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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,2.1905

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Heft 13 (1. Aprilheft 1905)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11879#0052

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amtentochter aus dem Oesterreich
des Jahres s8^7 zeigen, wie die
gedrückten nnd dumpfen Verhältnisse
jener Tage üie frische Daseinssreude
eines jungen Blntes ersticken müssen,
das da wähnt, sich gegen die liebe-
dienerische Henchelei und demütige
Ergebenheit seiner Umgebung aus-
lehnen zu können, weil es die erste
Leidenschaft in sich sühlt. Mit Be-
hagen versenkt sich Bahr in die
Schilderung. Zumal die Familie des
Landschaftssyndikus Trost sehen wir
bis auss J-Tüpfelchen genau: den
reichen, einst so tüchtigen und ein-
flußreichen, jetzt sast trottelhaften,
aber immer noch weibslüsteren Hof-
rat a. D., den tyrannischen Erb-
onkel; den gutmütigen schwachen
Vater; die in der Sorge ums täg-
liche Brot und die Reputation des
Standes bis zur lieblosen Härte er-
starrte Mutter. Und endlich die drei
Töchter: die älteste, schon um ihr
Glück betrogen, hat bitter verzichtet;
die jüngste frühreise schielt nach
verbotenen Früchten; die mittlere,
Sanna, ganz erste junge Liebe, ist
selig blind gegen alle Hindernisse
und Widerstände dieser Welt. Auch
als der Erbonkel, wie vorauszu-
sehen, die Kaution sür den Leutnant,
ihren Geliebten, verweigert, zeigt sie
sich nicht einmal sonderlich erschüt-
tert. Der Geliebte wird ihr nun,
so träumt sie, die Hand zur Flucht
reichen, sie an sich reißen, auch er
entschlossen zum Aeußersten, wie sie
selbst sich ihm bedingungslos gibt,
und die Kerkerwände, an denen
sie sich jetzt noch die Flügel zer-
schlägt, werden auf einmal durch-
brochen sein. Sie täuscht sich. Der
Leutnant ist nicht der Mann, die
Widerstände des Hauses zu brechen,
geschweige denn die böse Meinung
der Gesellschaft in die Schranken
zu rufen. Verzicht dünkt ihm das
bessere Teil der Tapferkeit. Einen
Augenblick starrt Sanna ratlos und

ungewiß ins Leere; sie begreift die
Welt nicht, die eben so jäh all ihre
Träume zerrissen hat. Als dann
aber ein älterer, von den Eltern
begünstigter Bewerber in Rang und
Würden sich ihr nähert, um die
wehe Erschütterung der Enttäuschten
für sich auszubeuten, da weiß sie,
daß gleich Üer älteren Schwester
auch sie auf dem Altar der bieder-
männischen Standesvorurteile ge-
opfert werden wird, wenn sie sich
nicht selbst zu befreien weiß. Ein
Sturz aus dem Fenster — befreit
sie. Alle wetteifern, voran der be-
gehrliche Freier, dann der Hofrat,
dem ihr Glück mit 5000 Gulden
zu teuer erkauft schien, den Eltern
ihr Beileid zu bezeugen; niemand
aber sucht bei sich die Schuld. Nur
der alte, wirr gewordene Vater ahnt
etwas von der mörderischen Ge-
walt des Götzen, dem diese zagen
Philister alle tributpflichtig sind.

Hätte Bahr dramatische Kraft ge-
nug, dies tragische Schicksal einer
vom Bedientensinn der Zeit erdros-
selten jungen Mädchenseele zu mensch-
licher Fülle und Tiefe herauszu-
arbeiten, so würde sein Schauspiel
auch uns Kindern einer andern Zeit
noch genug zu sagen haben. Statt
dessen verstrickt er sich in der pein-
lichen Schilderung des pretiösen Lrie-
n-Lrne, das längs den Wänden steht,
und liebäugelt mit Nebensachen, die
vom eigentlichen Thema weit ab-
führen. Und das noch dazu in einer
so gespreizten und anspruchsvollen
Manier, als sei er Shakespere, Jbsen
und Maeterlinck in einer Person.
Gleich der erste Akt, der doch nur
vorbereitende Bedeutung hat, stelzt
in einem so seierlichen Tempo einher,
daß man wunder glaubt, welche
Offenbarungen unser da warten.
Dabei fehlt seinem Jnstrument alle
Modulation; bis zur Ermüdung geigt
er immer nur aus der einen senti-
mentalen Trauersaite. Von dem Jn-

s. Axrilhesl s905 39
 
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