Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 4.1890-1891

DOI Heft:
Heft 8 (2. Januarheft 1891)
DOI Artikel:
Spitteler, Carl: Fleiss und Eingebung: zur Psychologie des dichterischen Schaffens
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.11725#0120

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Avveites Zanuar-Dett 1S91.


s. Stück.

Lrscbeint

Derausgeber:

zferdinand Nvenarius.

Kestellpreis:
vierteljährlich 2i.'z Mark.


iT

Fleiss und

Lur VsLcbologie des d
jM^D^^ie Unentbehrlichkeit energischer Arbeit nach
§^^^^^der Lingebung braucht nicht mehr bewieseit
werden, denn nur Ainder wtd Aindes-
E^^b^kinder können heutzutage itoch glauben,
Aunstwerke kämen Linein sertig in die Feder geflogen.
Ich möchte sedoch hier darauf aufmerksant machen,
daß der Fleiß auch als vorarbeiter und Bahnbrecher
der Inspiration eine wichtige Bolle spielt, daß der
alte Rat, die Stimmung oder die Lingebung abzu-
warten, besser durch den entgegeitgesetzten, die Stinnnung
und Lingebung zu ertrotzen oder anzulocken, verdrängt
werde.

Ich tnuß freilich sofort gewichtige vorbehalte
zur verhütung von Uttßdeutungen aussprechen. bfer-
vorragendes Dichtertalent bildet natürlich die uner-
läßliche Doraussetzung, denn wo solches fehlt, weiß
ich überhauxt bloß eine einzige zweckmäßige Schaffens-
regel: aufzuhören. Lerner bezieht fich der IVert des
Lleißes als eine Vorarbeit gewiß nicht auf den Lnt-
wurf eines IVerkes, da gerade hier die Lingebung
und der Grad ihres lVertes 2llles entfcheiden, so daß
nicht einmal die bewunderungswürdigste Aunst be-
zügliche Mängel oder Lm-x^n zu ersetzen verntag.
lVer ohne genügenden phantasiezwang an die Arbeit
schreitet, ift mit dem betreffenden IVerk rettungslos
verloren. Die Ureingebung stammt, wie f)edermann
weiß, aus Seelengegenden, die den Uräften des Ver-
standes, des lVillens und des Geistes weit überlegen
find, nnd Vorarbeiten giebt es nur mittelbare und
pasfive: vom Leben tüchtig geschüttelt zu werden.
Ich gehe sogar noch einen Schritt weiter, indem ich
die erste Lingebung, wie gewaltig sie auch sei, für
unzulänglich halte, wie es denn die f)ugend hauxt-
sächlich darin versieht, daß sie unmittelbar nach einem
begeisterten Gntwurf an die Arbeit schreitet. viel-

Lingebung.

cbteriscben Scbattens.

mehr sind, ehe ein flllan für arbeitsreif kann erachtet
werden, noch eine ganze U'lenge ergänzender Uon-
zextionen untergeordneten Ranges notwendig und
zwar, grundsätzlich gesprochen, fflr jede Szene eine
besondere, bis eine fortlaufende Uette von Bildern
unabwendbar vor der jDhantasie bestehen bleibt;
dann erst ist das lVerk vor den ^lnfang angelegt;
dann aber pflegt es auch den jDatienten derart zu
beunruhigen, daß es ihn zur Arbeit zwingt, ob er
möge oder nicht. lVeil nun jene Untereingebungen
sich ebensowenig befehlen lafsen, wie die oberste
Aonzextion, — jeder gewaltsame Versuch führt zu
einer unheilvollen Fälschung — fieht sich der Dichter
öfters, ja meistens gezwungen, seine wertvollsten fllläne
Iahrzehnte lang in den unbewußten Gründen der
Seele träumen und keimen zu lassen, bis fich ver-
wandte Untereingebungen in genügender Zahl und
Fülle von selbst angesetzt haben. lVer zu früh be-
ginnt, beraubt bei aller Aunft den tvtoff seiner schönften
Grträgnifse. Darum bildet die Sorge um die Gr-
kenntnis des Reifezustandes eines planes eine der
größten Nöte des Aünstlers.

Nachdem jedoch einmal die Arbeit in Angriff ge-
nommen worden ift, hat der ganze Alensch mit an-
gespanntester Thätigkeit seiner gesamten Geisteskräfte,
den Verstand voran, sich mit dem IVerke zu befassen
und vor dem Schlusse nicht zu ruhen. Zch halte
Unterbrechungen, behagliches Versuchen oder längeres
lVählen während der 2lusarbeitung nicht für ersxrieß-
lich. bsier gebührt, wie ich glaube, dem Fleiß ein
höheres Necht, als man ihm einzuräumen xflegt.
Bei weitläufig veranlagten j)länen nämlich wird
selbst bei der besten vorbereitung, trotz aller Uühn-
heit des willens und aller Lchtheit der Begeisterung,
trotz zahlreichen Augenblickseinfällen fich über kurz oder


(S
 
Annotationen