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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 20,1.1907

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Heft 5 (1. Dezemberheft 1906)
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Lose Blätter
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.8627#0341

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schiedene gleichgültige, unnütze Lieder vorgetragen hatte, auch jenes Lied
singen wollte, das sie einst ihm, dem Viktor, in der Parusie gesungen
hatte. Sie tat das ohne Arg, da ja für sie jenes Lied einfach ein Musik-
stück wie jedes andere bedeutete. Er aber spürte vor der bevorstehenden
Entweihung seines heiligstsn Besitzes einen wahnsinnigen Schmerz toben.
„Das Ewigkeitsgold der Parusie durch gemeine Äbermalung besudeln!
Das Grab Theudas, ihrer Schwester, meiner Braut, einem Fremden vor-
zeigen! Fühllos, lediglich zur Kurzweil, noch dazu in meiner Gegenwart!
Ist das nun Teufelsbosheit oder Vertiertheit?" Ohnehin mit Wort und
Rede kläglich beschlagen, verlor er in solchen Zuständen höchster Erregung
die Stimme. Stummen Entsetzens verfolgte er, wie sie das Notenheft,
jenes nämliche Heft von damals, nur mittlerweile ein wenig an den
Rändern angegilbt, hervorkramte und gleichgültig auf dem Klavierpult
nusbreitete. Als sie sich jedoch zum Singen zurückstellte, erzwang er,
vorspringend, gewaltsam die Sprache: „Dieses Lied werden Sie nicht
singen!" verbot er. Er hatte flehentlich darum anhalten wollen, allein
Schmerz und Empörung verwandelten ihm unterwegs vom Herzen zur
Stimme die Bitte zum schroffen Besehl.

Heftiger Anwille rötete ihre Stirn. „Ich möchte denn doch wissen,"
trotzte sie, „wer sich erlaubt, mir verbieten zu wollen, jene Lieder zu singen,
die ich will."

„Ich," stöhnte er.

Ietzt erst, jetzt erst recht mochte sie das Lied singen; seinem anmaß-
lichen Verbot zum Trotz. öffnete den Mund und sang wahrhaftig das
Lied der Parusie; wahrhaftig, sie sang es, erbarmungslos, eine unendliche
Zeit, von der ersten Note bis zur letzten. And er mußte dabei sitzen und
es über sich ergehen lassen. Er fand die Kraft, an sich zn halten und sich
nicht zn bewegen. Kaum aber hatte sie geendet, so lud er seinen Blick mit
leidenschaftlicher Beleidigung, stand auf, trat vor sie hin und warf ihr
aus den Augen ins Antlitz Verachtung.

„Halt da!" drohte ihr Auge zurück. „Entschlüpft Ihnen jemals ein
einziges unehrerbietiges Wort —"

Nein, so konnte es nicht weitergehen; es mußte sich etwas ent-
scheiden. Und neugierig, obschon vergeblich, befragte er seine Ahnung, was.

Llnsre Sprache

Herder tauschte im Inhre s800
mit seinem Sohne August briefliche
Gedanken über dessen damaliges
Rechtsstudium aus. „Dein Urteil
über die bestimmte Majestät der la-
teinischen Rechtssprache ist auch das
meinige. Das Lorpos juris ist eine
Sammlung der kräftigsten, edelsten
Aussprüche menschlicher Vernunft,
Gerechtigkeit und Klugheit in der
festesten, bestimmtesten Sprache."And
weiter: „Es ist ein prächtiger, kur-

zer, gebietender Geist, dieser Geist
der lateinischen Sprache; er hat
die Welt bezwungen und
lange regiert." Ist Herders
Arteil richtig, und wenden wir's
auf die Frage an, die im letz-
ten Iahrzehnt unsre Staatsmänner
und Zeitungen am meisten beschäf-
tigte, so liegt der Schluß nahe:
Die Deutschen können nicht die Eng-
länder verdrängen und an ihrer
Statt die Welt bezwingen und lange
regieren, solange nicht der Geist

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