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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 4.1890-1891

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Heft 16 (2. Maiheft 1891)
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Rundschau
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Sprechsaal
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Aus der Bücherei
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https://doi.org/10.11588/diglit.11725#0259

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erfreuende uud veredelude wirkuug jedes Baueruhaus
erfahreu köimte, uud ich rief, es wäre mir eiu Nätsel,
daß daran uusere Runstgewerbeprofessoren nicht dächten.

Mein wagennachbar hörte mir mit sichtlicher
Lust zu und befeuerte damit meinen Lifer desto mehr.
Als ich ausgeredet hatte, sagte er: «Teurer Herr,
Sie haben Recht, und doch irren Sie sich». «Inwiefern?»
fragte ich. «In der wleinung», erwiderte er, «als
ob unsre leitenden Rreise für diese Dinge nicht das
lebhafteste und verständnisvollste Interesse hätten».
«Aber es wird nicht bethätigt» rief ich. «Doch», be-
teuerte er — «ich will's Ihnen beweisen».

Auttlerweile waren wir an dem Seitenwege an-
gelangt, der nach meinem cheim führt. Gerade bei
s'einer oben berichteten Zusage hielt der wagen, und
während ich mich zum Aussteigen erhob, fuhr er fort.
«wissen Sie, was ich unter der hinten am wagen-
tritt hoch auf geschnürten Leinwanddeeke mit mir
führe?» Zch sah ihn erwartungsooll an — : «Das
letzte schön verzierte Spinnrad aus Strauchbeek und

Lprec

(Mntcr sncdlicber veran

Zit chachen: „Roinailtik als chchimpfwort."

Daß das wort Nomantik „heute eine unendlich
viel, daher nichtssagende Dokabel" sei, ist unbestreit-
bar. Ts teilt diese Ligenschaft nlit einer Anzahl
ailderer Fachausdrüeke aus deil Gebieten der wissen-
schaft, Literatur und Runst, die popularisirt wld da-
durch in ihrer Bedeutung verwischt wurden. Auch
seine Zlnwendung als chchimpfwort hat es init diesen
geinein. Die wörter „Zdealist", „Naturalist", „Zm-
pressionist" und viele andere werden in ganz gleicher
weise als chchimpfwörter benutzt. chie nun aber des-
halb auch dauernd als solche festnageln zu wollen,
wäre doch zieinlich verkehrt. Wan lafse doch die
cherren „Rritikastraten", die schon lange vor f?aul
chchönfeld durch Iohannes chcherr, der ihnen auch
noch die „Rritikakerlaken" zugesellte, entdeckt und
weidlich bearbeitet worden waren, in ihrem Rauder-
welsch fröhlich weiter schwadroniren zur Grheiterung
dcr huinorbedürftigen Wenschheit und klopfe ihnen
nur danu uud waun auf die Liuger, wenu sie's gar
zu toll treibeu! Den Gebrauch eines wortes, das
von ihnen nlißbraucht wird, überhaupt zu diskreditireu,
halte ich uicht für möglich. Ieder Gebildete kann, wenn
er nur will, init dem wort Romantik eine klare Dor-
stellung verbinden: die begriffliche Derdichtung fener
geschichtlicheu und kulturgeschichtlichen Grscheinungen,
die man als romantische bezeichnet, führt dazu, das
Romantische iu seinen wesentlichsten Werkmalen als
ch chr an ken l osi g k e i t zu erfassen. Der Begriff
der Grenze besteht für den Roniantiker uicht. Tr
uuternimmt, wie seine ritterlichen blrahnen, beständig

einen mit höchster Griginalität und feinem Stilgefühl
geschnitzten birkenen Lehnstuhl aus Laaslich, die ver-
schiedenen bäuerlichen Trachtenmuster gar nicht zu
rechnen. Alles aus chtaatsmitteln (er betonte das
wort mit Stolz) angekauft».

Vor Trstaunen vergaß ich, für die mir erwiesene Güte
der Platzgewährung im wagen zu dauken und war
schon abgestiegen, als ich das Versäumte nachholte
und inich dabei nannte.

«wleiu Name ist Dr. Rlimpei», sagte der fremde
kserr in Lrwiderung meiner Selbstvorstellung und dem
Rntscher zum weiterfahren winkend: «Dr. Rlimper,
behörderlicherseits beauftragt, das Land behufs von An-
käufen für unsre Gewerbe-, völker- und Trachten-
museen zu bereisen».

«Sicher beigepaekt!» sagte ich mit l^amlet, als ich
ihm nachsah, trollte mich nach chause und erleichterte
meine Tmpfindungen durch diese briefliche Unter-
haltung".

bsual.

:wortung dcr Linsendcr.)

Naub- und chtreifzüge in fremde Gebiete: er malt
als Dichter, dichtet als Waler und schießt als Rritiker
übers Ziel hinaus, wie dies neulich cherinaun
Bahr in seinem Aufsatz „wahrheit! wahrheit!"
(Natiou 2(Z) gethau, in dem er das j)rinzip der wahr-
heit als ausgesungen und abgethan erklärt und vou
der Walerei behauptet hat, daß sie „mit festlichem
Wute erst auf Troberuug der wirklichkeit ausgezogen,
um uiedergeschlagen und verfagt bald nach dem
chchein im Auge zu retirireu und vor lauter Farben-
flecken am Tnde die Lorm zu verlieren." Unzutreffen-
deres kann man über die heutige Walerei wohl
kaum sagen. Die fffflege des „chcheins im Auge",
d. h. des eigentlich Walerischen, hat gerade zu einem
tieferen Trfassen auch der Lorm geführt, und Niederge-
schlagenheit und Derzagtheit find nicht gerade keunzeich-
nende Werkmale der auf dem Boden des Naturalismus
stehenden Walerei.

wenn geistreiche Trzentrizitäten, wie dieser Auf-
satz chermaun Bahrs, wie „Nembrandt als Trzieher"
und wie die genialeu Rlingerscheu Zeichnungen, eineu
so großen wiederhall auch bei den nicht geistreichen
Leuteu findeu, daun muß etwas Nomantik in der
Luft liegen. Auch die politische Gespensterseherei,
die j?artikularistenriecherei und ähnliche Trscheinungen,
die au die Demagogenriecherei von ehedem evinnern,
muten romantisch an.

wir werden also das wort in der nächsten Zeit
wohl häufiger gebraucheu müssen und wolleu es vor-
erst uoch nicht iu die Numpelkammer für abgenutzte
chchimpfwörter legen. cherman Tichfeld.

Rus der Wücberei

v-r lllritiscbe und gescbiebtliebc Literutur. I.

Georg Brandes' „Literatur des nennzehnten Iahrhunderts
in ihren lhauptströmungen" liegt nunmehr init dem sechsten
Bande in der deutschen Griginalausgabe abgeschlossen vor
(Leipzig (89t, Beit öc Lo.). Dieser Band behandelt das
junge Deutschland, und er behandelt es insofern gerechter, als
es Treitschke im dritten Band seiner „Deutschen Geschichte"
that, als der Däne zu den Gegenständen seiner Darstellung
jene durchgängige historische Liebe hat, die überall Licht und
^chatten sorgsam abwägt und verteilt, während man von

Treitschke, der mit politisch-nationalen llrteilsmaßstäben an
das Geschlecht von damals herangeht, nur Liebe oder Baß,
eines von beiden, erwarten darf und hier begreiflicherweise
mehr Baß als Liebe findet. Dennoch ist es nur zu natürlich,
daß auch Brandes bei den theorieen- und xhrasenreichen, aber
um so schaffensärmeren lllännern des vierten und fünften
Iahrzehnts unseres Iahrhunderts nicht recht warm werden
kann, und davon mag es wohl stch herschreiben, daß im
zweiten Teile des werkes die jdersönlichkeiten mehr wie
L-chatten vorüberhuschen, ohne rechte Rörperlichkeit zu gewinnen.

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