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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 4.1890-1891

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Heft 24 (2. Septemberheft 1891)
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Avenarius, Ferdinand: Veredelt die Volksfeste!
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11725#0378

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Volksfesten zu zeigen, als die Tingeltangel. Oolks-
bühnen auf die volksfeste! wir begrüßen nüt Freuden
einen Vorschlag, den die Akünchner „Gesellschaft für
modernes Leben" durch deu Antrag an die Stadt-
väter Isarathens gemacht hat, zur „Aufführung
volkstümlicher Stücke aus der bayriscben und deutschen
Geschichte während des Gktoberfestes" eine freie
Tagesbübne auf der Theresieimüese zu errichten.* Die
vielersehnte deutsche Volksbühue, die au andern
Grten ihren Zuschaucrkreis erst mühsam um sich
bilden müßte, in der Lreude der Festwiesen gewänne
sie ihn sofort. Ts wäre auch gar nicht nötig, daß
fie nur F>tücke aus der Geschichte, überhaupt nur
Stücke ernster Art, nur solche aufführte, die an die
Zuschauer schon etwas höhere Ansprüche stellen.
Auch Schwänke und j?ossen wären hier so wenig
vom Aebeh wie irgend etwas, das gesundes Leben
giebt, aber gesunden Lebens müßte es eben sein,
nichts allerdings von fener hirnlosen lülfterkunft, die
ihre sogenannten Lustspiele und Gperetten zur A7ode-

* Der Antrag ist im elften chefte der „lllodernen Biätter"
(Berlag ven lll. Pößl, Münchcn) dnrch jene Gesellschaft be-
gründet und dann auch vcm Leonkard Lier in den „Grenz-
boten" ausführlich befprochen worden.

ware auf unsern Luxustheatern gemacht hat. „Zn
alten Zeiten", schreibt Lier, „im Mittelalter bis zum
Lindringen der berufsmäßigen Schauspieler und in
bevorzugten wenigen Landstrichen noch heute bildet
das ^chauspiel bei volksfesten die vornehmste 2lrt
der Unterhaltung, oder eine solche theatralische Auf-
führung gestaltet fich zu einem volksfest." bfier kann
wieder werdcn, was einmal war - und die guten
Folgen würden die Festwoche überdauern.

Zst es ein Rennzeichen unserer Zeit, daß wir uns
unserer pflichten gegen die Allgemeinheit stärker be-
wußt geworden sind, so möge fie auch die Dolksfeste
nicht weiter im alten tbchlendrian bis zur gründlichen
versumpfung kommen lassen. Aüt einem „Beschneiden
der Auswüchse" ist's nicht gethan, wichtiger als das
Nehmen ist das Geben. bsalten wir uns nicht für
zn gut, selber au den Volksfesten mitzuwirken. Dann
können sie wieder werden, was sie in ihrer Blüte
vergangenen Zeiten waren, und noch mehr. Das
geschähe auch durchaus zu unserem, zu der gebildeten
Stubenhocker eigenem Wohl: wir könnten für Seele
und Leib die Auffrischung wahrlich brauchen, die uns
solch bessere Dolksfeste mit ihrem „Naturheilverfahren"
verschafften. zf. N.

DLcbtuna. Nundsckau.

^ Ilbeodor Aörner. Zu seinem 100. Geburts-
tage. — Die französische Rugel, die am 2 6. August
1813 eineu jungen deutschen st)oeten traf, gab ihm
zugleich mit dem Tode die Unsterblichkeit.

Denn, wir dürfen es uns nicht verhehlen, Rörncrs
Name würde schwerlich so genannt und geliebt sein,
wenn ihm ein langes Leben bescheert gewesen wäre.
Ts ist nicht möglicb, aus dem Schaffen eines Zwei-
undzwanzigjährigen mit Gewißheit auf das zu schließen,
was aus ihm hätte werden können, gewiß aber ist,
daß Rörners Dichtungen durchaus die Rennzeichen jener
Frühfertigkeit tragen, die nur während des Frühlings
Blüten, nicht aber reife Früchte verheißt, wenn wir
nach anderen Beispielen schließen dürfen. Die große
Begabung, die Ureigenes in sich trägt, beginnt zunächst
ihr Gestalten scheinbar unbeholfen und bildet all-
mählich erst ihre eigene Ausdrucksweise. Ls handle
sich denn um ein frühreifes Genie wie Goethe, aber
ein solches ist schon bald erkenntlich an den Blitzen
seiner Tigenart. Rörners dramatische Dichtungen
verraten solch Tigenes nirgend, sie sind Nachem-
pffndungen durch und durch, und so geschickt beherrscht
der Züngling bereits die fremden Formen, daß man
auf jeder Seite zu sehen glaubt: sie genügen ihm,
es glüht kein verborgenes Feuer unter diesen glatten
Zeilen. Auch in seinen Rriegsliedern ist kein eigenes
prophetisch tiefes Tmpfinden und ^chaun — was die
Brust aller seiner Nlitstreiter bewegte, das empfindet
er wie sie alle, und die wohl gehandhabte äußere
Technik der Vorgänger läßt dann spielend die Worte
finden, die nun „allen aus den bjerzen sprechen."

Die Gerechtigkeit, die den Gebrauch falscher Maß-
stäbe der wertschätzung verbietet, sie verlangt dieses
offene Bekenntnis. Durch seinen Tod ist Rörner
unserem Volke mehr geworden, als er ihm durch seine
werke wohl je hätte werden können: er ward ihm

eine jener Leitgestalten, die in den wolken über
das Alltägliche hinschreiten und deren Geist begeisternd
niedersteigt, wenn seine Zeit kommt. Deutschlands
edle Zugend, die sich für das Vaterland erhebt und
kämpfend in den Tod geht für ihre Freiheit, sie hat
für unser aller Auge ihre verkörperung in Theodor
Rörner gefnnden, und so mag und wird es bleiben.

-x- Oeuere Lprik. V. — Liner der Genigen unter den
mehr als ^iebzigjährigen, der sich des Gesanges, nicht nur
des verfemachens Gabe bis ins hohe Alter mit der Zugend
des cherzens gewa'vt hat, ist Zohann Georg Fischer—
wieder liegt uns ein neuer Band von feinen Gedichten vor,
„Auf dem bseimweg" betitelt (Verlag von Lotta in 5tuttgart),
der davon zeugt. Am Menschen Fischer ist mir das IVerleste
feine durchaus echte, oft von wehmütigem kfiunor getragene
Innigkeit, am Aünstler Fischer fchätz ich am höcbsten die
Fähigkeit, des lhörers Gefühl mit knappen lVorten zu führen, an
deren jedes Anschanungen anfchießen wie Ar-fstalle, bis das
Ganze frenndlich vor nns steht. Illan lefe das folgende kleine
Gedicht, um an einem Beispiele zu fehen, was ich meine:

Gestern ein Aiefeln
Zm weichen Eise,
kseute ein Bach
Auf der Frühlingsreise,

Gestern ein Aind
lllit chchleif und Band,

Veute Iungfrau
Im Festgewand:

IVohin? — wer weiß?

Und wem der Preis?

Frage die Biene,

Wohiu sic stiegt,

Frage die Lsoffnung,
lVo Lden liegt.

Der neue Band enthält vielleicht kein 5tück, das in fo aus-
qesprochener lVeise von der Aunst des Verdichtens zeugte.
Feincs und ^chönes abcr enthält er doch vollauf. T>a ist der
ergreifende Izstllus „ein Totcnkranz", dcn Fischer seiner ver-
 
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