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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 4.1890-1891

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Heft 22 (2. Augustheft 1891)
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Mielke, Robert: Streifzüge auf Gartenbauausstellungen
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11725#0346

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lassen, um durch ihren erzieherischen Linfluß mehr und der Runst zu treten mit Leistungen, die unmittelbar
mehr aus dem Gebiete des bloßen Gewerbes in das überzeugend als Schöpsungen reiner Schönheit wirken.

Ikobert /ibtelke.

Allaemeineres. 1KUNdS I) U.

* Zndwldualität und volkstüinlicdkett iil

dev IKllNSt. In der „Deutschen Rundschau" ver-
öffentlichte soeben Gtto Seeck unter der Überschrist
„Zeitphrasen" eine Reihe von Aufsätzen über die
wiclfligsten der j?robleme, die „Nembrandt als Gr-
zieher" behandelt — 2lufsätze, die zum Sachlichsten
unter dem vielen gehören, was vom gegnerischen
Standpunkte aus über Langbehns Buch gesagt ist.
Als sür unsere Leser besonders prüsenswert unter-
breiten wir ihnen heute den Abschnitt„Individualität und
Volkstümlichkeit in der üunst".

„Unser «Deutscher» verlangt, daß die Uunst
individuell sei; zugleich sordert er, daß sie nicht nur
dem Genuß der Renner und Leinschmecker diene, son-
dern ihre wirkung auch über die breiten Massen des
volkes ausdehne. Beides erscheint auch uns natür-
lich sehr wünschenswert; es fragt sich nur, wie weit
es vereinbar ist. Die Antwort muß die Grsahrung
geben; hören wir also, was sie über die Volkstüm-
lichkeit jeder einzelnen Uunst zu berichten weiß.

Unter den Malern der alten Zeit ist keiner so
populär wie Rasael. Tritt man in die gute Stube
eines behäbigen Bürgerhauses, so kann man sast mit
Sicherheit daraus rechnen, über dem Sopha die six-
tinische U'ladonna zu erblicken. Selbst in den Bauer-
hütten sieht man sie häufig in bsolzschnitt oder Larben-
druck; sie ist das beliebteste und bekannteste Bild, das
überhaupt existirt. Aber auch von der Madonna mit
dem Sessel und mit dem Lisch, von der Ureuztragung
und der vermählung U'lariä wird man Nachbildungen
häufiger begegnen, als von irgend einem Werk irgend
eines anderen Ukeisters. Gäbe es eine Statistik des
Runsthandels, so würde sie wahrscheinlich lehren, daß
Ahotographien und Rupferstiche nach Rasael in größerer
Zahl verkaust werden, als nach allen übrigen Uünstlern
der srüheren Zahrhunderte zusammengenommen. Und
doch ist er der wenigst individuelle von allen Uwlern,
welche die Aunstgeschichte an hervorragender Stelle
nennt. Die Merke seiner frühesten Zugend lassen sich
von denen des j)erugino kaum unterscheiden; die
sdorträts seiner Llorentiner Zeit ahmen in üallrmg
und Auffassung Lionardos Gioconda nach; die Uwdonna
mit dem Baldachin könnte man sast sür einen Lra
Bartolommeo halten; bei dem Violinspieler ist es jetzt
noch streitig, ob er nicht vielleicht dem Sebastiano del
jAombo airgehöre; die ^ibxllen, der ÜAiodor und der
Borgobrand sind ganz im Stile Unchelangelos ge-
halten, und in den Werken, in welchen Rafael am
meisten als er selbst erscheint, besteht seine Gigenart
doch kanm in etwas Anderem, als in der glücklichsten
Verschmelzung und seinsten Ausgleichung aller der
Tinflüsse, denen er sich sonst einzeln hingegeben hatte.
Utan kann ihn, wenn man will, einen Gpigonen
nennen, denn kein namhafter Uünstler war in höherem
Grade Nachahmer; doch besitzt er die beispiellose
Eigenschast, daß er seine Griginale, ohne sie gar zu
sehr zu verändern, in der Ropie sast immer er-
höht und verschönt. Lr ist ein verklärter j)erugino,

ein durchgeistigter Lra Bartolommeo, ein veredelter
Sebastiano, ein gemilderter Uttchelangelo; Lionardo
ist der Linzige, den er nicht nachahmend zu über-
treffen vwmochte. Dürer und Nembrandt waren viel
originellere Geister, ja vielleicht die individuellsten
Rünstler aller Zeiten, aber populär sind sie keines-
wegs. wo man an der wand Nachbildungen ihrer
werke hängen sieht, da wird eine feine Nase immer
Ltwas von dem «Leichengeruch der Rennerschast» im
^ause wittern. Und wie steht es mit den modernen
Utalern? Nicht die von krastvoller Ligenart, ein
Tornelius, ein Uienzel oder Böcklin, sind die Lieblinge
des j?ublikums, sondern Raulbach und Thumann,
j?lockhorst und j)fannschmidt, Uieyerheim und Dieffen-
bach prangen an allen wänden oder bedecken in
jDrachtmappen die Tische unserer Salons. U7an hänge
einmal Rembrandts lachende Saskia und eines jener
sadschönen Lrauenköpschen, wie sie paul Thumann
zu sertigen pflegt, neben einander und frage dann
ein unschuldiges Gemüt, das von keiner Art der
Rennerschaft angekränkelt ist, welches Bild ihm besser
gefalle: wer kann zweifeln, wie die Antwort lauten wird?

was die sslastik zum chchmucke unserer U)ohn-
räume beiträgt, beschränkt sich fast ganz auf Abgüsse
nach der Antike und nach ihrem treuesten und wenigst
originellen Nachahmer, Thorwaldsen. Die U'leister,
welche' nicht ein allgemeines Schönheitsideal lxpisch
wiederholt, sondern die Glut ihrer eigenen cheele in
die Bronze oder den Ukarmor ergossen haben, Dona-
tello, Verrocchio, selbst Uiichelangelo, sind der Ukasse
der Gebildeten kaum dem Namen nach bekannt.

Von der Architektur rede ich nicht; denn wer Bau-
werke betrachtet und bewundert, der thut es meist
nach dem Bädecker, d. h. nach dem Urteil von dessen
kunstverständigen Mitarbeitern. volkstümlich ist diese
Runst überhaupt nicht. Desio mehr die Musik; aber
wer hätte je Melodien des individuellsten Tondichters,
Beethoven, auf der Drehorgel spielen oder aus der
Straße von einem Vorübergehenden pfeifen gehört?
j?opulärer sind wagner und Schubert, noch mehr
Haxdn, Uwzart, lVeber, am meisten Auber, Verdi
und — Gffenbach. Die wirkung ins Breite steht
also genau im umgekehrten verhältnis zur Tntwicklung
der Tigenart.

Und isi es in der j?oesie etwa anders? N)ar
Goethe jemals populär? welches seiner Lieder ist
so in aller Ulunde, wie Heines Lorelei oder auch
Nudolph Baumbachs Lindenwirtin? Lreilich thut es
ihm Abbruch, daß er gerade von Beethoven komponirt
ist, nicht von Silcher oder Ulendelssohn. Aber auch
von seinen Dramen wird keines so sehr beklatscht wie
etwa wildenbruchs Guitzows, von seinen Nomanen
keiner so viel gelesen wie Tbers' Rönigstochter. «Ver-
stand ist stets bei wenigen gewesen,» und ebenso Runst-
verständnis. Die Lebensäußerungen großer Zndivi-
dualitäten nachzuempfinden, ist wahrlich nicht die ^ache
der Ulasse, und dies liegt nicht etwa an der «falschen
Bildung» unserer Zeit, über die man so viel zu klagen
 
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