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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,2.1905

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Heft 20 (2. Juliheft 1905)
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Gross, Karl: Kunstindustrie und Kunsthandwerk
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https://doi.org/10.11588/diglit.11879#0469

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Eben zu jener Zeit, gegen Mitte des vorigen Jahrhunderts,
begann auch der soziale Umschwung, der den Bruch mit der wirt-
schaftlichen und künstlerischen Ueberlieserung beschleunigte. Das Zeit-
alter der Wissenschaft und der Technik zog heraus, mit ihm die Vor-
herrschast des kühl berechnenden Verstandes, und das Schwungrad
der Jndustrie setzte sich langsam in Bewegung, um schnell und
schneller sausend alles in seinen Bann zu ziehen. Jn der Freude,
mit der jungen Industrie so billig und massenhaft alleß herstellen
zu können, glaubte man nun auch, damit das Kunsthandwerk ab-
lösen und dessen kulturelle Werte durch die Maschine unters Volk
bringen zu können. Die „K u n st i n d u st r i e" grifs damit ins Leben
ein. Der erste Ersolg dieser Rechnung war das berühmte „billig und
schlecht", das sich diese Erzeugnisse auf dem Weltmarkte errangen. Wenn
man in der Folge diese Scharte auch mit allen Kräften auszuwetzen
suchte, von dem unseligen Prinzip, kunsthandwerkliche Gesühlswerte
durch die Maschine schasfen oder genauer: herstellen zu wollen,
ging man nicht ab.

Jeder Schmuck, den srüher das einsache Handwerk entsprechend
dem Zwecke, dem Gefühlswerte des anzufertigenden Gegenstandes
herstellte, wurde jetzt durch die Maschine oder durch die zur Masckpine
gewordene Hand unaufhaltsam und überall, ob er paßte oder nicht,
profaniert; er war ja auf diese Art so billig herzustellen. Was sich
früher nur die Fürsten an gediegener Pracht leisten konnten,
suchte die Kunstindustrie nun billig, wenn schon unecht, auch dem
Bürger zu verschasfen, und dieser neugebackene Bürger des auf-
strebenden Jndustriestaates Deutschland fiel mit Wonne darüber
her. Handarbeit und Maschinenarbeit wurden zusammengeworfen,
die Erzeugnisse beider galten dem Publikum einfach als kunstge-
werbliche Gegenstände, sast nur noch die Billigkeit entschied beim
Kauf. Bei solchen Anschauungen konnte das Kunst h an d w e r k nur
dann noch wirksam konkurrieren, wenn es geist- und sinnlos die
Hand gleich der Maschine ausnützte und so sich selbst zugrunde
richtete. Es übernahm dabei etwa die Rolle jenes guten Haustieres,
das mit dem Löwen auf Beute gehen wollte und schließlich von
diesem mitsamt der Beute aufgefressen wurde.

Jeder Besitzer eines kunstgewerblichen Ladens wird das be-
stätigen können. Hatte er zum Beispiel erst handgetriebene Kupfer-
arbeiten aus Lager, und es kam eine Fabrik, die solche Sachen mit
der Maschine stanzte, so sagte sich das Publikum ungefähr: Diese
Sachen sind doch auch aus Kupfer, und es sind gerade soviel Orna-
mente drauf oder noch mehr. Dabei sind sie bedeutend billiger.
Wir wären ja Narren, wenn wir die teureren Sachen kauften.

Nicht anders ging es beim Zinn. Als das industrielle Fabrik-
zinn auf den Markt kam, konnte der Kaufmann seine handgear-
beiteten Zinngeräte ruhig einpacken, denn mit jenen ließen sich
viel billigere Hochzeitsgeschenke machen. Künstlerische Gesühlswerte
kommen bei Hochzeitsgeschenken ja nicht mehr in Betracht. So ging
es und so geht es noch heute in der Keramik, bei Stickereien, bei
Uhren und Silbergerät usw. Billig, das ist die Hauptsorderung,
denn man will sich nicht beschränken im Luxus, und mag er noch



2. Iuliheft lA05

§05
 
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