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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 4.1890-1891

DOI Heft:
Heft 7 (1. Januarheft 1891)
DOI Artikel:
Hartmann, Ludwig: "Der dumme Kerl, der Dichter..."
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.11725#0104

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7. Stück.

Lrscbetnt

Dernusgeder:

zferdtnand Nvenarius.

Ncsrcllprets:

^ vierteljährlich 2 1/2 lUark.

4. Zakrg.

„Der dumme Ikerl, der Dickter...

emem

wart"

ie Gesimmng der Bühiren gegen Dichter
und Aompoiristen hat vielleicht nie ein
drastischeres Beispiel erfahrell, als süilgst iil
MDresden durch den „Lall Nitter". )lls voil
Dresdner Lokal-Lreignis würde der „Anilst-
kaum, und ail dieser 9telle erst recht nichh
davoil Notiz zu ilehiilen habeil. Aber es handelt
sich hier uiil ein S p nl p t o m. Und da dieses geeignet
ish die Blieke aus einen dunkeln fllmkt inl deutscheil
Aunstleben zu leilkeil, nlöchte nlail den Lall Bitter denn
doch nicht unbenutzt vorübergehn lassen.

Ausdrücklich sagteu wir, „iin deutscheil Aunst-
leben" sei der dunkle j?unkt vorhanden. Die
franz ösischeil Theater keimen ihn so wenig, wie
die italienische Bühne ihn kennt. s)ene Nationen
ehren ihre Dichter, selbst solche, welche diese Lhre
ilicht verdienen, so hoch, daß die Bühne und ihre
Akachthaber stolz darauf fiild, weuu der Dichter oder
Rompouist sich für die richtige Aufführung eines seiner
werke interessirt. Die Bühnen zu j?aris suchen emsig
den Berkehr iilit dem Autor vor der Aufführuug und
schätzeil es für ein Glück, weiln er die f)roben besucht
oder leitet uud uninittelbareu Tiufluß auf die Attt-
wirkeuoen niinint. Die Lranzosen haben dabei ver-
nmtlich den verwegenen Gedanken, der Dichter selbst,
der geistige Lservorbringer, müsse am besten wissen,
wie sein U)erk aufzuführen sei. In Deutschland
wünscht man „den duminen Rerl, den Dichter" zu
allen Teufeln. U)as versteht er denn von der j)rapis
der Bühne? s)deologen, j)hantasten sind diese j)oeten,
und manchmal so unverschänlt, eine andere Meinung
zu habeu, als der Negisseur oder der Direktor oder der
Bchauspieler.

Diese Ueberschätzung des „j)raktischen" und Unter-
schätzung des geistigen Urhebers eines U)erkes ist aber
nur ein Deckmantel für die gedankenlose Trägheit,

welche die Seele ist der Mnmipotenten im Theater.
Nirgend wird feiner, sorgfältiger inszenirt, als in
j)aris. Und dort beherrscht lediglich „der dumme
Rerl, der Dichter" die j)roben. Allerdings, praktischer
ist der französische Dichter, als der deutsche. Das ist
uatürlich. Der frauzösische Autor ist auf der Bühue
ein Threngast, auf den als auf die höchste Autorität
alle sehen. Der deutsche Dichter ist ohne Trfahrung,
da der khaß der Theaterlenker ihn nicht auf der
Bühue sehen mag, sondern ihn verwünscht. Dazu
komint, daß sich durch den regen verkehr des französischen
Autors auf der Bühue ein unschätzbares Urteil bei
ihm entwickeln konnte, was denn eigentlich bühnen-
praktisch und zweckdienlich sei beim Tntwurf eines
Dramas oder einer Mper, während der deutsche
Dichter die Thür zum Theater geschlossen findet und
raten und versuchen muß, das Nechte zu schaffeu.
Der deutsche Oxernkompouist überreicht eine jDartitur,
die vielleicht schon gedruckt ist, Negie oder Direktion
ändern und streichen nach Lserzensluft, vielleicht an
Dingen, die fie gar nicht nachzuempfinden im Stande
sind, und wenn der Autor schüchtern fragt, ob man
nicht gar zu viel äudere, fährt mau auf: „U)as, «der
Rerl, der Dichter» hat keiu Nertraueu iu unser be-
rühmtes ()nftitut? Tr erstirbt uicht vor Thrfurcht,
vou uus überhauxt aufgeführt zu werden?" In
Frankreich betritt der Romponist mit einer gleichsam
nur skizzirteu j?artitur die Bühue, erst im Tinstudireu,
unter xeinlicher Nücksicht auf die künstlerische UArkung,
wird das U)erk nach und nach fertig und wird dann
so gegeben, wie der Urheber es will.

Daraus folgt klar: Läßt eiu französischer (oder
italienischer) Autor ein unter ihm studirtes U)erk
heraus, so trägt e r die volle Berautwortung. Geht
die UArkung fehl, liegt's am werk. In Deutschland
weiß der Autor oft bis zur Aufführung gar nichts


Lrstes 3anuar-Dett 199t.


S7 —
 
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