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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 20,1.1907

DOI Heft:
Heft 1 (1. Oktoberheft 1906)
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Avenarius, Ferdinand: Freudigkeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.8627#0015

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Freudigkeit

Seit dem Morgen gewandert» seit dem Mittag gestiegen» keine
Ruh in der Hütte, nun seit Tagesgrauen Stunde um Stunde berg--
auf durch den Nebel und immer imZweifel: kommen wir auf dem Gipfel
droben aus ihm heraus? Uns Stadtleuten kommt das doch schwer
an, einer nach dem andern wird schlapp. Da ruft der Führer von
vorn: „Oben wird's blau!" Hei» wie geht das Steigen aus einmal
gut, wie gibt die Vorsreude schon uns allen Kraft!

Das ist so eine der kleinen Ersahrungen, wie sie jeder tausendmal
erlebt und wie er sie gar nicht weiter bedenkt, weil sie ihm gar zu
selbstverständlich sind. Freude regt an, aber sie kräftigt auch. Daß
die Lust am Dinge die Müh geringe macht, prägen wir schon den
Kleinsten ein» und eben das ist es, was die Arbeit des Freien über
die Arbeit im Frohn bis zu Leistungen hebt, die kein Arbeitssklave
erzwingen kann. Und sie macht schön. Darüber wär' jedes Wort
zu viel. Und sie macht g ut. Prüfe dich selbst, ob dein Fühlen gegen
andre dasselbe ist, wenn Freudigkeit deine Tage blühen und wenn
Verdrossenheit sie kümmern macht. Und was du findest, gilt sür den
einzelnen und gilt für ein Volk: „Alle Menschen werden Brüder,
wo dein sanster Flügel weilt." Ls kann ja auch gar nicht anders
sein, denn was ist Wohlgefühl, als Gefühl von Gesundem? Wie
der Körper sür srische Lust und gute Kost, so dankt damit die Seele
dasür, daß sie sich stärkt. Dem Freudigen sind die Triebe besriedigt,
die, unbefriedigt, dem Nebenmenschen die gefährlichsten sind: die
Selbsterhaltungstriebe.

Darf ich einmal zitieren? „Freudigkeit", sagte Iean Panl, „ist
der Himmel, unter dem alles gedeiht, Gist ausgenommen^. Der junge
Goethe nannte sie durch seinen Martin im Götz „die Mutter aller
Tugenden", und der alte ließ seinen Faust den höchsten Augenblick
in der Vorsreude des allgemeinen Glücks erleben. Das Urbild des
Martin selber, Luther, pries sie als Schutzmittel gegen das Böse.
Schiller schrieb: „Nur die heitere Seele gebiert das Vollkommene"
und betete: „Freude, sühre du mich!" Wilhelm von Humboldt sah in
ihr „die Krone schöner Sittlichkeit", wie schon Voß „alles Guten

^ s. Oktoberheft V06 ^
 
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