Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,2.1905

DOI Heft:
Heft 21 (1. Augustheft 1905)
DOI Artikel:
Rundschau
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.11879#0550

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Auch hat sein Deutsch zuweilen etwas
Gekünsteltes, weil der Autor nur
zu bewußt allem Trivialen wie auch
allem Exaltierten im Ausdruck aus
dem Wege geht. Kühl weht es durch
das Buch. Mit der Kühle einer
vornehmen, etwas reservierten Art,
wie sie Huch zur Zeit besonders
anziehend erscheint. Schickt man sich
in diese Art und lebt sich in ruhigen
Stunden in sie ein, so gewährt das
schöne Buch Erquickung und Genuß.

Viel weicher, kindlicher ist des
verstorbenen Peter Hille Roman
„Die Hassenburg" (Berlin, Schuster &
Loeffler). . Die Hassenburg ist eine
alte Burg in Westfalen, des Dichters
Heimatland, die Hille (natürlich nur
in der Phantasie) ersteht, um alles
in ihr und in der ganzen Gegend
zu ordnen, wie es ihm gefällt.
Welch eine kindliche Freude er an
diesem Phantasiebesitz hat! Wie ihm
das Gelegenheit gibt, die Reize der
Natur seiner geliebten Heimat zu
malen! Es finden sich reizende, lyri-
sche Naturschilderungen. Vor allem
aber will er auch die Menschen
seiner Burg glücklich sehn. Da ist
ihr früherer Besitzer, ein gutmüti-
ger, schwerfälliger Westfale aus dem
Kleinadel. Der Trunk hat ihn ge-
schwächt und ganz in Abhängigkeit
von seinem Verwalter gebracht, den
sein Vater einst von den Zigeunern
auflas, um aus ihm einen reprä-
sentablen Menschen zu machen. Aber
es gelang ihm nicht. Der Zigeuner
hängt sein Herz an die Tochter seines
Beschützers, die ihn gering schätzt,
ja verachtet, wie man eben Zi-
geuner verachtet. Wie die beiden
als Kinder miteinander spielen und
leben, daraus wurde unter Hilles
zarter Hand ein so liebliches Jdyll,
wie man es nicht oft findet. Als
sie dann einen andern heiratet, er-
wacht der Zigeunerhaß gegen die
Familie, und mit der ganzen
Verschlagenheit des Zigeuners weiß

er Herr zu werden über seinen
jungen, willensschwachen Herrn, den
er dem Alkohol und der Verzweif-
lung mit kalter Ueberlegung in die
Arme treibt. Und nun kommt Peter
Hille, der neueste Besitzer der Has-
senburg, wird des früheren Besitzers
Freund, reißt ihn durch sein liebe-
volles Verstehn, durch echte Mensch-
lichkeit aus seiner Verzweiflung,
hilft ihm wieder Mensch werden.
Die schwerste Arbeit hat er mit
dem verbitterten, verbissenen Ver-
walter, dem Zigeuner. Aber sein
kindlich reines Wesen zwingt schließ-
lich auch ihn. Dies durch alle
Leidenschaften entstellte, verzerrte Ge-
schöpf steht schließlich vor uns als
ein armer, unglücklicher Mensch, der
unser ganzes Mitleid gewinnt. Sehr
fein und wohl motiviert entwickelt
sich das vor unsern Augen. Peter
Hille geht als ein neuer Sokrates
durch seinen Roman. Er fühlt den
Leuten den Puls und rückt sie als
ein Mensch, dem nichts Menschliches
fremd ist, wieder zurecht. Das geschieht
auf eine so schlichte Weise, die gar
nichts Zudringliches oder gar Ein-
gebildetes hat, daß man den Mann
und sein Buch gleich lieb gewinnt,
trotzdem er seine Schrullen hat, trotz-
dem es in seinem Werke etwas wirr
zugeht.

Als ein rechtes Sommerbuch gel-
ten mir auch die beiden Novellen
in einem Band von Walther Sieg-
fried: „Gritli". „Ein Wohltäter"
(Leipzig, S. Hirzel). Gritli tst die
Geschichte einer kleinen Näherin. „Jm
engen Kreis verengert sich der Sinn"
nicht immer. Wollte man ein Ver-
gißmeinnicht ans Meer pflanzen,
ginge ihm Sinn und Zweck gar
bald verloren. Es gehört an den
Bach. Ein bescheidenes Wesen ist
unsere Näherin. Was ihrem Schick-
sal naturgemäß an weithin sicht-
barer Größe abgeht, gewinnt es in
aller Bescheidenheit an Jnnerlich-

j

482 Runstwart XVIII, 2j
 
Annotationen