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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 4.1890-1891

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Heft 7 (1. Januarheft 1891)
DOI Artikel:
Hartmann, Ludwig: "Der dumme Kerl, der Dichter..."
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11725#0106

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Angenehme Manieren haben die poeten nicht immer.
Aber dafür haben sie sogenannte „Ideen". will
das Theater nicht aus Ideen und also aus Runstwerke
überhaupt verzichten, was ja leider nicht angeht, so
wird man in Deutschland sich entschließen müssen,

„den dummen Rerl, den Dichter" etwas höher zu
achten und endlich ein Verhältnis herbeizuführen, das
beider Teile würdiger ist, als die jetzige Ausschließung
des Urhebers, wenn es die j)nszenirung seines Aunst-
werkes gilt. Ludwtg Dartmann.


DicDtung. Nundsckau.

-X- Oeucre Lprtk. IV. —M. R. von Stern. — wieder
ans Iürich, dem 5-itz der Meyer, Böcklin, Tandem und
weiland auch Reller komnrt uns ein neuer poetz Die Dichter
hocsten jetzt neben den Adlern! Den beiden Gedichtsamm-
lungen „Trcelsior" und „Lsöhenranch" von Maurice Rein-
hold von Stern (Berlags-Magazin, Zürich) kann inan im
Allgemeinen nur sreudige Anerkennung zollen.

^tern ist von jener Ursprünglichkeit des Talents, die
wieder daran erinnert, was Dichtknnst eigentlich ist und was
sie vermag. Tr singt, was sein leidenschastlich erregtes
Innere bewegt, unbekümmert darnm, ob es ein Gedicht werde,
was er singt; zusällig wird es eins und meist eine perle von
Aunstwerk. Bilder und Gestalten quellen ihm ungesucht unter
den Bänden hervor, Melodien legen sich ihm aus die Lipxen
von süßem wohllaut, und alles durchlodert ein erwärmendes
Feuer. Lr ist ein tiefernstes Gemüt, völlig srei von eiteler
2elbstbespiegelung, nur ein brennendes Mitleid sür die Ent-
erbten der Gesellschast, hingebende Liebe zur Natur und
Leidenschast sür große Ideale beseelen ihn. Ts ist die ge-
winnende lVärme seines Naturells, die Frische und Leichtig-
keit des Tons und eine ungekünstelte, kindliche Art, die Dinge
zu betrachten, die aber nichts Aermliches hat: was diesen
Dichtungen ihren Btempel ausprägt. Lin Bauer müßte so
dichten, der aber die Bildung der Nochschule besäße. Ls geht
bei dem Versasser alles so überaus natürlich zu: dieses
lVort in seinem besten Verstande genommen bildet den Adels-
titel seiner Aunst. — Der Dichter wandert einmal bedrückten
bserzens durch verschneiten lVald, wie er da zusällig ins
Dunkel späht, sieht er ein Mägdlein vor sich schreiten, dessen
Gewand ist zerfetzt, seine Füße sind blutig, das Zlntlitz ist
totblaß; wer bist Du? sragt er die Aleine. G, kennst Du
mich denn nicht mehr, die Dir so ost schmeichelnd zu Füßen
gesessen, die Dein Schutzgeist gewesen, die Dir die Sorgen
vom bserzen gelacht hat? Da erkennt er sie und küßt sie:
„Mein Aschenbrödel, mein armes Gedicht, so hab ich Dich
wiedergesunden!" Eine ähnliche Anmut, ein ähnliches ksin-
erzählen, ohne alle Zurichtung, ist sür den Versasser bezeichncnd.
Lin ander Mal gelüstet ihm eine Fahrt nach der Lwigkeit,
an „die Grenzen der Begrenztheit". Lr besteigt den Feuer-
wagen, wir hören die Räder durch den Aether rasseln, die
Feuerbälle der kreisenden lVelten, Bonne, Mond und Sterne,
„Thristi Vimmelreich und Dantes Lsölle" — Alles, Alles bleibt
hinter ihm und endlich hält er am Ziel: dem Urborn alles
lVerdens, wo „das allbewußte Träumen ragt aus der ver-
gessenheit"; Roß und kVagen sieht er zersließen und selig
stürzt er hinaus in das „graue Meer". Die metaphorischen
Ausschmückungen der Sprache ergeben sich ihm ungesucht.
Den Valmenwald der wogenden Aehren sieht er durchwirkt
von Rornblumenstickereien, „dunkelblan aus Gold", in der
bVinternacht, die der §turm durchsaust, slackern die Zterne
„lVindlichtern" gleich, oder er sagt kühn von der brütenden
^ommerwelt, sie läge da wie ein schlnmmernder Löwe.

Tresfend singt der Dichter von sich:

So wie die Lrde in Regen.und Sonne,

Bin ich verdüstert nnd wieder erhellt:

In IVeh und lVonne

Lins mit der welt.

5eine 5eele ist immer in inniger kVechselbeziehung
mit der Natur. Tlend bedrückt ihn, aber wenn er in die
sonnendurchsunkelte kveite hinausblickt, jubelt er auf:
G lvelt, du lvunderbau! Draußen liegt der bvinterreis:
„G bvinter, du kvelt im Totenschrein!" rust er aus, „G, wie
ich die Tage zähle; Reis, Reis, Reis in der ^eele!" Gder
ihn ersüllt am lvintertag schon die Ahnung des Frühlings,
und hinter dem i?chleier der rieselnden Flocken sieht er die
tanzenden Mückenschwärme. Nerrliche Frühlings- und cherbst-
lieder gelingen ihm.

Verständnisinniges Mitleid verbindet den Dichter auch
mit dem leidenden Tier. lvie ties empsunden ist das: „An
meine Brust, du slügellahmer Vogel"! Lauterste poesie ent-
quillt ihm, wenn er seiner Veimat gedenkt, so in „LovvallLriL

Das bis dahin erörterte Gebiet seiner Lyrik dürste aber
dem Versasser selber kaum das wichtigste sein, wenngleich es
anch in seinen ^ammlnngen den weitaus breiteren Raum ein-
nimmt. Das innerste Lserz erwühlt ihm der GedankL an chie
Darbenden und Notleidenden und widerrechtlich Geknechteten:
diesem Gesühl entströmen slammende Bilder des Zornes, des
Vasses und der Bitterkeit wider die Bevorrechteten und der
Bewunderung und des hingebenden Mitgesühls sür das ar-
beitende Volk. Der Dichter läßt sich in diesen Poesien zu
mancherlei Ungerechtigkeiten und Unschönheiten sortreißen,
im Allgemeinen versagen wir ihm unsere Sympathieen auch
hier nicht; aber natürlich, es handelt sich hier aus diesem Ge-
biet weniger um das 5ingen, als um das Thaten, es handelt
sich hier um die Lösung des schwierigen Lrempels, wie es zu
machen, daß wölse und Lämmer, Füchse und Tauben sriedlich
beieinander wohnen möchten. Die Menschengesellschast ist ja
bekanntlich nicht eine 5umme von Mensch -j- Mensch -j- Mensch
usw. — von Engelsgeschöpsen iu inünitum, sondern ein Ge-
menge von Achtels-, Drittels-, Viertels- und dgl., einigen wirk-
lichen und übrigens einer erklecklichen Anzahl von Unmcnschen:
dieser Thatsache sollten die Uerweghs doch immer ein wenig
eingedenk bleiben! Ls scheint, daß sich Stern dieser Tinsicht
auch nicht immer verschließt, er sagt u. A.:

All das, habt Geduld!

Ls wird sich klären;

Der 5ast im 6olz ist schuld,

Der Most will gähren;

und sehr richtig an anderer Stelle:

Mittel giebt's aus Lrden
Gegen alle Pein.

Laßt uns besser werden,

Gleich wird's besser sein!

ja uns, die einzelnen, da liegts!

Der Versasser scheint mit großer Leichtigkeit zu produzircn,
jeder der Bände vereinigt die Ausbeute je eines Iahres -
„Trcelsior" bei einem Umsange von 96, „bsöhenrauch" von
7 t ^eiten; haben wir zwischen beiden die lvahl, so möchten
wir allerdings der srüher erschienenen ^ammlung „Lrceljior"
wegen der reicheren Mannigsaltigkeit des Gebotenen vor der
neueren den Vorzug geben. In „Vöhenrauch" werden die
Naturbilder allzu einseitig ins Dustige, Goldige, Flimmernde,
Funkelnde hineingestimmt, es ist charakteristisch, daß unter den

— ss —
 
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