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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 4.1890-1891

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Heft 14 (2. Aprilheft 1891)
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Sprechsaal
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Aus der Bücherei
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https://doi.org/10.11588/diglit.11725#0227

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in bäuerischem, an sich stofflich nicht einmal realistisch
geschickt behandeltem Gewande, das im Stadium un-
oerkennbarer Rörperzunahme ist, hinschreitend an einem
nicht eben besonders gut gemalten Rornfelde! Das
Ganze auf H bis 6 <Vuadratmeter Leinwand verteilt!
Das nennt vielleicht der Rünstler, der sich ein solches
plakat schuf, Lrnst. Lür gewöhnliche Menschenkinder
ist es ein Ding, das möglicherweise als wasserdichter
Überzug über einen mit warenballen beladenen wagen
am ehesten eine wirkliche Bedeutung hätte." Im
schärfsten Gegensatz dazu urteilt ein anderer Rezensent,
dessen geistreiche Besprechungen der zweiten Münchener
Iahresausstellung sehr beachtet wurden: „Mächtig
tritt Graf Ralckreuth auf mit seinem Bilde «Sommers-
zeit». Das Neifen der Frucht auf dem Felde, die
Bauernfrau mit dem abgearbeiteten müden Antlitz, die
sich Mutter fühlt und von Lrntearbeit nach Lsause
kehrt — alles überglüht von der Sommerabendstimm-
ung —, bildet einen zwingenden, hinreißenden Gin-
druck, dessen wucht und Größe sich kaum etwas an
die Seite zu stellen vermag. Gs wirkt wie ein hohes
Lied auf die Gntwickelung, auf das wachstum, auf
die Fruchtbarkeit der Grde — hier zu lästern, ist
schnöde und pöbelhaft."

Solche schroff sich entgegenstehende Rrteile deuten
darauf hin, daß es sich hier nicht um das beurteilte
Runstwerk, sondern um prinzipielle Gegensätze handelt,
um Gegensätze, die heroorgerufen wurden durch eine
geistige Bewegung, welche die moderne welt ergriffen
hat und die nicht nur in den gesellschaftlichen und
wissenschaftlichen Bestrebungen der neueren Zeit zum
Ausdruck gelangt, sondern die auch die Runst in neue
Bahnen drängt. Auch derjenige, der den Naturalis-
mus als Runstprinzip nicht gelten läßt, wird gut daran
thun, sich an die worte Lsermann Linggs zu erinnern:

„welchen Gedanken die Zeit
Linmal erkoren,

Der ist gefeit und beschworen,

Trotz allem widerstreit.

^eine Feinde mühen sich ab
Rttl Schlingen und Banden,

Sie machten ihn gerne zu ^chanden,

Und wenn er schon längst erstanden
Lsüten sie noch sein Grab."

Ginem solchen Grabeshüter haftet immer etwas
vom Don (Huixote an. Die Schar der windmühlen-
bekämpfer aber ist immer noch sehr groß. Um die
worte Zmpressionismus, plain-uir, 8incerüe u. a.,
worte, die naturalistische Anregungen, nicht das wesen
des Naturalismus bezeichnen, hat sich ein Streit ent-
sponnen, der wie jeder Streit um worte fruchtlos ist.
Äe sind Rampf- oder Spottrufe geworden und für


Nus der

2-2 Dranmturgie des Scbuuspiels. Grillparzer, kiebbel,
Ludwig, Gutzkow, Laube. von 6ei nrich Bultbaupt. Glden-
burg u. Leipzig ^890. — Lin Drama bohen Stiles soll drei
Forderungen genügen: es soll dramatisch, tragisch, theatralisch
sein. Tragisch: wie immer jchilosophen und Aesthetiker seit
Aristoteles die eigentümliche Wirkung des Tragischen bestimm-
ten und erklärten — über die empfundene wirkung selber
waren alle 5timmungs- und 5timmfähigen jederzeit im Reinen.

deu kunstkritischen Torero die roten Tücher, mit denen
er den Gegner reizt.

Ästhetische Rlopffechterei ist für den produzirenden
Rünstler ebensowohl wie für denjenigen, der Runst-
werke genießen will, ziemlich wertlos, „()unnct n moi
je prekere peinture" hat Tourbet gesagt. Das
Trennen entspricht weder dem Geiste künstlerischen
Schaffens, itoch fördert es den Linblick in das wesen
des letzteren, die ausübende Runst kennt die scharfen
Trennungen, welche die wissenschaft zum Zwecke der
verstandesmäßigen Durchdringung des ^toffs aufzu-
stellen gezwungen ist, nicht, weder in den werken, die
sie produzirt, noch in dem prinzipiellen Standpunkt
der Urheber dieser werke. Runstwerke, die sich als
rein idealistische oder naturalistische bezeichnen ließen,
finden sich ebenso wenig, wie Rlenschen, die man als
reine Zdealisten oder Naturalisten bezeichnen könnte;
hier besteht ein fortwährendes Übergreifen und Zn-
einanderfluten.

Gine Lrklärung des Naturalismus, die sich auf
diese Lrkenntnis stützt, wird daher für denjenigen, der
sich praktlsch mit künstlerischen Dingen beschäftigt,
fruchtbringender werden und den Linblick in das
wesen künstlerischen Schaffens besser fördern, als jene
ästhetischen Betrachtungen, die das Gegensätzliche
hervorheben.

wir haben Zdee und Natur als untrennbare
Llemente jedes Runstschaffens zu betrachten. Die
Natur als solche zu geben, ist unmöglich; denn die
Strahlen der wirklichkeit treten nicht ungebrochen
ins Bewußtseiil und verlassen dasselbe auch nicht un-
gebrochen: die wirklichkeit wird umgestaltet, und zwar
in der Nichtung auf ein Ziel hin, das durch die
individuellen Gntwickelungsgesetze bestimmt wird; solche
Ziele nennen wir Zdeen. Auch der radikalste Naturalist
kanil sich ihrer nicht entäußern, andererseits kann
aber auch der Zdealist die Formen der wirklichkeit
nicht umgehen. Auch er ist an jenes Lntwickelungs-
gesetz gebunden, je mehr er dasselbe im Runstwerk
zum Ausdruck bringt, je klarer er das Ziel schaut,
um so Lsöheres wird er schaffen. Der Naturalist da-
gegeil sucht im eugeren Anschluß an die wirklichkeit,
durch iilniges versenken in ihre Lrscheinungswelt, die
Spur des Naturgesetzes.

Zdee und Natur sind daher ilicht als Gegen-
sätze, sondern als unerreichbare Grenzwerte einer
unendlichen Neihe zu betrachten, als deren einzelne
Glieder uns die ins Nnendliche variirenden künstlerischen
j)ersönlichkeiten gelten. Die Nlitte wird hier den
Höhepunkt bezeichnen und sie ist von beiden ^eiten
aus gleichmäßig erreichbar. An den Grenzen aber
stehen auf der einen Seite die leere Schablone, auf
der andern rohe Formlosigkeit. Hermann Gichfeld.


Zücberei.

Dramatisch: durch das wort, durch gehörte Rede und Gegen-
rede, durch geschaule löandlung und Gegenhandlung soll sich
das Stück als ein Stück weltlauf, das im handelnden Menschen
seinen bewegenden Mittelpunkt hat, vor uns abspielen. Für
das lsören und Schauen der Masse sind bestimmte Gesetze
maßgebend, deren zusammenstimmender Einklang die wirkung
des 'Theatralischen ergicbt. Nach diesen Grundsätzen nnter-
zieht Bulthaupt die genannten Dramatiker des neunzehnten

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