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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 4.1890-1891

DOI issue:
Heft 10 (2. Februarheft 1891)
DOI article:
Wolff, Eugen: Ein Spielplan für das deutsche Theater
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.11725#0152

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Lweites zfebruar-Dett tS9t.

10. Stück.

Lrscbetnt

Derausgeber:

zferdinaud Rveuarius.

Kesrcllprets:

vierteljährlich 2 i/z Mark. H..

Ltn Lpielplrnl kür das deutscbe Tbenter?

Zukunft des köuiglicheir Schauspielhauses
in Berliu wird seit der Lntlassuug G. De-
vrients aus der Direktiou vielfach erörtert.
Diese Zukunft hängt meines Lrmessens zu-
nächst von einer Neuorganisation ab, welche die
dramaturgische Leitung von der schauspielerischen
scheidet, damit feder dieser beiden töauptfaktoren der
Theaterführung gleich sachkundig vertreten wird.
Selbstverständlich ist es aber, daß nicht durch rein
organisatorische Neformen allein die königliche Bühne
wieder zur Lsöhe eines Runstinstituts ersten Nanges
erhoben werden kann; sie bilden, wie ich alsbald be-
tone, die vorbedingung zur Lntfaltung neuer Rräfte,
den fruchtbareil Boden, aus welchem ueues L^eben
sxrießen kann. Tritt auf diesen Bodeil der Maim,
welcher die kVünschelrute zu schlagen versteht, so
wachsen die neuen Blüten empor; in der That be-
deutet oft ein Mann ein sDrogramm. Da wir indeß
auf dramaturgischenl Gebiete heute nicht reich an
solchen führenden Geistern sein dürften, müssen wir
uns mit der Untersuchung bescheiden, mit welchen
Uütteln auch eine minder tonangebende Rraft auf
dem so vorbereiteten Boden Trsprießliches leisten
kanil. N)ir sind mit andern worten vor die Lrage
gestellt: nach welchen dramaturgischen Grundsätzen
muß heute eine Bühne ersten Nanges verfahren, die
sich nicht unter der außergewöhnlichen Lieitung eines
genialen Bahnweisers befindet?

Zwei ^auptströmungen durchziehen die dramatische
j)roduktion, eine historisch-heroische und eine inodern-
soziale; beide erchalten unablässig bei uns Zufluß, ohne
daß es doch diesen seichten Bächlein gelingt, das
breite Strombett eines Zahresrepertoires auszufüllen.

* lvir möchten auch den nachfalgenden Anregungen gegen-
über ausdrücklich bemerken, daß wir sie gern als Linleitung
eines Meinungsaustauschs betrachtet sähen. K.-L.

Die Muse des historisch-heroischen Dramas hat
es unser ganzes Zahrhundert hindurch als ihre natür-
liche s)flicht angesehen, dem hohen s)athos Schillers,
seinem idealistischen Schwung, seiner Verklärung der
IVeltgeschichte nachzueifern. Nild doch belegte die
historische Nritik schon seit Zahrzehilteil diese stilgerech-
teil Zambentragödieil mit dem Lluchwort „Txigonen-
tum", uild doch versagte dieser sunge Zuzug der
alten Garde im Bühnenfeuer immer auf die Dauer.
Trgiebt sich daraus nicht eine beherzigenswerte Lehre?
Schiller bezeichnet einen bsöhepunkt des deutschen
Zdealismus; seinen N)eg kännte nur nlit Trfolg be-
treten, wer mit ihm auch zu wetteifern wagen darf.
Zudem hat die Zeit, der Nültter- und Nährboden
aller Dichter, seit ^-chillers Tod ihren Tharakter
wesentlich geändert: nicht mehr philosophische Fragen
und Bildungsinteressen stehen inl Vordergrunde unseres
nationalen Lebens, fondern die realen Faktoren der
xolitischen und sozialen Zustände. Das s)ublikum
sieht unter diesen Unlständen die bselden der Geschichte
durchaus uicht mehr in überirdischem Glanze; es
weiß, daß auch sie den Gesetzen der Virklichkeit unter-
worfen, auch sie nur — wenn auch noch so hervor-
ragende — Trzeugnisfe der fie umgebenden Verhält-
nisse sind. Daraus ergiebt sich für das geschichtliche
Drama die Nötigung, mit dem in der Gegenwart
spielenden ^chauspiel wetteifernd die sozialen Zustände,
d. i. den kulturgeschichtlichen Tharakter der darge-
stellten j)eriode als Grundlage der poetischen Zeich-
nung zu wählen, um durch sie den kfelden in die
rechte Beleuchtung zu rücken. Da die Lebensformen
entlegener Zeiten unserer Nultur ineist fremd sind, so
eröffnet sich nwl — selbstverstäudlich ohne Ausschließ-
lichkeit — in der neuesten Geschichte, namentlich auch
unseres Zahrhunderts, die besonders ergiebige Guelle
dramatischer Stoffe. N)o immer sedoch der Dichter



— l-lS —
 
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