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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,2.1905

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Heft 18 (2. Juniheft 1905)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11879#0359

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bel, Otto Ludwig und Gottfried Kel-
ler, Theodor Storm und Theodor
Foutane, selbst noch Gerhart Haupt-
mann und Halbe sind von Stern in
ausgezeichneten Essays und gediege-
nen Ausführungen in zahlreichen lite-
raturhistortschen Werken dem deutschen
Volke näher, oft gar zuerst nahe
gebracht worden; sür Hebbel und
Otto Ludwig im besonderen ist Stern
der zäheste Vorkämpfer gewesen uni)
hat die Generation, die heute auf
der Lebenshöhe steht, zu ihnen ge-
führt. Wie meist verknüpft sich auch
bei Stern mit der ungewöhnlichen
ästhetischen Rezeptivität eine schätzens-
werte Produktivität: er hat anßer
lyrischen Gedichten, die zu der den
Lebensweg wahrer Dichter meist be-
gleitenden tagebuchartigen Gefühls-
lyrik gehören, einige Epen, von denen
ein „Gutenberg" das bedeutendste
ist, zwei moderne Romane, aber vor
allem zwei geschichtliche Romane und
eine Fülle geschichtlicher Novellen ge-
schrieben, die bedeutsam sind durch
ihre sarbensreudrge Phantasie und
ihre plastische Kraft. Der Stil der
Novellen Sterns ist allerdings „ge-
bildet", so ähnlich, wie der Heyses
gebildet ist, der Eindruck des Ur-
sprünglichen und Unmittelbaren wird
nicht immer erreicht, obgleich die
Dichtungen nicht etwa aus zweiter
Hand, sondern eigen geschaut sind
und auf starker historisch-poetischer
Begabung beruhen. Aber es wäre
sehr unrecht, darüber Sterns Bild-
kraft und den oft leidenschaftlich be-
wegten Lebenshintergrund der No-
vellen und anch der beiden histori-
schen Romane zu verkennen, von
denen „Die letzten Humanisten" als
Darstellung derResignationsstimmung
der siebziger und der beginnenden
achtziger Jahre aucb unmittelbare
Zeitbedeutung haben.

Die höhere Bedeutung besitzt Adolf
Stern sreilich als Literaturgeschicht-
schreiber, er hat einen außerordent-

lichen Schatz literaturhistorischer und
ästhetischer Erkenntnis ausgebreitet
nnd ist daher für unsre höhere Kul-
tnr sehr wichtig geworden. Sein
literaturhistorisches Hauptwerk ist die
siebenbändige „Geschichte der neue-
ren Literatur", die mit Dante be-
ginnt nnd mit Jbsen, Zola und
Tolstoi schließt. Nach Hettners be-
rühmter „Literaturgeschichte des acht-
zehnten Jahrhunderts" dürfte es das
bisher beste dentsche Werk zur Welt-
literatur sein. Der kleine „Grnnd-
riß (früher Katechismus) der allge-
meinen Literatur" ist das anerkannt
geeignetste Werk zur Einführung in
die Universalliteratur, während „Die
deutsche Nationalliteratnr vom Tode
Goethes bis zur Gegenwart" in den
letzten Jahrzehnten für die Auf-
fassung der neueren Literatur in
weiteren Kreisen maßgebend gewesen
ist. Zwei Anthologien, „Fünfzig Jahre
deutscher Dichtung" und „Fünfzig
Jahre deutscher Prosa" hatten das
letztgenannte Werk schon im Beginn
der siebziger Jahre wirksam vorbe-
reitet. Am längsten dauern dürften
von Stern aber doch seine zahl-
reichen Essays, die, wenn inan sie
einmal sammelte und chronologisch
ordnete, so ziemlich den gesamten
Umkreis der Literatur des (8. und
lZ.Jahrhunderts umschreiben würden,
und von denen nicht wenige die
ersten größeren Arbeiten über be-
deutende neuere Dichter sind. Stern
schreibt zwar selten knapp und Präg-
nant, aber stets aus der vollen
Anschauung herans und weiß diese,
wenn man sich ihm hingibt, auch
wieder zn erwecken. Zu den geist-
reichelnden Essayisten gehört er nicht,
aber man merkt bald, daß er seine
Dichter bis ins einzelnste versteht.
Sein überhaupt bestes Werk ist meiner
Anschauung nach seine Biographie
Otto Ludwigs, in der er fast reine,
künstlerisch abgerundete Darstellung
gegeben hat. Als einer der hervor-

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