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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 4.1890-1891

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Heft 15 (1. Maiheft 1891)
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Rundschau
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Aus der Bücherei
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https://doi.org/10.11588/diglit.11725#0243

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Bauernmalerei als Stütze der künstlerischen Rraft ist
in Berlin für jeden, der nur eine blasse Ahnnng von
dem ausgeprägt hanxtstädtischen Mesen des Berliners
hat, undenkbar. Lbenso undenkbar ist in Berlin eine
Lntwicklung aus der religiösen Walerei angesichts
der Übermacht des der Beligion ganz frenid gewor-
denen Bationalismus. dlber anch einer Lrweiterung
des historischen chtoffgebiets scheinen sich in der Denk-
weise der Berliner Lstndernisse entgegenznstellen. Ber-
gleiche mit j?aris würden noch nnchr als diesenigen
mit Aiünchen ergeben, daß die Berliner Aunst in
ihren stofflichen Anregungen einer großen Beschränkung
unterliegt, daß ihr wichtige (^uellen verschlossen bleiben.
^lllein dieser Mangel bedeutet nur vermehrte chchwierig-
keiten der «Lntwichlung, aber keineswegs, wie man
schon behauptet hat, dauernde Üiudernisse, welche der
bildenden Annst durch die ganze Lebens- und Denk-
weise Norddeutschlands erwachsen sollen. Berlin wird
eben an der chtelle seines bisherigen halt- und xlan-
losen Lklektizismus eine ausgexrägte chonderart als
norddeutsche chchule entwicheln müssen, die, denr Um-
fange des chtoffgebiets nach, gegen j?aris uud A7ünchen,
beschränkt, bei ernster technischer Durchbildung doch
von der größten künstlerischen Bedeutung werden kann,
denn die ernste technische Durchbildung wird auch die
geistige Bertiefnng bringen. Da tritt uns nun aber
eine nene und zwar die wichtigste Lrage entgegen.

s)n Berlin verändert sich sichtlich innner mehr der
ganze Lharakter des öffentlichen Lebens, aber augen-
blicklich sind die Überlieferungen der königlich xreußi-
fchen chanxt- und Nesidenzstadt doch noch maßgebend.
Der chtil der Berliner Gesellschaft ist xrunkvoller ge-
worden nnd auch innerhalb des chalons freier, be-
weglicher. Aber der Grundpfeiler des geistigen Liebens
steht iwch im — Salon. Die häusliche Geselligkeit
der alken norddeutschen Gewöhnung ist Ausgangs-
und Gndxunkt des ganzen Cebens der bessern chtände.
Das hat mancherlei Dorzüge vor der süddeutschen
Art einer Geselligkeit im Aaffeehause nnd auf denr
chommerkeller. Aber für dei: Rünstler grade ist diese
Liebensart ein tiefer Schaden, ja, Gift. ^luch der
Akünchener Aünstler steht dem feinern chalonleben nicht
fern, wie man in Norddeutschland wohl ineint, aber
es ist für ihn eine zufällige Nebensächlichkeit, die in
seinem Leben gar keine Nolle sxielt, sein Nünstler-
dasein durchans nicht beeinflußt. Gbenso fällt es dem
flllrriser Nünstler nicht ein, seineir eigentlichen Lebens-
inhalt außerhalb der bverkstatt und des regen Ber-
kehrs und Geistesanstausches mit Zunftgenossen zu
suchen. Gr ist im chalon innner nur der Gast aus
fremdem Lande, der seine Lseiinat anderswo hat.
Zn beiden Runststädten denkt daher niemand daran,

sich für Rnnstwerke zu begeistern oder sie zu übersehen,
je nachdem der Nünstler ein guter Bekannter aus ge-
selligen Nreisen oder ein xersönlich Lremder ist. In
Berlin aber sxielen die gesellschaftliche chtellung eines
Rünstlers, seine Lamilienbeziehungen nnd Gönner-
schaften eine unheilvoll große Nolle. Ls giebt dort
tyxische Liguren, die ihre große Beliebtheit wesent-
lich ihrem Lrack verdanken. Äe sind angenehme
fl)lauderer, gute Anekdotenerzähler, geben als «Nünstler»
dem chalon der chausfrau vorzügliche Staffage, machen
den Damen den bsof unter pikanten Bedingungen
einer gewifsen Lreiheit, die man ja bei einem
«Nünstler» hinter dem Lächer kichernd dulden kann.
Ginzelne derselben entwickeln die Birtuosität eines
echten Neklamevirtnosen in der Ausschlachtung solcher
Lrackerfolge. Die «Gesellschaft» aber, die kunstsinnigen
Damen voran, bewundern in der Ausstellung das
N)erk ihres Bratenlieblings, von eincm chalon zum
andern geht die Lrage: «Wie gefällt Ihnen das
neueste Bild des N. N. ?» Nkan lobt, man kritisirt,
man sxielt den Rünstler des eigenen Salons gegen
den der Lreundin aus usw. Das werk des Nünstlers,
der nicht «vorgestellt» ist, hat aber überhauxt kein
ernstliches Interesse, ja, selbst bei in Berlin ausstellen-
den Münchener Nünstlern sind eigentlich nur die Merke
derjenigen «interessant», deren Atelier man gelegent-
lich der chommerreise besucht hat.

In diesen Zuständen, die leider auch in der öffent-
lichen Nritik nachklingen, liegt die Nrsache des chtill-
standes, des schlaffen kvesens der Berliner Nunst, die
Ursache, warum es in Berlin jungen Nünstlern so
schwer wird, durchzudringen, während in Nkünchen
sich das 2lugenmerk vor allem auf die Iugend richtet
und fast jede Ausstellung einen neuen «Namen» m
die Nüelt bringt. Ze mehr aber Berlin in den breitern
Lharakter einer Weltstadt sich einlebt und dabei immer
mehr grade die freiern Lebensformen des süddeutsch-
österreichischen Wesens aufnimmt und eigenartig zu
glänzenden, reichern chitten verarbeitet, desto mehr
wird man dazu kommen, in der Nunst das «Werk»

! zu sehen, das nnxersönlich seinen Grfolg dem wesen-
losen Lluidum verdankt, das aus der Gmxfindung der
Tausende, die es beschauen, sich zum öffentlichen Urteil
gestaltet und jenen Überrest altberlinischer chalonschön-
geisterei nicht mehr mit einem wahrhaftigen Nunst-
leben verwechseln. Dann werden die von allen
Gönnerschaften freien Berliner Nünstler nicht mehr
ihre Laufbahn der Art vsrdanken, wie sie sich beim
Abendessen verhalten, sondern der Art, wie sie malen
können. Die Ausstellnng wird entscheiden, ob Berlin
i schon so weit ist, diese Gntwicklung des Nunstlebens
sofort anzubahnen. Nflir glauben es."

Llus der Wüclieret

lkinder- und Dnusmürebeu, gesannnclt durch die
Brüder Grim m. Berausgegeben von Ls erman Grimm.
Große Ausgabe. Berlin, bVilhelm chertz. — Ist es für einen,
der sich als §precher von Angehörigen des jüngeren Geschlechtes
giebt, leider jetzt nicht überflüssig, seine Lreude am werke
der Brüder Grimm zu betonen, fo darf der „Aunstwart" doch
wohl darauf verzichten, dies durch so und so viel §ätze zu
tbun. Last eine Anmaßung würde er seincrseits darin sehen,
dieses Buch noch „loben" zu wollen, dem jeder Deutsche von
Phantasie, kserz und gesundem Vcrstand fo vielcs verdankt,
selbst wenn er es, so wie es als löammclwerk ist, gar nicht
kennt. Uns bleibt der einfache bsinweis, daß die große
Ausgabe der Grimmschen Ainder- und Bausmarchen jctzt in j

einem trefflich ausgestatteten soliden Bande für gäer Mark
zu kaufen ist.

A-r LlU Goetbe-Ätruuss. Iugendgedichte Goethes nach
der Bandfchrist des Dichters von l?88, biographisch erläutert
von Üobert Aeil. Mit Illustrationen. Stuttgart, Deutsche
Verlagsanstalt. — In gewissem 5inne „poetische Bilder aus
Goethes stugendzeit", zu denen die Iugendgedichte die Unter-
schriften hergeben. !Vas Aeil in diesen Lrläuterungen zu
zwanzig Gedichten bietet, ist im Titel deutlich genug gesagt,
der Nachdruck liegt auf dem „biographisch" der Lrläuterungen,
die also nicht nach gebräuchlicher weise unmittelbar ästhetische
Lrläuterungen sein wollcn. ^o gewiß aber das Lied als
Ausdruck eines Innenlebcns auch ästhetisch feincr beurteilt



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