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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 4.1890-1891

DOI Heft:
Heft 4 (2. Novemberheft 1890)
DOI Artikel:
Neumann-Hofer, Otto: Die Persönlichkeit in der Schauspielkunst
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.11725#0056

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A>veites Oovemberdett 1890.

4. Ltück.

Lrscbeint

am Anfang und in der Mitte

DerAusgeber:

Mrdinand Avennrius.

Kcstcllpreis:
vierteljährlich 2 t/z Mark.

4. Zabr§.

Die Dersönliclikeit in der Lclimispielknnst.

Das tööchste in produktiver Kuilst ist die j?ersöu-
l i ch k e i t.

Iu der That stellt sede große Lrscheiuuitg iit Kuust
uitd ^iteratur eiu schars ausgeprägtes s?rosil dar,
desseu Untrisse vou gleich-uuvereiubarer Tigeuart siud.
Ieder Uleißelschlag, seder s)iuselstrich, jede Zeile trägt
das Gepräge des Geistes, der sie geschafseu, welches
sich selbst dem oberflächlicheu Beobachter iu uuverwisch-
barer Btärke itt die Lriuueruug eiuprägt. Reiu auch
uur uebeusächlicher Zug iit bleibeitdeu IBerkeu ist init
deneu eiues Aivalen zu verwechselu, uud ant aller-
wenigsteu dauu, weuu derselbe eiu ebeubürtiger ist.

Tiu Bhakespeare uitd eiu Talderou siud
bis iu das Aleiuste eigeutüntlich und uie eiuauder
gleich; eiu 8chiller uud eiu Goethe behaudelu die-
selbeu Stosse in auuäherud gleicher Bollkoiniueuheit,
ohue daß sich ihre küustlerische Miedergabe im INiu-
desten gliche. Das Gauze der Natur uud des Alen-
scheulebens, welches die Ruust wiederspiegelu soll, kauu
iu seiuer Uueudlichkeit uud Nlauuigsaltigkeit uur vou
eiuer gauzeu Natur, d. h. vou eiuer Zudividualität,
aufgesaßt uud augeschaut werdeu.

Nlau hat häusig die Zudividualität mit der küust-
lerischeu Gbjektivität iu eiueu Gegeusatz gebracht uud
gesagt, daß, weuu die letztere das Merkmal eiues
großeu Rünstlers ist, dieser iudividualitätslos seiu
müsse. Dem widerspricht schou die Trsahruugsthat-
sache, daß alleu großeu Thateu des Geuies eiu eigeu-
artiger Stempel ausgedrückt ist, währeud die Nlasse
der kleinen Talente sich kaum von eiuauder uuter-
scheideu, so daß, was vou dem Tiueu herrührt, auch
eiueu auderu Nersasser gehabt habeu köuute, d. h.
daß sie recht eigeutlich ohue j?ersöulichkeit siud. Btau
verwechselt Zudividualität mit Mauier. Zeue um-
faßt die gauze 8kala der Töue, die im Bereiche
der Ruust augeschlageu werdeu, uur daß sie sie aus

eiue eigeutümliche, uicht zu verwechselude 8pielweise
iu Beweguug setzt; diese hiugegeu, die lllauier, ist
immer uur aus eiue eiuzige Baite gestimmt, uud was
sür eiue Melodie auch gespielt werdeu soll, es kliugt
immer der eiue Gruudtou hervor, uud uur der Takt
veräudert sich. Daher schließt die küustlerische Zudi-
vidualität die Nachahmuug aus, währeud der Blauierist,
er mag uoch so abgeschmaekt seiu, immer eiue Schule
hervorrust.

dluders verhält es sich iu deu reproduktiveu Nüusteu
uud ganz besouders iu der 8>chauspielkuust. llsier ist
eiue stark ausgeprägte, uuüberwiudliche s?ersöulichkeit
gerade das größte llsiuderuis der Do lleuduug.
Tiu geschichtlicher Beweis dasür liegt iu dem Umstaude,
daß uie uud nirgeuds eine Dereiuiguug dichterischer
uud schauspielerischer Größe stattgesuudeu hat. 8>hake-
speare, Bloliere uud Naimuud, die drei größten Dichter,
welche zugleich der Bühue augehörteu, siud mittel-
mäßige 8chauspieler geweseu; dramatische Nüustler
vou dem Nauge eiues Schröder uud Zsflaud wareu
herzlich schlechte Dichter. Ts ist vollkommeu richtig,
was Truesto Nossi, eiuer der größteu Tragödeu der
Gegeuwart, sagte, daß uur derjeuige Aurecht aus deu
Nanteu eiues darstelleudeu Nüustlers hat, der seiue
eigene Zudividualität verschwiudeu lasseu uud die
eigeueu physischeu uud moralischen Nlittel gauz iu
deu Dienst der verschiedeuartigeu ;u verkörperudeu
Tharaktere stelleu kauu.

Nossi irrt dariu, daß er geuau dieselbe Tigeuschast
dem Dichter zuspricht uud somit die Scheidegreuze
zwischeu dem produktiveu uud dem reproduktiveu
Rüustler aushebt. Freilich wird sich der Dichter eiu
möglichst objektives Bild des Darzustelleudeu iu seiuer
Auschauuug zurecht macheu uud sich davor hüteu,
seiue Gestalteu unterschiedslos seiue eigeueu persöu-
licheu Zdeeu uud Gefühle aussprecheu zu lasseu. 2lber




-ÜK
 
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