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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 4.1890-1891

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Heft 20 (2. Julheft 1891)
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Avenarius, Ferdinand: "Volkskunst"
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11725#0316

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sundheit verspricht, der mag's tbun. wer glaubt,
daß iinmer neue Museen und Lehranstalten uns viel
helsen, so lange wir's treiben, wie wir's setzt treiben,
der mag's glauben. wer in möglichst vielen Staats-
bestellungen möglichst kostbarer Luxusgegenstände den
größten Segen siehtz mag ihn dort sehen. wir thun's
nicht. w i r können uns eine für die künstlerische wie
sür die wirtschastliche Rultur unseres vaterlands mit
Sehnsucht zu erwartende Blütezeit unseres Runstge-
werbes nicht vorstellen, wenn es nicht aus einer all-
aemeineren Teilnahme der Nation sich nährt, wenn
nicht möglichst vielen Talenten die Gelegenheit ge-
geben ist, erkannt zu werden, und wenn es nicht zur
vollen Griginalität des Schaffens kommt. s)hm
diese drei Bedingungen des Gedeihens zu erwerben,
dient eben, so glauben wir, nichts besser, als die
„Volkskunst".

Als wir nach „der kaiserlosen, der schrecklichen
Zeit" wieder ein Runstgewerbe erhielten, da war die
Teilnahme an ihm lebhaster, als sie jetzt ist. Sie wird
wieder lebhaster werden, wenn die Liebe auch noch
bei anderen, als dem Mann mit dem großen j)orte-
monnaie, nicht gar zu platonisch zu sein braucht.

Soll ich erst viel darüber sprechen, in welchem
Waße das Lrkennen der Talente im volke, das „Durch-
sieben", wenn ich so sagen darf, auf künstlerische Be-
gabung hin, erweitert und erleichtert wird, wenn die
künstlerische Thätigkeit in Handwerk und Gewerbe so
viel weitere Rreise zieht?

Schon jetzt wirken im Runstgewerbe eiue Lülle
vou Talenten, wie allgemein anerkanut wird, und
wahrlich nicht über Talentlosigkeit seiner Zeichner und
Aussührer haben wir uns beklagt, sondern darüber,
daß diese durch die erwähnten Verhältnisse so ost ge-
zwungen sind, aus Zrrwegen herumzulaufen.

Und nun stelle man sich einmal ein Runstgewerbe
vor, das, wie unsere „volkskunst", von Luxus absieht,
das absieht von dem Bemühen, irgend eine historische
Stilart möglichst „echt" nachzuahmen, absieht von der
„Zmitation" überhaupt, das streng dem Bedürfnis
der Abnehmer sich anpaßt und unsere heimischen ver-
hältnisse zu gestalten, unsere pslanzen- und Tierwelt
zu benutzen sucht, das statt aller auderen Lragen sich
vor jeder Ausgabe die stellt: was soll dies Gerät,

welchem Zwecke dient es und wie drücke ich beides
durch seine Lorm am einfachsten aus. Schon daß
die versuchungen, irgendwo zu prunken oder irgend-
wie das herrliche „stilvoll" im genugsam bekannten
Sinne als Lhrentitel zu verdienen, von vorn herein
ausgeschlossen sind, würde wollen und Rönnen aus das
Lntschiedenste dem Wesentlichen in der Sache zu-
wendcn. Zn viel höherem waße würde man lernen,
wirklich stilgemäß zu schaffen, d. h. die Lormengebung
der Lharakteristik dienstbar zu machen.

<Ls wird sich wohl noch die Gelegenheit fiuden,
davon einmal eingehender zu reden. Zetzt genügt
der bsinweis daraus, wie gründlich die Herren die
Sachlage verkennen, die unsere neue Bewegung ent-
standen wähnen aus Leindschaft gegen das Luxuskunst-
gewerbe. weit entfernt davon, die „volkskunst" zu
diesem in einen Gegensatz zu stellen, betrachten wir
sie vielmehr zu ihm auch als den notwendigen
Unterbau, aus dem es erst sest und sicher empor-
wachsen kann. Nur ein Runstgewerbe, das gelernt
hat, schon durch belebende Tharakteristik allein künst-
lerisch sich auszudrücken, wird sich auch der Luxus-
werte stels sicher vor der Gefahr bedienen, kaltes
Blenden des j)runks sür strahlendes Leuchten der
Schönheit zu geben.

Zch wies aus Zlgs Besprechung der Hamburger
„Beiträge" als auf ein Zeichen der Leidenschaftlichkeit
und der aus ihr hervorgehenden Ungerechtigkeit hin,
mit welcher man in weiten Rreisen der jungen Be-
wegung gegenübersteht. Die Runst- und kunstgewerb-
lichen Zeitschriften schweigen sie mit Ausnahme der
meinen und natürlich der sie vertretenden Hamburger
„Beiträge" einsach tot. Aber eine Anzahl trefflicher
Gelehrter wie Rünstler steht uns doch schon zur Seite,
in verschiedenen Ltädten schlossen oder schließen sich
die Lreunde der „volkskunst" zu gemeinsamem vor-
gehen zusammen, auch kunstgewerbliche Lehranstalten
beginnen schon da und dort, sich uns zuzuwenden: die
Bewegung schreitet vor. Zch konnte ihre Absichten
heut nur mit wenigen Ltrichen andeuten und bin weit
entsernt von dem Glauben, ihre Berechtigung durch
das Gesagte schon Zedermann bewiesen zu haben.
wir haben die letzten worte darüber noch nicht ge-
sprochen. Möge eine lusiige polemik die Sache, uns
Allen zum vorteil, klären. F. N.

Nundscbuu

Dicdtung.

-X- Gsllllv von Ncdvvitz ist soeben von schweren
Leiden durch den Tod erlöst worden. Line unpar-
teiische Geschichtsschreibung der deutschen poesie wird
seinen Namen mir Achtung nennen, nicht aber ver-
hehlen können, daß dieser Name bei Lebzeiten des
Dichters weit bekannt wurde nicht so sehr hoher
Runstleistungen wegen, als weil vom Auftreten bis
zum Lebensende des Abannes seine Thätigkeit irgend
einer j)artei des politischen Lebens willkommen war.
„Amaranth", jenes werk, das den damals Zugend-
lichen zuerst weit, weit bekannt machte, künstlerisch ein
süßlich flötendes Rind mit schwachem Nückgrat, paßte
wunderbar gut in eine wirklichkeitsfremde Nückwärt-
serei — man braucht sich nicht des alten chcherr
derbes Schelten anzueignen auf dies „Geköch von aus-

-

gewärmten Louqus-Rohl für Gänse und Gänseriche",
um nur aus einer Zeitstimmung heraus den Niesen-
ersolg des Buches begreiflich zu sinden. Zn späteren
Dichtungen zeigte sich Nedwitz zu freiheitlicher und
nationaler Gesinuung bekehrt. ^eine srüheren Lreunde
rieben sich verwundert die Augen, als sie ihn mit
Leuereiser sich gegenüber sechten sahen, und die Libe-
ralen jubelten über den neuen si)aulus. wenn aber
auch die Lrfahrung des älter Gewordenen seinen späteren
Dichtungen mehr welt- und Wirklichkeitskenntnis gab,
wenn eine kraftvollere Gesinnung, eine echtere NÜänn-
lichkeit aus ihnen sprach — man hätte auch sie nicht
im Lrnst als bedeutende werke ausrufen können,
hätte man nicht zum großen Teile die Tendenz für
! die Runstleistung genommen. Zudem gehörte Nedwitz

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