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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 4.1890-1891

DOI issue:
Heft 3 (1. Novemberheft 1890)
DOI article:
Klein, Oskar: Genie und Leidenschaft
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11725#0041

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und höchst bedeutungsvollen Darstelluug, welch edem
Geuie obliegt, ist eiu uuchevoller. Ihu zurückzulegeu er-
sordert eiue Rrast sich über die realeu Diuge zu er-
hebeu, eiue Lähigkeit ihueu gegeuüber das eigeue
s)ch zu verleugueu uud iu eiueu blos idealeu Arhtaud
zu versetzeu, wie sie dem Meuscheu der AUtäglichkeit
uicht gegebeu ist. So uueudlich schwierig ist das
werdeu des Rüustlers, welcher diese Bezeichuuug iu
IDahrheit verdieut, daß er iuuuer uud iuuner wieder
mit seiueiu chubsekt käiupseu muß, ehe er deu chieg
über das Gbsekt seiuer Darstelluug zu gewiuueu ver-
mag. Bevor er mit auderem fertig werdeu kauu,
muß er mit sich selbst fertig gewordeu seiu. Dauu
erst vermag der Aüustler zu schasfeu, weuu er sich
vou jedem realeu Assekt besreit hat. cho lauge die
wirklichkeit ihu bewegt, so laug er uoch, sei es iu
chchmerz oder Lust, iu eiuem leideudeu Zustaud sich
besiudet, ist er gehiudert. Daher die leideuschastliche
Gewalt, uüt welcher küustlerisch, geuial veraulagte
Natureu aus dem Mege räumeu, was ihueu eut-
gegeusteht, die Uubedeuklichkeit, mit der sie sich ost
über die Negelu uud Gerköiumlichkeiteu der Gesell-
schast hiuwegsetzeu. chie müsseu sich besreieu, sich vou
jedem Zweisel, aus jedem Rouslikt, deu ihueu die
Melt, welche sie umgiebt, ausuötigt, erlöseu, oder es ist
um ihre Auustübuug gescheheu.

Allerdiugs besteht auch hier eiue Greuze, wo das
Necht der küustlerischeu Zudividualität der äußereu
Notweudigkeit weicheu muß. Gs giebt eiueu fAmkt,
wo die geuiale persöulichkeit Gesahr läust, sich vou
alleu Negelu der N'loral uud des Nechts loszulöseu,
wo das Geuie seiues iuuereu Mertes verlustig geht,
weil es iu Charakterlosikeit umschlägt. Niemals
glaube eiu Nüustler, daß er die moralischeu uud' recht-
licheu Gruudsätze seiuer Zeit mißachteu, daß er uach
seiuer IDillkür iu der Wclt der UArklichkeit schalteu
uud walteu dürse, weil er vermöge seiues chubjekts
eine Ausuahmestelle iu derselbeu eiuuimmt. cheiue
2lusgabe ist es, die wirkliche Melt iu die Zdealität
der Nuust zu erhebeu; aber er darf iu der Mirklich-
keit des Daseius uicht uugestrast deu Nüustler spielen,
uicht wirkliche Nbeuscheu uud Diuge, weuu er ihueu
haudelud gegeuübertritt, dem chtoss seiuer Nuustübuug
gleichachteu.

Die Beispiele, welche gläuzeude Begabuug ver-
eiut zeigeu init vollkommeuer Gharakterlosigkeit, siud
uicht selteu. Ls liegt iu der Natur geuialer Nleuscheu,
daß sie bestäudig übertreibeu, die Greuzeu uach obeu
uud uuten iu alleu Diugeu häusig überschreiteu uud
sich so zu chaudluugeu hiureißeu lasseu, zu deueu eiue
gewaltige Beweguug ihres Zuueru sie zwiugt. Gs
giebt Fälle, die zu erkläreu, zu eutschuldigeu siud.
U)o das Daseiu, die chchasseussreiheit des Nüustlers
aus dem Spiele steht, da wird mau geueigt seiu,
milde zu urteileu. U)o sich aber das Gesühl vom
Derstaude treuut uud der küustlerische Ggoisuius die
Neguugeu des eiusältigeu Gewisseus verleuguet, da
hört beides aus, der Nleusch uud der Nünstler.

Der wahre Nüustler ist der wahre Meusch; er

mag sehlen im Liuzelueu, aber er ist doch eiu großer,
eiu guter Nkeusch, uud er muß es seiu, weuu er sich
uicht ausgebeu will uud iu die Diuge hiuabsteigeu,
über die er sich erhebeu soll. Der erste Schritt, deu
er wider Nkoral uud Necht thäte, die erste Daudluug,
bei der er das Gesühl dem Derstaude, das Gewisseu
seiuer Gelbstsucht opserte, würde ihu der Grhabeuheit
seiues Gemütes verlustig macheu, ihu iu deu Nreis
des Gemeiueu bauueu uud ihu iu ebeu jeueu leideu-
deu Zustaud oersetzeu, aus dem er sich zu besreieu
strebt. So wuudersam ist das meuschliche Gemüt
eiugerichtet, daß immer da, wo es sich verleuguet,
der uaturwidrigeu Daudluug die uatürliche vergelt-
ung, dem Vergehen die chtrase uumittelbar solgt.
Die Freiheit des Gemüts, die Nuhe uud cheiterkeit
der Seele köuuen durch uichts erruugeu werden als
durch chaudluugeu, welche deu Adel des Gemüts uud
die Neiuheit der cheele bewahreu. cho ist es sür deu
Nkeuscheu, der iu der j)raris des Lebeus steht, weuu
überhaupt das Gewisseu iu ihm eiue chtimme hat, schou
eiue bloße Nlugheitsregel gut zu seiu uud Böses zu
meideu. chetzt er eiumal das Materielle über das
Zdeelle, verleuguetereiumalÄttlichkeituudVahrheitum
äußerer Borteile willeu, so wird er sogleich au sich
merkeu, daß es uicht so leicht ist, eiu chchurke zu
seiu, daß er etwas besitzt, was ihu darau hiudert.
Dielmehr uoch gilt dies vou dem Nüustler. N)euu
der blos praktische Nleusch durch die Uusreiheit seiues
Gemüts keiueswegs iu jedem Falle iu seiuem Beruse
zur Uuthätigkeit verurteilt wird, wird er es deu Aus-
gabeu subjektiver Nuust gegeuüber gauz uud gar.
Deuu er schasst aus sich heraus, giebt seiu eigeustes
chelbst; uud was wollte er da gebeu, weuu seiu
Gemüt umdüstert ist, weuu das schuldbewußte Ge-
wisseu ihu quält? Lr will Großes schasseu, aber
alles wahrhast Große hat eiueu moralischeu Zuhalt
oder eiue Beziehuug aus eiuen solcheu.. U)oher
uähme er, der ebeu die Nkoral mißacht.et, da die
moralische Nrast, welche der chtoss vou ihm sordert?
Gr will chaudluugey der chreude uud des chchmerzes,
der Liebe uud des chasses darstelleu — woher käme
ihm, der ebeu dem chasse statt der Läebe gesolgt, der
dem audereu die Lreude vergällte uud chchmerz be-
reitete, da die uuparteiliche Gbjektivität? wie besäße
er die gelasseue Gaud, das zu gestalteu, das zu
meistern, was soebeu uoch ihn meisterte?

Gs ist gewiß, die Dollkommeuheit des Nuustwerkes
beruht aus der Vollkommeuheit des Nüustlers. Die
Uuvollkommeuheit seiuer j?ersöulichkeit mag sich im
Giuzelueu verbergeu, es mag ihm geliugeu, uus über
deu Nkaugel eiuer moralischeu Nrast hie uud da zu
täuscheu, aber das psychologische Gauze. seiues
bBerkes wird ihu osseubareu. Zu wie weit das
chubjekt des Nüustlers srei ist vou realeu Leideuschasteu,
ob es über deu Diugeu steht oder uuter ihueu, wie
viel oder wie weuig ihm die moralische Ullelt aus-
macht, über das alles vermag er uus aus die Dauer
uicht zu betöreu — das Geschöps verrät. uus deu
chchöpser. Gskar Ikletn.


Allgemeineres.

^ Der Lindruck von Ikunst und Mirk-
licdircit. (Schluß.) — „Die Freude an der Nach-

IKundscliuu.

bilduug hat bei der Gutstehuug der Nunst siche.r eiuen
wichtigeu, vielleicht deu wichtigsteu Autrieb abgegebeu,

— so —
 
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