weshalb aber eine warm und schön gelünchte wand
die Schüler mehr zerstreuen solle, als eine kalt und
geschmacklos getünchte, ist doch kaum einzusehen, und
weshalb jene ein einsacher Gipsabguß mehr „ab-
lenken" sollte, als etwa das Bild aus irgend einem
Anschauungsunterricht, das dauernd daneben hängh
auch nicht. wär es im Anfang der Fall, so träte
hier wie dort sehr bald die Gewöhnung abstumpfend
gegen die Zerstreuung auf, während die wohlig be-
lebende und wenigstens die empfänglichen unter den
Schülern unmerklich miterziehende wirkung einer in
Farb und Linie unmittelbar anheimelnden Umgebung
Dauer hat. Die Stimmen, welche sie fordern, mehren
sich glücklicherweise von Monat zu wonat.
LprecbsuAl.
(Alnter sacblicber vernntwortung dcr Ltnscndcr.)
In Sachen der „Sprachsünden"
ron Theodar von Sosnosky sendet mir der !?erfasser eine
Lntqegnung, die ich aufnehme, weil die Sache von allgemeinerer
Bedeutung ist. Neiire Antworten auf seine Bemerkungcn
füge ich den betreffenden Stellen an.
„Nachdem (lies: da) in Nr. (9 Ihres Blattes inein Buch
«Sxrachsünden» so überaus abfällig besprochen worden ist,
werden Sie mir's nicht verdenken können, wenn (lies: daß)
ich darauf erwidere und Sie bitte, folgende Auseinandersetzung
aufzunehmen, in der ich den Beweis bringe, daß meine im
«Aunstwart» beanstandcten Behauptungen vollständig
richtig sind.
)ch hätte auf jcne Besprechung kaum reagirt, wenn sie
nicht ganz bestimmte Fälle rügte, und sich dabei Blößen gäbe,
die zu verführerisch sind, als daß ich sie nicht angreifen sollte.
So hält man mir vor, schon im Titel meiner Arbeit eine
Sprachsünde in meinem Sinne begangen zu haben, eine
„stchantasiesünde gegen die heilige Linheit des Bildes im
Sinne des «Aunstwarts»". Dieser meint, «Sprachsiinden»
könnten nicht als eine «Blütenlese» bezeichnet werden, wie ich
es gethan habe; ich frage ihn, ob er denn nie Ttwas von
«Stilblüten» gehört hat, einem worte, das allgemsin zur Be-
zeichnung stilistischer Vergehen gebraucht wird, auch wenn
man sich nicht bildlich ausdrückt, so daß es den ausschließlichen
Bildcharakter eingebüßt hat, wie z. B. das lVort «Bild selbst,
wcnn man es für eine Rcdefigur gebraucht; solche Stilblüten
aber habe ich gemeint, als ich meinem Buche zur zweiten
Bezeichnung den Namen Blütenlese gab. Wenn es, wie der
«Aunstwart» rneint, unrichtig ist, dem Titel «Sprachsünden- den
Beisatz zu geben: «Eine Blütenlese ans der dentschen Tr-
zählnngsliteratur»; dann dürftc man z. B. auch nicht schreiben:
«Zweites Aapitel: Falsche Bilder-, denn Aapitel und Bilder
find einander eben so fremde Begriffe wie ^ünden und
Blüten; übrigens, anch wenn man das wort Blütenlesc-
als Bild auffaßt, so kann es sich ganz gut mit L-prachsünden
vertragen, nachdem (lies: weil) in diesem worte kein Bild
liegt. Falsch dagegen wäre es, wenn der Titel einer Gcdicht-
sammlung z. B. hieße: «Geistesperlen, eine Bliitenlese.»"
Antwort: „5prachsünden, eine Blütenlese" ist ge-
nau so schlecht gesagt, wie „Geistesperlen, eine Blütenlese".
Den Zeitungsdeutschen haben wir's zu überlassen, daß sie
mit abgegriffener Sprachscheidemünze zahlen, wirkliche 5chrift-
steller sollen das 5prachgold neu prägen. Ts bleibt also da-
bei: „«die Blüten» kann ich z. B. von «5prachunkraut»
sammeln, aber nicht von «Sprachsünden»". lVer schon in
der Uberschrift seines Buches zeigt, daß er nicht einmal hier
die Bilder, welche die Alltagssprache ihm bietet, in ihrer Anschau-
lichkeit nachzubilden vermag, der verrät, daß er von der
künstlerischen Sprache, von der Sprache der flhantasie,
nichts verfteht.
„Sie finden es ferner «kraftvoll belebt», daß N. Voß ge-
schrieben: «Abfällt die kfülle, eintauchen die Glie-
d e r». Ich habe dies getadelt, denn es ist in der Prosa durch-
aus unstatthaft, trennbar zusammengesetzte worte ungetrennt
zu lassen, wo sie zu trennen sind. Der bekannte Sprachgelehrte
fdrofessor G. Andresen, an den ich mich in dieser Angelegenheit
eigens gewandt habe, hat mir bestätigt, daß ich vollauf im
Rechte bin."
Antwort: Vortrcfflich, fdrofefsor G. llndresen hat's ihm
bestätigt. Das ist die zahlungsfähige Meinung: was nicht in
Versen geschrieben ist, sei Prosa. So gewiß die angeführte
lVortstellung in jenem Falle anschaulicher ist, als die ge-
bräuchliche, so gewiß ist sic do rt am platze, und wenn ihr die
j?olizeitafel mit dem „Nnstatthaft" von hundert jdrofessoren den
Zutritt verbietet.
„!öie finden ferner ^torms ?lusdruck «im nackten
Vemde», den ich lächerlich-sinnlos genannt habe, «trefflich be-
zeichnend. 5-ie glauben wohl, wenn man nach Grimm und
Lerer sagen darf: im bloßen Vemde für: bloß im Vemde, so
könne man auch sagen: im nackten Vcmde, da «nackt- und
bloß- häufig miteinander wcchseln. Gut, dann müssen Äe
aber auch sagen können: im nackten Ueberrock odcr: im nackten
Verdachte, denn diescn beiden Fällen liegt für den wechsel
znnschen nackt und bloß- dieselbe Berechtigung zu Grunde
wie jenem. Icder Mensch aber wird diese Formen als ur-
lächerlich bezeichnen; warum soll also gerade «im nackten
lhemde» nicht lächerlich, ja sogar «trefflich bezeichnend> sein?"
ülntwort: Ach, lferr von Sosnosky, ich habe Ihre Ge-
danken über das „nackt" und „bloß" vielleicht schon eher gekannt,
als ^-ie sclber. Ich glaube nicht einmal, daß man sagen „darf":
„im nackten lfemde" für „nackt im lfemde", wie^man sagen
darf: „im bloßen lfemde" für „bloß im lsemde", — in der
j)rosa nämlich, in der 5prache des reinen Denkens. An
der betreffenden 5telle liegt aber j)hantasiearbeit vor.
lfaben ^ie schon gelegentlich gehört, daß Liner von einer
„freundlichen Stube", einer „heitern Farbe", einem „nüchter-
nen lfute", ja sogar von einem „dummen Stiefel" spricht,
wenn ihn etwa dieser 5tiefel drückt — usw. ? Das sind
jdersonifikationen, Vermenschlichungen, Beseelungen — obgleich
sich der, welcher diese lVorte gebraucht, kaum dessen bewußt
ist. llnd eine solche leise, kaum bewußte, nur ans Tmpfinden
anklingende j?ersonifikation spielt auch an jener ^telle herein,
in der !ö-torm von einem „nackten lfemde" spricht. In wie
feinsinniger lVeise der Ausdruck gebraucht ist, das zeigt dem,
der's sehen kann, der Zusammenhang, nicht ein herausgerisse-
nes Stückchen.
„Sie machen sich darüber lustig, daß ich Vacanos ver-
gleich -B-ie sah aus wie ein Auß> tadele und finden es
für meine jdhantasiearmut bezeichnend, daß ich dazu bemerkt
habe: -Dieser Vergleich ist wirklich ein Triumph anschaulicher
Darstellung, und die Dame, die so sinnig verglichen wird,
steht dem Leser jedenfalls mit greifbarer Deutlichkeit vor
Augen». 5-ie schrieben hierüber: «§osnosky liest den Satz und
und sagt sich: hier habe ich a) eine Dame, b) einen Auß,
a und ll sind miteinander verglichen, ich kann abcr in einem
Auß und einer Dame kein tertmm compamtionis finden, also
die Schüler mehr zerstreuen solle, als eine kalt und
geschmacklos getünchte, ist doch kaum einzusehen, und
weshalb jene ein einsacher Gipsabguß mehr „ab-
lenken" sollte, als etwa das Bild aus irgend einem
Anschauungsunterricht, das dauernd daneben hängh
auch nicht. wär es im Anfang der Fall, so träte
hier wie dort sehr bald die Gewöhnung abstumpfend
gegen die Zerstreuung auf, während die wohlig be-
lebende und wenigstens die empfänglichen unter den
Schülern unmerklich miterziehende wirkung einer in
Farb und Linie unmittelbar anheimelnden Umgebung
Dauer hat. Die Stimmen, welche sie fordern, mehren
sich glücklicherweise von Monat zu wonat.
LprecbsuAl.
(Alnter sacblicber vernntwortung dcr Ltnscndcr.)
In Sachen der „Sprachsünden"
ron Theodar von Sosnosky sendet mir der !?erfasser eine
Lntqegnung, die ich aufnehme, weil die Sache von allgemeinerer
Bedeutung ist. Neiire Antworten auf seine Bemerkungcn
füge ich den betreffenden Stellen an.
„Nachdem (lies: da) in Nr. (9 Ihres Blattes inein Buch
«Sxrachsünden» so überaus abfällig besprochen worden ist,
werden Sie mir's nicht verdenken können, wenn (lies: daß)
ich darauf erwidere und Sie bitte, folgende Auseinandersetzung
aufzunehmen, in der ich den Beweis bringe, daß meine im
«Aunstwart» beanstandcten Behauptungen vollständig
richtig sind.
)ch hätte auf jcne Besprechung kaum reagirt, wenn sie
nicht ganz bestimmte Fälle rügte, und sich dabei Blößen gäbe,
die zu verführerisch sind, als daß ich sie nicht angreifen sollte.
So hält man mir vor, schon im Titel meiner Arbeit eine
Sprachsünde in meinem Sinne begangen zu haben, eine
„stchantasiesünde gegen die heilige Linheit des Bildes im
Sinne des «Aunstwarts»". Dieser meint, «Sprachsiinden»
könnten nicht als eine «Blütenlese» bezeichnet werden, wie ich
es gethan habe; ich frage ihn, ob er denn nie Ttwas von
«Stilblüten» gehört hat, einem worte, das allgemsin zur Be-
zeichnung stilistischer Vergehen gebraucht wird, auch wenn
man sich nicht bildlich ausdrückt, so daß es den ausschließlichen
Bildcharakter eingebüßt hat, wie z. B. das lVort «Bild selbst,
wcnn man es für eine Rcdefigur gebraucht; solche Stilblüten
aber habe ich gemeint, als ich meinem Buche zur zweiten
Bezeichnung den Namen Blütenlese gab. Wenn es, wie der
«Aunstwart» rneint, unrichtig ist, dem Titel «Sprachsünden- den
Beisatz zu geben: «Eine Blütenlese ans der dentschen Tr-
zählnngsliteratur»; dann dürftc man z. B. auch nicht schreiben:
«Zweites Aapitel: Falsche Bilder-, denn Aapitel und Bilder
find einander eben so fremde Begriffe wie ^ünden und
Blüten; übrigens, anch wenn man das wort Blütenlesc-
als Bild auffaßt, so kann es sich ganz gut mit L-prachsünden
vertragen, nachdem (lies: weil) in diesem worte kein Bild
liegt. Falsch dagegen wäre es, wenn der Titel einer Gcdicht-
sammlung z. B. hieße: «Geistesperlen, eine Bliitenlese.»"
Antwort: „5prachsünden, eine Blütenlese" ist ge-
nau so schlecht gesagt, wie „Geistesperlen, eine Blütenlese".
Den Zeitungsdeutschen haben wir's zu überlassen, daß sie
mit abgegriffener Sprachscheidemünze zahlen, wirkliche 5chrift-
steller sollen das 5prachgold neu prägen. Ts bleibt also da-
bei: „«die Blüten» kann ich z. B. von «5prachunkraut»
sammeln, aber nicht von «Sprachsünden»". lVer schon in
der Uberschrift seines Buches zeigt, daß er nicht einmal hier
die Bilder, welche die Alltagssprache ihm bietet, in ihrer Anschau-
lichkeit nachzubilden vermag, der verrät, daß er von der
künstlerischen Sprache, von der Sprache der flhantasie,
nichts verfteht.
„Sie finden es ferner «kraftvoll belebt», daß N. Voß ge-
schrieben: «Abfällt die kfülle, eintauchen die Glie-
d e r». Ich habe dies getadelt, denn es ist in der Prosa durch-
aus unstatthaft, trennbar zusammengesetzte worte ungetrennt
zu lassen, wo sie zu trennen sind. Der bekannte Sprachgelehrte
fdrofessor G. Andresen, an den ich mich in dieser Angelegenheit
eigens gewandt habe, hat mir bestätigt, daß ich vollauf im
Rechte bin."
Antwort: Vortrcfflich, fdrofefsor G. llndresen hat's ihm
bestätigt. Das ist die zahlungsfähige Meinung: was nicht in
Versen geschrieben ist, sei Prosa. So gewiß die angeführte
lVortstellung in jenem Falle anschaulicher ist, als die ge-
bräuchliche, so gewiß ist sic do rt am platze, und wenn ihr die
j?olizeitafel mit dem „Nnstatthaft" von hundert jdrofessoren den
Zutritt verbietet.
„!öie finden ferner ^torms ?lusdruck «im nackten
Vemde», den ich lächerlich-sinnlos genannt habe, «trefflich be-
zeichnend. 5-ie glauben wohl, wenn man nach Grimm und
Lerer sagen darf: im bloßen Vemde für: bloß im Vemde, so
könne man auch sagen: im nackten Vcmde, da «nackt- und
bloß- häufig miteinander wcchseln. Gut, dann müssen Äe
aber auch sagen können: im nackten Ueberrock odcr: im nackten
Verdachte, denn diescn beiden Fällen liegt für den wechsel
znnschen nackt und bloß- dieselbe Berechtigung zu Grunde
wie jenem. Icder Mensch aber wird diese Formen als ur-
lächerlich bezeichnen; warum soll also gerade «im nackten
lhemde» nicht lächerlich, ja sogar «trefflich bezeichnend> sein?"
ülntwort: Ach, lferr von Sosnosky, ich habe Ihre Ge-
danken über das „nackt" und „bloß" vielleicht schon eher gekannt,
als ^-ie sclber. Ich glaube nicht einmal, daß man sagen „darf":
„im nackten lfemde" für „nackt im lfemde", wie^man sagen
darf: „im bloßen lfemde" für „bloß im lsemde", — in der
j)rosa nämlich, in der 5prache des reinen Denkens. An
der betreffenden 5telle liegt aber j)hantasiearbeit vor.
lfaben ^ie schon gelegentlich gehört, daß Liner von einer
„freundlichen Stube", einer „heitern Farbe", einem „nüchter-
nen lfute", ja sogar von einem „dummen Stiefel" spricht,
wenn ihn etwa dieser 5tiefel drückt — usw. ? Das sind
jdersonifikationen, Vermenschlichungen, Beseelungen — obgleich
sich der, welcher diese lVorte gebraucht, kaum dessen bewußt
ist. llnd eine solche leise, kaum bewußte, nur ans Tmpfinden
anklingende j?ersonifikation spielt auch an jener ^telle herein,
in der !ö-torm von einem „nackten lfemde" spricht. In wie
feinsinniger lVeise der Ausdruck gebraucht ist, das zeigt dem,
der's sehen kann, der Zusammenhang, nicht ein herausgerisse-
nes Stückchen.
„Sie machen sich darüber lustig, daß ich Vacanos ver-
gleich -B-ie sah aus wie ein Auß> tadele und finden es
für meine jdhantasiearmut bezeichnend, daß ich dazu bemerkt
habe: -Dieser Vergleich ist wirklich ein Triumph anschaulicher
Darstellung, und die Dame, die so sinnig verglichen wird,
steht dem Leser jedenfalls mit greifbarer Deutlichkeit vor
Augen». 5-ie schrieben hierüber: «§osnosky liest den Satz und
und sagt sich: hier habe ich a) eine Dame, b) einen Auß,
a und ll sind miteinander verglichen, ich kann abcr in einem
Auß und einer Dame kein tertmm compamtionis finden, also