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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,2.1905

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Heft 15 (1. Maiheft 1905)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11879#0210

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A Neue Bücher unL Sam-
melwerke über Schiller
Zwischen notwendigen und über-
slüssigen Büchern sollte grade bei
Gedenkseiern, die sich dem äußeren
Anlaß hundertjähriger Wiederkehr
von Lebensdaten angliedern, eine
klare Grenze gezogen werden. Den
Schwerpunkt solcher Feiern gibt die
Frage: kann der Gefeierte noch als
kulturelle Triebkraft wirksam sein?
Kann er zum Vorwärtskommen hel-
fen? Wenn die Frage um Schiller
geht, tönt es: Ja und Nein. Das
Ja, das sich ehrfurchtsvoll auf über-
lieferte Meinungen stützt, hat immer
noch ein breites Publikum; aber
wenn es schon laut genug hinaus-
gerusen wird, so fehlt dem Klange
doch die Tiefe, die neu ist. Es
kommt auch nur vermeintlich gegen
das Nein auf, das aus dem neu-
gewordenen Leben und seinen neuen
ideellen und künstlerischen Forderun-
gen gewonnen wurde. Aber nun
macht sich ein ganz neues Ja auf,
ein Ja von lebendiger Krast, das
eben diesem Neugewordenen ent-
stammt. Und das stützt sich gar
nicht vornehmlich auf die Dokumente
des ideellen und künstlerischen Schaf-
fens dieses Menschen, sondern eben
auf den Menschen selbst: Schiller
als Gesamtpersönlichkeit!

Alles, was persönliche Kultur
hat, kämpft um den Ausgleich seiner
Jnnenwelt mit den widerstrebenden
Kräften und Eigenschaften der Um-
welt. Das Bewußtsein vom Werte
des Wesens der Persönlichkeit hat
sich im Ringen eines Jahrhunderts
außerordentlich geschärft. Es gibt
breiten Massenbewegungen die Stoß-
kraft. Das harmonische Entwickeln
des ganzen Menschen ist Schlagwort
geworden. Die Goethefeier vor sechs
Jahren pries das Glück Goethes,

diese Harmonie für sich erobert zu
haben. Und nun wird Schiller ein
neues Mittel, ein in der zeitlichen
Gegenwart sich gestaltendes Ziel zu
betonen. Er war gleich Goethe ein
Glücklicher, der sich das Leben zwang:
er setzte sich durch, er gewann die
Möglichkeit, sich ganz zu entfalten,
sich in allen Teilen mit ganzer
Kraft zu geben. Er überwand die
Hemmungen, die Abhängigkeiten, und
deshalb wurde jedes Werk eine
frische, aus sich quellende Tat. Wir
gewöhnen uns immer mehr, die
Werke nicht mehr als Vorbild, son-
dern ohne diese in Abhängigkeit
hineinzwängenden Nebenabsichten als
persönliche Tat zu uehmen. So aber
kommen wir dem Menschen Schil-
ler nur um so näher, und was Ver-
einzelte schon früher empfanden, das
kann nun vielen wie ein heller Stern
aufgehen: die innere Verwandtschast
der energischen Seele Schillers zu
dem seelisch Besten, das unsre Zeit
mit bewegenden Kräften erfüllt. Wir
können und dürfen nicht Schiller
deshalb gleichsam als einen Men-
schen unsrer engen Zeit betrachten.
Das ist er eben nicht, auch schon
so manches aus seinen Werken ist
der lebendigen, ursprünglichen Wirk-
samkeit verlustig gegangen. Aber
alles Fortschreiten der Kultur voll-
zieht sich in sprödem Wachstum,
das Jahrhunderte durchwebt und
umspannt. Und so gehören auch
wir noch zu jener Periode, aus der
der deutsche Klassizismus sich als be-
sondere Epoche abhob. Das Mensch-
werden, das der Sehnsucht und der
mahnenden Kraft der besten Geister
jener Zeit des achtzehnten Jahr-
hunderts vorschwebte und sich in
einzelneu Starken bereits erfüllte,
baut sich heute auf demselben, aber
gekräftigten Wurzelgrunde mit brei-

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