurch ein Verdienst erworben, daß er
schon ;886 eine eingehende Kennzeichnung der neuen
Bestrebungen gab — rechtfertigen diese und andere seiner
Arbeiten aber wirklich eine so eingehende Behandlung
seiner selbst in einer modernen Literaturgeschichte?

Trotz solcher Bemängelungen darf ich dem Leixnerschen
Buche nachrühmen, daß es die gediegene und ehrliche
Arbeit eines einsichtigen, sleißigen und vielbeleseven
Mannes von gebildetem Geschmack ist, welche ihre Haupt-
aufgabe „die Liebe zur heimischen Dichtung und zu deut-
schem Wesen im deutschen Hause zu wecken, zu mehren
und zu besestigen", recht wohl erfüllen wird. Das Leixner-
sche Buch ist schon srüher im Kunstwart, insbesondere zu
Geschenken an jüngere Leute warm empfohlen worden,
denen man früher die ganz und gar minderwertige
König'sche Literaturgeschichte zu schenken pslegte. Jch kann
auch hinsichtlich der neuen Auflage diese Empsehlung nur
wiederholen. j)aul Schumann.

^ Mcber ästbetiscbc Ikrltik bct Dicbtnngen
veröffentlicht HubertRötteken in den Beilagen zur
Allgemeinen Zeitung eine eingehende Studie, aus der
wir versuchen wollen, die leitenden Sütze herauszu-
lösen. Nach einer Einleitung, in der er die Unzulünglich-
keit des Aburteilens nach u priori angenommenen ästhe-
tischen Gesetzen, ebenso wie nach rein subjektiven Empfin-
dungen darlegt, versucht Rötteken auf Grund der kriti-
schenBetrachtung dieses persönlichen Eindrucks
zu Maximen zu gelangen, deren Anwendung unserem
Privaturteil eine gewisse objektivere Gültigkeit geben könnte.

Unser Bewußtsein vermag nur einige, sehr wenige,
hinter einander gegebene Vorstellungen zu einem koexi-
stierenden optischen Phantasiebilde mühelos anzuordnen.
Daraus ergibt sich die Regel: der Dichter darf bei Be-
schreibung eines sichtbaren Gegenstandes nur sehr wenige
Züge anführen, mehr würden verwirren und langweilen.
Aber wenn ich diese Regel auf eine bestimmte Stelle
einer Dichtung anwenden will, so stutze ich sofort mit
der Frage: wieviel sind denn das nun, die sehr wenigen,
sind das z oder oder 5 oder 6? und vergebens sehe ich
mich in meinem Regelbuche nach einer näheren Bestimmung
um. Eine solche ist auch im allgemeinen gar nicht zu
geben: es kommt aus die Kompliziertheit der einzelnen
Vorstellungen, die vereinigt werden sollen, es kommt auf
allerlei sonstige Umstände an, die in jedem einzelnen
Falle verschieden sind und die sich gar nicht alle im Regel-
buche aufzählen und so genau definieren lassen, daß man
den einzelnen Fall danach abmessen könnte. Vielmehr,
ob in dem einzelnen Falle der Dichter zu viel Züge ge-
geben hat, das sagt mir nur die Ersahrung, die ich in
meinem Bewutztsein über den Fall mache. Wir sehen:
die Norm, die wir in die Hand nahmen, um damit wie
mil einer Elle zu messen, sie ist nur ein Schema, unter


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