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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,2.1905

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Heft 18 (2. Juniheft 1905)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11879#0358

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umsetzen und die bescheidenen eigent-
lichen Entdecker um Ruhm und Geld
bringen. Vergleichungen sind sörder-
lich, wenn das zur Erklärung Her-
beigezogene selbst cklar ist. Aber daß
beispielsweise der Erfinder des Luft-
ballons ein eigennütziger Verwerter
der Entdeckung von den Gewichts-
unterschieden der verschiedenen Luft-
arten oder Gase ist, darf man eben
nicht ohne weiteres als klar hinstellen.
Ebensowenig ist klar, daß Carlhle
oder Emerson sich zur strengen phi-
losophischen Wissenschaft verhalten,
wie etwa der Erfinder der Schweizer-
pillen oder des Odols zur wissen-
schaftlichen Chemie.

Aber die Ausgaben, die gerade
für die Gegenwart am wichtigsten
sind, werden überhaupt nicht von der
Wissenschaft gelöst. Es scheint sogar,
als wirke die „spezifisch" wissenschaft-
liche Geistesrichtung der Lösung sol-
cher Aufgaben, die über die Ar-
beit im einzelnen „Fach" hinaus-
gehen, eher entgegen, als mache die
„spezifisch" wissenschaftliche Ausbil-
dung für sie sogar ungeschickt. Ja,
so sehr scheint das der Fall zu
sein, daß, wenn einmal ein Wissen-
schaftler sich an derartige Aufgaben
macht, er selbst nicht selten die be-
sonderen Tugenden des Wissenschaft-
lers, z. B. Gewissenhaftigkeit und
Gründlichkeit, erst abzulegen für nötig
hült. Was dann übrig bleibt, ist der
Fachgeist des Spezialisten, der seine
Selbstbeschränkung auf ein Fach zur
Besserwisserei in allen Fächern um-
gewandelt hat. Da Leute dieses
Typus zu ihrer Zeit ebenso geseiert
werden, als schnell verschwinden, so
könnteu wir als bekannt nur solche
nennen, die heute leben; die von
gestern kennt man nicht mehr. So
nennen wir lieber Typen der ent-
gegengesetzten Art: Goethe, Car-
lyle, Emerson, Nietzsche, Lagarde —
nein, sie sind nicht Popularisatoren
der Arbeit, im „Engen", der Wissen-

schaft „mit auf die Wissenschaft ge-
bundenem Blick".

Die wichtigsten Aufgaben, die in
der Gegenwart zur Lösung vrängen,
sind gar nicht wissenschastlicher, sie
sind praktisch-geistiger Art. Sie unter-
scheiden sich von den Theorien und
sie sind nicht unwichtiger als die
Theorien. Wir wollen sie uns nicht
schmähen lassen. Sicherlich, ihre Lö-
sung arbeitet mit den Ergebnissen
der Wissenschaft. Aber diese wissen-
schastlichen Ergebnisse sind nicht ohne
weiteres das Hohe und Vornehme.
Man kann sogar sagen: was die
Wissenschasten arbeiten, das ist erst
als Vorarbeit für diese Lebensarbeit
von Wert, die der Einzelwisseuschaften
Ergebnisse schöpferisch zusammenfas-
sen will zu einem Ganzen; es ist
erst ein Herankarren des Baustoffs,
aus dem das große Haus gebaut
und gedichtet werden soll, auf welches
wir warten. Gr G

A Adolf Stern
seiert am Juni seinen siebzigsten
Geburtstag. Er ist in der letzten
Zeit regelmäßiger Mitarbeiter des
Kunstwarts geworden, aber das darf
diesen natürlich nicht abhalten, jetzt
einen Blick auf die ungemein reiche
Lebensarbeit des Literaturgeschicht-
schreibers und Dichters zu werfen.
Stern ist meiner Meinung nach eine
der stärksten ästhetischen Begabungen,
die wir gegenwärtig haben und seit
langem gehabt haben, von einer sel-
tenen Weite und Feinheit der ästhe-
tischen Empfänglichkeit, von gcoßer
Klarheit und Tiefe des ästhetischen
Urteils. Er darf von sich sagen, daß
er auch nicht eine der hervorragen-
den Erscheinungen, die in deutscher
Dichtung während des letzten halben
Jahrhunderts hervorgetreten sind,
verkannt, ja, daß er alle in ihrem
Wesenskerne sast sofort erkannt habe:
Willibald Alexis, Edirard Mörike,
Richard Wagner und Friedrich Heb-

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