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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,2.1905

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Heft 23 (1. Septemberheft 1905)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11879#0666

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selten gestörter seliger Einsamkeit und
Selbstgenügsamkeit; da aber ihre Lust
ist zn schenken, so haben sie sich
entschlossen, darum zu petitionieren,
daß der Berg nicht noch vergrößert
werde. Und aus diesem Anlaß be-
schäftigen wir uns, nachdem wir
erstens die Bereitung der Debrecziner
Schweinsknöchelsulze stndiert haben,
nunmehr zweitens damit, wie man
ihre Bereitung hintertreiben kann.

Petöfis eigenes Mittel war, wie
Kertbeny verraten hat, dies, daß er in
jeden seiner Privatbriefe „irgend ein
jauchetriefendes Wort absichtlich ein-
flocht".

O kindlicher Petöfi! Er, der „wie
von einer Viper berührt empor-
fuhr wagte jemand in seiner Ge-
genwart nur die leiseste Zote auszu-
sprechen", meinte durch ein solches Jn-
gredienz auch die saftigste Schweins-
knöchelsulze unschmackhaft zu machen.
Sehr verständlich! Aber er kennt
nicht die erstaunliche Verdauungskraft
eines rechten Forschermagens. Denn
wie man im Thüringischen fagt „A
gutes Schwein frißt alles", so kann
man sagen: der rechte Literatur-
forscher bucht alles.

Nun habe ich neulich gefunden,
daß schon in den achtziger Jahren
jemand ein viel wirksameres Mittel
angewendet hat, und ich halte die
Angelegenheit für wichtig genug, um
die allgemeine Aufmerksamkeit auf sie
zu lenken.

Jeder, der Hebbels Tagebücher
gelesen hat, erinnert sich ster un-
endlich cheinlichen Briefe, die er da
hineingeschrieben hat, ab und zu,
in denen er mit seinen vermeintlichen
und wirklichen Wohltätern die gegen-
seitige Rechnung durchgeht. Nie-
manden hat Hebbel selbst in feinen
Tagebüchern mehr als Wohltäter an-
erkannt und gefeiert als Elise Len-
sing, jenes Mädchen, das ihn mit
Hilfe ihrer mageren Ersparnisse den
Demütigungen der anderen „Wohl-

täter" entriß, bei der er wohnte, die
seine Frau war. Als er auf Grund
eines Reisestipendiums "einige Jahre
im Auslande lebte, nahm er mit
wachsendem Entsetzen wahr, daß er
Verehrung und Dankbarkeit mit Liebe
verwechselt hatte, und daß er sich
mehr davor fürchtete als darauf
freute, sie wieder zu sehen. Aber erst
als eine andere Liebe, die zugleich
ihm die Lebensbedingungen leichter
machte, ihm nahe kam, gestand er
sich jene Entwicklung ein, die der
Leser der Tagebücher deutlich genug
von langer Hand her kommen fühlt.
Er entschließt fich, auf Elise Lensing
zu verzichten, um nicht mit ihr zu-
sammen unglücklich zu werden, ohne
sie glücklich machen zu können. Das
arme Weib klammert sich an ihn,
und in ihrer Verzweiflung greift
sie natürlich zu den verkehrtesten Mit-
teln: Vorwürfen, Schmähungen, Ver-
leumdungen seiner Frau. Hebbel hat
sie nicht verlafsen, er hat sie bis
an ihren Tod unterstützt, soviel man
erkennen kann. Aber er schrieb ihr
die Gegenrechnung. „l7. Januar M8
. . . nun werde ich noch einen Brief
zu schreiben versuchen, den jck> schon
oft, und heute Nachmittag wreder,
anfing, aber immer wieder liegen
ließ, weil ich dabei kalt Lleiben
wollte und doch immer warm wurde:
die Antwort nämlich an Elise auf
ihre letzte Zufchrift! j8. Iayuar.
Heute den gestern angefangenen Brief
fortgesetzt, und da - die Erfahrung
mich belehrt, daß es unmöglick ist,
ihn bei kaltem Blut zu schreiben,
mich entschlossen, ihn in dieser Ge-
stalt abzusenden." Und fo schreibt
und Verschickt er ihn nicht nur:
er skizziert ihn in das Tagebuch,
acht und eine halbe Seite des Buchs.
Der verständnisvolle Leser zittert vor
peinlicher Aufregung, wenn er an die
Stelle kommt. Begreifst Du nicht,
Mann und Dichter, daß wir längst
alles wissen, alles verstehen! Nein,

5yo Uunstwart XVIII, 23
 
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