Iku ndscliuu.
DLcbtung.
* Lrzäblende Dicbtungen. IX.
Lmile Zolas neuer Roman „Das Geld" ist nun auch
in einer guten deutschcn Übersetzung (in der deutschen Rerlags-
Anstalt zu Stuttgart) herausgegeben worden. U?ir gehören
gewiß zu denen, die vor allen Dingen eine uns eigene, eine
bodenwüchsige, nationale Literatur erstreben, aber wir verhelsten
auch unsere Überzeugung nicht: Lücher, wie Zolas „Geld",
mllsscn in Deutschland gelesen werden, wenn unsere schöne
Literatnr weiter kommen soll, denn nicht an ihnen vorbei,
sondern über sie weg gelst der lVeg. lVir haben in Deutsch-
land feine, geistvolle, bedeutende erzählende Dichtungen gehabt,
aber sie behandelten fast ausschließlich nnr den einen Faktor
in der lVcchselwirknng, nur die jdersönlichkeit des Menschen,
sie ließen die Verhältnisse außer Acht, das „Milien", auf das
die Franzosen unsere Aufmerksamkeit gelenkt haben und das
sie jetzt so vielfach mit Blindheit gegen die andere 5eite der
Bache anbeten. Die kommende deutsche Literatur wird gerade
so gut und in entsxrechendem Sinne einen „dritten Roman"
kennen, wie Dresdner im vorstehenden Anfsatze ein „drittes
Drama" anerkannte.
Das Verausgreifen hochwichtiger Lebenskreise und deren
dichterische Schildernng ist es, worin vor Allem die Franzosen
uns noch überlegen sind; wir kennen in unserm Schrifttum
noch nichts Ähnliches wie diese großen typischen Bilder der
Lohnkämpfe, der lVirtschaft der großen Magazine, des Lisen-
bahnwesens, des 2llkohols, des Dirnenwesens, des jdarlamen-
tariertums, der Airche usw. und nun des Geldes - wir sind
noch immer nicht den alten falschen Idealismns los, der
wähnt, die wirklichkeit sei eine Lache, die ihn nichts angeht,
während er doch gerade die IVirklichkeit genau kennen, charak-
terisiren, durchgeistigen muß, will er lebendige Ainder und
nicht Schemcn zur lVelt bringen. In all den Dingen, für
die wir unser bvort „Gemüt" haben, das den Franzosen fehlt,
werden wir unsererseits ihnen überlegen sein; der tiefe chumor
ist ein germanisches Geschenk, die Innigkeit unserer Ratur-
beseelung, das Vertraute unseres Umgangs mit der helldunkeln
kVelt des Traumlebens und der jdhantastik, unsere „Lyrik"
sinö germanische Vorzüge. Tin „Grüner cheinrich" oder ein
„Auch Liner" könnte nie in Frankreich geschrieben werden,
und weil unsere vorzüge nicht „lernbar" sind, deshalb hat
unsere Literatur gute Aussichten auf eine stolze Blüte, macht
sie nnr erst die Geister der rauhen IVirklichkeit von heute zu
ihren Dienern.
In Zolas neuem Roman bewundere ich am Meisten die
Fälstgkeit, das Getriebe des internationalen Geldmarktes an-
fchaulich hinzustellen. Zolas Technik hat stch außerordentlich
entwickelt uud in mancher Beziehung geändert. In den
früheren Romanen pflegte die Lfauptsache, in echt dichterischer
weife durchaus verkörpert zu einem Lebewesen, in der Mitte
zu stehen, das lebendige Bergwerk, das lebendige große
Magazin usw. Daneben aber füllten sich Seitendutzende mit
höchst nüchternen Schilderungen und Aufzählungen, die dem
Theoretiker, aber nicht dem Dichter Zola entstammten. Beim
„Geld" ist das anders: Die Börse oder auch die große
Gründung der „Un'werfelle", die doch vortrefflichste Gelegen-
heit dazu geboten hätten, sind fo wenig perfonistzirt worden,
daß es fast fcheint, als habe Zola feinen alten „Fehler" ab-
fichtlich vermeiden wollen. Aber es fehlt auch das langweilige
Gegenbild: nichts von toten Schilderungen, Aufzählungen,
Aatalogisirungen. Ist das nicht ein wahres lVunder in einem
Buch, in dem fo viel von Aursen geredet wird? Vielleicht
hat Zola das lVunder auch durch die Ausführung des glück-
lichen Gedankeus ermöglicht, iu den Mittelpunkt der kfandlung
nicht einen kalten Berechner, wie feinen Gundermann-Rothschild,
fondern einen phantastifchen Feuerkopf zu stellen, diesen
Saceard, in dem Rarrheit uud Gcuie, Größe und Aleinheit
beieinander hausen uud der ein wenig an Daudetsche Ge-
stalten erinnert.
Da? Lebensbild, das der Roman aufrollt, ist außerordent-
lich reich und umfaßt in all den Areisen, in denen Gründung,
Aufwachsen und Zusammenkrach der „Universelle" sich abspielen,
fehr zahlreiche Gestalten, von deren Leben ein anderer Lr-
zähler einen ganzen kleinen Novellenstrauß abpflücken könnt.
Nicht verhelsten will ich, daß ein paar Mal recht schmutzige
Dinge vorkommen, wo sie Zola zur folgerichtigen Lharakter-
zeichnung nicht entbehren zu können glaubt. bVichtiger ift,
daß eine ganze kleine Reihe auch von durchaus fympathischeu
Tharakteren geschildert werden, ja, ich glaube, wir fiuden im
„Gcld" ihrer mehr, als in irgeud einem anderen lVerke Zolas.
Auch lsterdurch nähert sich sein neuestes Buch in feinem
Lharakter den Schöpfungen Daudets.
Tkeater.
* Dramatiscbe Lltcratur. X. Moderne Dramen.
In dem Aufsatze „Das dritte Drama" wies ich bereits auf
das Ibsen gewidmete Drama „Gerechte Menschen" von chans
von Basedow (Leipzig, Aörner) als das äußerste mir be-
kaunte Beispiel von Ibsen-Nachahmung, mechanischer, ver-
kehrter Nachahmung hin, das dadurch zur völligen Unnatur
gekommen ist: und sie wiegt hier um so schwerer, als der
Verfasser selbst theoretisch die Natürlichkeit der einzelnen
Momente verlangt (S. 7). Schon die Vorgeschichte enthält die
Unglaublichkeit, daß jemand gerichtlich wegen versnchten Raub-
mords verurteilt wird, obgleich, wenigstens nach der Darstel-
lung des Stückes, ein Indizium gerade für diese Urteilsfällung
schlechterdings nicht vorliegt. Die chandlung selbst ist sehr
arm: als Fritz aus dem Zuchthause zurückkehrt, stndet er die
Geliebte, um derenwillen er in den Aerker wanderte, als die
Gattin des verhaßten Andern, dem ste sich verband, um das
Aind ihres heimlichen Verhältnisses mit Fritzen zu legitimiren.
Aber seine Mutter ringt ihr das Versprechen ab, ihm auch
jetzt noch als U)eib zu folgen, wenn er es verlange. Der
j?lan taucht auf, den Fremden zu töten und so das chinder-
nis ihrer Liebe aus dem IVege zu räumen. Aber es bliebe
das Aind und die Sorge um seine Zukunft, seincn Ruf. Da
tötet die erst wahnsinnige, dann gesundete, jetzt wieder wahn-
sinnig werdende Lchwester Fritzens dies Aind und ebnet so
die Bahn. Lntschädigte nun für diese Lpärlichkeit der chandlung
die eindringende psychologische und gesellschaftliche Analyse! Aber
beide verdorren zu langatmigen Auseinandersetzungen unter
dcm Linstusse des einen uufruchtbaren, wohl über hundert
Mal wiederkehrenden Ivortes: Gerechte Menschen. Freilich,
wenn man stch Gerichte macht, die ein, so weit ich fehen kann,
ganz ungesetzmäßiges Urteil fällen, und Geschworene, die ohue
jeden ersichtlichen Grund mit ihrer Aenntnis der Thatsachen
zurückhalten, dann wird es leicht, einige Ivenige als die Ge-
rechten der ganzen ungerechten Gesamtheit gegenüber zu stellen.
Diese IVenigen fülsten sich denn nun auch ganz und gar als
die Gerechten. Littliche 5tärke liegt in diesem Gefühle nicht:
denn schließlich geben sie die Lüge als Ferment des Lebens
zn, und überdies gesteht Fritz ganz ehrlich ein, nur an Rosas
Leite wär er ein gerechter Mensch geworden. Aber auch Ge-
rechtigkeit liegt nicht drin. lvenn diese Leute unaufhörlich
mit unglaublich protzigem jdharisäertum auf ihre ausschließliche
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DLcbtung.
* Lrzäblende Dicbtungen. IX.
Lmile Zolas neuer Roman „Das Geld" ist nun auch
in einer guten deutschcn Übersetzung (in der deutschen Rerlags-
Anstalt zu Stuttgart) herausgegeben worden. U?ir gehören
gewiß zu denen, die vor allen Dingen eine uns eigene, eine
bodenwüchsige, nationale Literatur erstreben, aber wir verhelsten
auch unsere Überzeugung nicht: Lücher, wie Zolas „Geld",
mllsscn in Deutschland gelesen werden, wenn unsere schöne
Literatnr weiter kommen soll, denn nicht an ihnen vorbei,
sondern über sie weg gelst der lVeg. lVir haben in Deutsch-
land feine, geistvolle, bedeutende erzählende Dichtungen gehabt,
aber sie behandelten fast ausschließlich nnr den einen Faktor
in der lVcchselwirknng, nur die jdersönlichkeit des Menschen,
sie ließen die Verhältnisse außer Acht, das „Milien", auf das
die Franzosen unsere Aufmerksamkeit gelenkt haben und das
sie jetzt so vielfach mit Blindheit gegen die andere 5eite der
Bache anbeten. Die kommende deutsche Literatur wird gerade
so gut und in entsxrechendem Sinne einen „dritten Roman"
kennen, wie Dresdner im vorstehenden Anfsatze ein „drittes
Drama" anerkannte.
Das Verausgreifen hochwichtiger Lebenskreise und deren
dichterische Schildernng ist es, worin vor Allem die Franzosen
uns noch überlegen sind; wir kennen in unserm Schrifttum
noch nichts Ähnliches wie diese großen typischen Bilder der
Lohnkämpfe, der lVirtschaft der großen Magazine, des Lisen-
bahnwesens, des 2llkohols, des Dirnenwesens, des jdarlamen-
tariertums, der Airche usw. und nun des Geldes - wir sind
noch immer nicht den alten falschen Idealismns los, der
wähnt, die wirklichkeit sei eine Lache, die ihn nichts angeht,
während er doch gerade die IVirklichkeit genau kennen, charak-
terisiren, durchgeistigen muß, will er lebendige Ainder und
nicht Schemcn zur lVelt bringen. In all den Dingen, für
die wir unser bvort „Gemüt" haben, das den Franzosen fehlt,
werden wir unsererseits ihnen überlegen sein; der tiefe chumor
ist ein germanisches Geschenk, die Innigkeit unserer Ratur-
beseelung, das Vertraute unseres Umgangs mit der helldunkeln
kVelt des Traumlebens und der jdhantastik, unsere „Lyrik"
sinö germanische Vorzüge. Tin „Grüner cheinrich" oder ein
„Auch Liner" könnte nie in Frankreich geschrieben werden,
und weil unsere vorzüge nicht „lernbar" sind, deshalb hat
unsere Literatur gute Aussichten auf eine stolze Blüte, macht
sie nnr erst die Geister der rauhen IVirklichkeit von heute zu
ihren Dienern.
In Zolas neuem Roman bewundere ich am Meisten die
Fälstgkeit, das Getriebe des internationalen Geldmarktes an-
fchaulich hinzustellen. Zolas Technik hat stch außerordentlich
entwickelt uud in mancher Beziehung geändert. In den
früheren Romanen pflegte die Lfauptsache, in echt dichterischer
weife durchaus verkörpert zu einem Lebewesen, in der Mitte
zu stehen, das lebendige Bergwerk, das lebendige große
Magazin usw. Daneben aber füllten sich Seitendutzende mit
höchst nüchternen Schilderungen und Aufzählungen, die dem
Theoretiker, aber nicht dem Dichter Zola entstammten. Beim
„Geld" ist das anders: Die Börse oder auch die große
Gründung der „Un'werfelle", die doch vortrefflichste Gelegen-
heit dazu geboten hätten, sind fo wenig perfonistzirt worden,
daß es fast fcheint, als habe Zola feinen alten „Fehler" ab-
fichtlich vermeiden wollen. Aber es fehlt auch das langweilige
Gegenbild: nichts von toten Schilderungen, Aufzählungen,
Aatalogisirungen. Ist das nicht ein wahres lVunder in einem
Buch, in dem fo viel von Aursen geredet wird? Vielleicht
hat Zola das lVunder auch durch die Ausführung des glück-
lichen Gedankeus ermöglicht, iu den Mittelpunkt der kfandlung
nicht einen kalten Berechner, wie feinen Gundermann-Rothschild,
fondern einen phantastifchen Feuerkopf zu stellen, diesen
Saceard, in dem Rarrheit uud Gcuie, Größe und Aleinheit
beieinander hausen uud der ein wenig an Daudetsche Ge-
stalten erinnert.
Da? Lebensbild, das der Roman aufrollt, ist außerordent-
lich reich und umfaßt in all den Areisen, in denen Gründung,
Aufwachsen und Zusammenkrach der „Universelle" sich abspielen,
fehr zahlreiche Gestalten, von deren Leben ein anderer Lr-
zähler einen ganzen kleinen Novellenstrauß abpflücken könnt.
Nicht verhelsten will ich, daß ein paar Mal recht schmutzige
Dinge vorkommen, wo sie Zola zur folgerichtigen Lharakter-
zeichnung nicht entbehren zu können glaubt. bVichtiger ift,
daß eine ganze kleine Reihe auch von durchaus fympathischeu
Tharakteren geschildert werden, ja, ich glaube, wir fiuden im
„Gcld" ihrer mehr, als in irgeud einem anderen lVerke Zolas.
Auch lsterdurch nähert sich sein neuestes Buch in feinem
Lharakter den Schöpfungen Daudets.
Tkeater.
* Dramatiscbe Lltcratur. X. Moderne Dramen.
In dem Aufsatze „Das dritte Drama" wies ich bereits auf
das Ibsen gewidmete Drama „Gerechte Menschen" von chans
von Basedow (Leipzig, Aörner) als das äußerste mir be-
kaunte Beispiel von Ibsen-Nachahmung, mechanischer, ver-
kehrter Nachahmung hin, das dadurch zur völligen Unnatur
gekommen ist: und sie wiegt hier um so schwerer, als der
Verfasser selbst theoretisch die Natürlichkeit der einzelnen
Momente verlangt (S. 7). Schon die Vorgeschichte enthält die
Unglaublichkeit, daß jemand gerichtlich wegen versnchten Raub-
mords verurteilt wird, obgleich, wenigstens nach der Darstel-
lung des Stückes, ein Indizium gerade für diese Urteilsfällung
schlechterdings nicht vorliegt. Die chandlung selbst ist sehr
arm: als Fritz aus dem Zuchthause zurückkehrt, stndet er die
Geliebte, um derenwillen er in den Aerker wanderte, als die
Gattin des verhaßten Andern, dem ste sich verband, um das
Aind ihres heimlichen Verhältnisses mit Fritzen zu legitimiren.
Aber seine Mutter ringt ihr das Versprechen ab, ihm auch
jetzt noch als U)eib zu folgen, wenn er es verlange. Der
j?lan taucht auf, den Fremden zu töten und so das chinder-
nis ihrer Liebe aus dem IVege zu räumen. Aber es bliebe
das Aind und die Sorge um seine Zukunft, seincn Ruf. Da
tötet die erst wahnsinnige, dann gesundete, jetzt wieder wahn-
sinnig werdende Lchwester Fritzens dies Aind und ebnet so
die Bahn. Lntschädigte nun für diese Lpärlichkeit der chandlung
die eindringende psychologische und gesellschaftliche Analyse! Aber
beide verdorren zu langatmigen Auseinandersetzungen unter
dcm Linstusse des einen uufruchtbaren, wohl über hundert
Mal wiederkehrenden Ivortes: Gerechte Menschen. Freilich,
wenn man stch Gerichte macht, die ein, so weit ich fehen kann,
ganz ungesetzmäßiges Urteil fällen, und Geschworene, die ohue
jeden ersichtlichen Grund mit ihrer Aenntnis der Thatsachen
zurückhalten, dann wird es leicht, einige Ivenige als die Ge-
rechten der ganzen ungerechten Gesamtheit gegenüber zu stellen.
Diese IVenigen fülsten sich denn nun auch ganz und gar als
die Gerechten. Littliche 5tärke liegt in diesem Gefühle nicht:
denn schließlich geben sie die Lüge als Ferment des Lebens
zn, und überdies gesteht Fritz ganz ehrlich ein, nur an Rosas
Leite wär er ein gerechter Mensch geworden. Aber auch Ge-
rechtigkeit liegt nicht drin. lvenn diese Leute unaufhörlich
mit unglaublich protzigem jdharisäertum auf ihre ausschließliche
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