Svpeites Nprll-Dett lS9t.
l4. Stück.
Lrscbelnl
am Anfang und in der Mitte
Derausgeber:
zferdinand Avenarius.
Kesrellpreis:
vierteljährlich 2^/9 Mark.
4. Zabrg.
Zst die Lirckitektur eiue Ikuust?"
jMAß^^ie Architektur steht ganz abseits von allen
Rünsten" oder „die Architektur ist
^^^Wkseigentlich gar keine Aunst" — das sind
Mt?^W^Aussprüche, die man ost hören kann. Die
Ästhetiker sind häufig ratlos, welche Stellung sie der
Architektur im System der Aünste anweisen sollen.*
Dieser rechnet sie zu den schönen „sreien", jener zu
den „anhängenden", „unfreien" oder „nützlichen"
Aünsten. Dieser zählt sie zur plastik, jener zur „Tek-
tonik" (dem Aunstgewerbe), dieser saßt sie mit der
Gartenkunst, jener gar mit der Musik zu einer Gruppe
zusammen. Aber den bequemsten Standpunkt vertritt
doch Arno Lsolz in seinem neuesten Buche: „Die
Runsr, ihr lVesen und ihre Gesetze" (Berlin t89t,
Ißleib). Alipp und klar erklärt er, die Architektur
sei überhaupt keine Runst.
lVelchen Sinn, welche Berechtigung hat die Frage:
ist die Architektur eine Aunst?
Verständigen wir uns zuvörderst über die ver-
wendung des Begriffes „Runst". Ghne Nücksicht aus
die Sonderbestimmungen einzelner Ästhetiker können
wir dem gemeinen Sprachgebrauch zu Folge eine drei-
fache Bedeutung unterscheiden: eine weiteste, eine
mittlere, eine engste. s)n seiner weitesten Bedeutung
ist das wort „Runst" einfach das Substantio von
„Rönnen". In diesem Sinne spricht man von der
Bildhauerkunst ebenso wie von der zahnärztlichen Runst,
von der Reit-, Turn- und Fechtkunst, von der Schuh-
macherkunst, von der Rochkunst, von der Aunst reich
zu werden usf. Ls ist selbstverständlich, daß wir uns
mit diesem Begriff nicht zu befassen haben.
In der zweiten Bedeutung umfaßt Aunst den In-
begriff aller menschlichen Thätigkeiten, welche darauf
abzielten, in irgend einer weise, sei es als Lsaupt-, sei
* vgl. den hierüber handelnden Aufsatz Ld. von bsart-
manns in seinem lVerke: „Die dentsche Ästhetik feit Aant."
es als Nebenzweck, ein ästhetisches wohlgefallen zu
erregen. In diesem Sinne würden also zu den Rünsten
die Gärtnerei, die Nedekunst, die Tanzkunst, die Feuer-
werkerei, das Aunsthandwerk, die Schauspielkunst eben-
so zu rechnen sein, wie die Asalerei oder die Musik.
Mit allen diesen Aünsten wird sich —- neben dem
Naturschönen — eine wissenschaftliche Ästhetik zu be-
fassen haben. Naturgemäß stellte sich das Bedürfnis
nach einer Tinteilung und einer Nangabstufung dieser
Rünste ein. Die wichtigste Unterscheidung ist die
zwischen „freien" und „dienenden" Rünsten. während die
werke der freien Rünste lediglich ästhetischen Zwecken
dienen, verfolgen die werke der dienenden Rünste in
erster Linie praktische Zwecke. Stellt man nun die
Frage, ob die Architektur eine freie oder eine dienende
Aunst sei, so kann bei unbefangener Beurteilung ein
Zweifel unmöglich aufkommen. Auf Grund dieser
Linteilung steht die Architektur durchaus auf einer
Linie mit dem Runstgewerbe und der Gärtnerei: sie
ist eine dienende Aunst. Denn selbst, wenn ein Bau
einen wirklichen praktischen Zweck nicht besitzen sollte
— man denke an Ghrenpforten, Gartentempelchen,
Linsiedlerhäuschen — muß er zum mindesten vorgeben,
einen solchen zu haben.
Trotzdem sind immer und immer wieder Be-
strebungen seitens der Ästhetiker aufgetaucht, die Archi-
tektur zu den freien schönen Rünsten zu zählen. Der
Grund lag in einer gewissen Geringschätzung aller
dienenden Rünste; man wünschte diese am liebsten ganz
aus dem Bereiche der Ästhetik verwiesen, sah sich
aber doch gleichzeitig genötigt, der Architekrur, die zu
allen Zeiten eine so hervorragende Nolle in Runst-
und Rulturgeschichte gespielt hat, den Lharakter als
Runst zu wahren. Aber alle die so verschiedenartigen
und mannigfaltigen Gründe, welche angezogen wurden,
um die Architektur der Gruppe der freien schönen
— 20s —
l4. Stück.
Lrscbelnl
am Anfang und in der Mitte
Derausgeber:
zferdinand Avenarius.
Kesrellpreis:
vierteljährlich 2^/9 Mark.
4. Zabrg.
Zst die Lirckitektur eiue Ikuust?"
jMAß^^ie Architektur steht ganz abseits von allen
Rünsten" oder „die Architektur ist
^^^Wkseigentlich gar keine Aunst" — das sind
Mt?^W^Aussprüche, die man ost hören kann. Die
Ästhetiker sind häufig ratlos, welche Stellung sie der
Architektur im System der Aünste anweisen sollen.*
Dieser rechnet sie zu den schönen „sreien", jener zu
den „anhängenden", „unfreien" oder „nützlichen"
Aünsten. Dieser zählt sie zur plastik, jener zur „Tek-
tonik" (dem Aunstgewerbe), dieser saßt sie mit der
Gartenkunst, jener gar mit der Musik zu einer Gruppe
zusammen. Aber den bequemsten Standpunkt vertritt
doch Arno Lsolz in seinem neuesten Buche: „Die
Runsr, ihr lVesen und ihre Gesetze" (Berlin t89t,
Ißleib). Alipp und klar erklärt er, die Architektur
sei überhaupt keine Runst.
lVelchen Sinn, welche Berechtigung hat die Frage:
ist die Architektur eine Aunst?
Verständigen wir uns zuvörderst über die ver-
wendung des Begriffes „Runst". Ghne Nücksicht aus
die Sonderbestimmungen einzelner Ästhetiker können
wir dem gemeinen Sprachgebrauch zu Folge eine drei-
fache Bedeutung unterscheiden: eine weiteste, eine
mittlere, eine engste. s)n seiner weitesten Bedeutung
ist das wort „Runst" einfach das Substantio von
„Rönnen". In diesem Sinne spricht man von der
Bildhauerkunst ebenso wie von der zahnärztlichen Runst,
von der Reit-, Turn- und Fechtkunst, von der Schuh-
macherkunst, von der Rochkunst, von der Aunst reich
zu werden usf. Ls ist selbstverständlich, daß wir uns
mit diesem Begriff nicht zu befassen haben.
In der zweiten Bedeutung umfaßt Aunst den In-
begriff aller menschlichen Thätigkeiten, welche darauf
abzielten, in irgend einer weise, sei es als Lsaupt-, sei
* vgl. den hierüber handelnden Aufsatz Ld. von bsart-
manns in seinem lVerke: „Die dentsche Ästhetik feit Aant."
es als Nebenzweck, ein ästhetisches wohlgefallen zu
erregen. In diesem Sinne würden also zu den Rünsten
die Gärtnerei, die Nedekunst, die Tanzkunst, die Feuer-
werkerei, das Aunsthandwerk, die Schauspielkunst eben-
so zu rechnen sein, wie die Asalerei oder die Musik.
Mit allen diesen Aünsten wird sich —- neben dem
Naturschönen — eine wissenschaftliche Ästhetik zu be-
fassen haben. Naturgemäß stellte sich das Bedürfnis
nach einer Tinteilung und einer Nangabstufung dieser
Rünste ein. Die wichtigste Unterscheidung ist die
zwischen „freien" und „dienenden" Rünsten. während die
werke der freien Rünste lediglich ästhetischen Zwecken
dienen, verfolgen die werke der dienenden Rünste in
erster Linie praktische Zwecke. Stellt man nun die
Frage, ob die Architektur eine freie oder eine dienende
Aunst sei, so kann bei unbefangener Beurteilung ein
Zweifel unmöglich aufkommen. Auf Grund dieser
Linteilung steht die Architektur durchaus auf einer
Linie mit dem Runstgewerbe und der Gärtnerei: sie
ist eine dienende Aunst. Denn selbst, wenn ein Bau
einen wirklichen praktischen Zweck nicht besitzen sollte
— man denke an Ghrenpforten, Gartentempelchen,
Linsiedlerhäuschen — muß er zum mindesten vorgeben,
einen solchen zu haben.
Trotzdem sind immer und immer wieder Be-
strebungen seitens der Ästhetiker aufgetaucht, die Archi-
tektur zu den freien schönen Rünsten zu zählen. Der
Grund lag in einer gewissen Geringschätzung aller
dienenden Rünste; man wünschte diese am liebsten ganz
aus dem Bereiche der Ästhetik verwiesen, sah sich
aber doch gleichzeitig genötigt, der Architekrur, die zu
allen Zeiten eine so hervorragende Nolle in Runst-
und Rulturgeschichte gespielt hat, den Lharakter als
Runst zu wahren. Aber alle die so verschiedenartigen
und mannigfaltigen Gründe, welche angezogen wurden,
um die Architektur der Gruppe der freien schönen
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