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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 4.1890-1891

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Heft 5 (1. Dezemberheft 1890)
DOI Artikel:
Offermann, Friedrich: Bunt oder einfarbig?
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11725#0074

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zückten, da finden wir nur noch stumpfe Massen.
Also weiter — zunächst das Lsaar gefärbt, dann
Augen und Lippen, Da stehen plötzlich die Töne ohne
Übergang neben einander, und Nichts ist da, was
sie recht zusanunenhalten will. Die Tiefen des Ge-
sichts — Falten, Nasenlöcher, Lippen usw. — geben
vermöge des stark restektirenden Niaterials keine rechten
Schatten. wir müssen also hineinmalen. Rurz und
gut, man mag sich stemmen wie man will: es giebt
kein Aushaltens mehr. Bald steht man vor einem Werk,
das, aus Aosten der Form — in einer gewissen Be-
leuchtung bestenfalls recht nett wirkt, in jeder andern
aber als eine leblose Nlasse, mit herausfallenden
Farbenlinien und Flecken. wenn auch in beschränk-
terem Maße als bei der vollen Bemalung gelten
also auch hier die Linwände, die gegen die letztere
zu erheben sind.

Sprachen wir bisher von Schattenseiten der Be-
malung, so wäre es billig, nunmehr auch einer Licht-
seite zu gedenken.

Bemalte Äunstwerke werden, meint man, dem
Nerständnis des volks näher stehen als farblose.
Das klingt glaublich! Gewiß ist, daß der verzicht
auf die Farbe der Bildnerei heutzutage nur ein kleines
Publikum läßt. wird diesem doch damit der ein-
fachste Mertmesser künstlerischer Leistungen — der
vergleich mit der Natur — genommen. Änd aber
die vorgebrachten Bedenken gerechtfertigt, so wäre es
doch wohl besser, daß man das j?ublikum zu ändern
suchte, als die Runst.

Die Bildnerei hat an Boden verloren. Ia! Aber
nicht ihrer Farblosigkeit wegen, sondern weil sie sich
in ihrer Formensprache dem volksbewußtsein entfremdet
hat. Das volk fpricht Deutsch, aber kein Griechisch,
und am allerwenigsten jenes tote Schriftgriechisch,
das jene Rlassizisten sich zurecht gemacht haben, die
unter den Bildhauern immer noch das große Lseer
bilden. Grkennt das die jAastik mehr und mehr, so
kann das verlorene bald wieder eingebracht werden.

Zfrtedricl) Gllermann.

Allgemeineres.

Iku ndscliau.

* „Lur Outlonalöllonomie des Tnlents"

schreibt Nobert bsessen (Dtschld. 5) einen l?lufsatz,
der sich wieder einmal gegen die j?hilisterweisheit
wendet, wahres Genie „bräche sich Bahn". „Diese
Tigenschaften, die ihren Träger von vornherein mit
seiner Umgebung im weitesten Sinn in tviderspruch
bringen, als eine Bürgschaft des Trfolges anzusehen,
das heißt doch, vom Lauf der tvelt eine überaus
kindliche vorstellung hegen. Den Ansprüchen der ^lll-
täglichkeit bald zu genügen und bald zu trotzen, bald
von der Stumpfheit, bald vom Neid gehindert, jetzt
in der Tnge sich hinzufristen und doch das gelobte
Land, den allein möglichen Nährboden für die an-
geborene, geheimste Fähigkeit nicht aus den Augen
zu verlieren, ihn aufzusuchen und zu erobern, welch
ein tvirrsal von Ramxf, Tntsagung und Tnttäuschung.
Lver wenig reizbar seinen Ropf sofort in das erste
beste vorgehaltene Zoch steekt, um sein Leben lang
zufrieden daran zu schlexpen, neigt dazu, dieses passive
Sichbeschränken als einen Sieg seiner Tnthaltsamkeit
und seines jl)flichtgefühls hinzustellen, und fühlt fich
gar geschmeichelt, wenn andere den Lveg zum Ziel
nicht finden, wenn sie unterwegs straucheln und ver-
sinken. bvie gewisfe Neger in Afrika glauben, daß
alle 2lffen eigentlich sxrechen könnten und es nur aus
Schlauheit unterließen, weil sie sonst von den üerren
der Schöpfung zu härteren Dienstleistungen herange-
zogen werden könnten, ebenso möchten jene Leute uns
mitunter einbilden, daß alle Menschen vorzüglich
schreiben oder malen könnten, daß aber nur die Schrift-
steller und Maler unbescheiden und pflichtvergessen
genug dazu seien, um dann für diesen Mangel an
Trnst und für die Vernachlässigung «xraktischer» Be-
rufsarten mit allen gebührenden Torturen bestraft zu
werden. Ts ist natürlich, daß dieser Gedanke der
großen Menge und insonderheit allen selbstgefälligen
jlchilistern außerordentlich zusagt. Nicht nur haben
sie einem Grabbe gegenüber fortan einen Nechtsgrund
zu jeder Art von Geringschätzung, sondern sie haben
auch die wohlthuende verxflichtung, für jeden von

seinesgleichen die st)olizei zu spielen, um ihn seinem
verdienten Schicksal möglichst früh zu überantworten.
Genies natürlich sind ausgenommen, doch braucht
man für sie erst recht nicht zu sorgen, da sie sich ja
regelmäßig «Bahn brechen». Äe springen sir und
fertig, mit einem Stempel zwischen den Schulter-
blättern, auf den F>child und haben Trfolg beiin
ersten versuch. Und wenn sie nicht gleich Trfolg
haben, so werden doch ihre Iverke mit Sicherheit
im Nachlaß gefunden, wie die Beispiele von Geinrich
von Rleist, Tlaude Tillier und anderen so glänzend
darthun, — man hat also den Genuß der Sache,
ohne dafür irgend eine Aufwendung gemacht zu haben,
was wirtschaftlich der denkbar gesündeste Gesichts-
punkt ist, den es geben kann. Za, es empsiehlt sich
vielleicht sogar, das Genie, nachdem es als solches
bereits erkannt war, möglichst zu mißhandeln, weil
meistens bei solchen Gelegenheiten etwas Neues und
Znteressantes herausspringt; denn Druck erzeugt Rraft.
Ivelch eine Fülle von Anregungen verdankt nicht
allein Dostojewski seinem Aufenthalt in Sibirien und
der Sträflingsjacke, die er da trug. bvie mancher
wird es schon bedauert haben, daß Deutschland eine
ähnliche Folterkammer so großartigen Stiles nicht be-
sitzt. Zwar ein hmnoristisches Talent, Fritz Neuter,
ist auch in unseren Festungen großgezogen worden;
aber das ist viel zu wenig. Und gesetzt auch, daß
ein versuchstier gelegentlich erliegt, — nun, wie
sagte doch die Röchin, als sie den Aal lebendig ab-
zog: «Die Tierchen sind das schon gewöhnt.»

Nur in: bseer, in der verwaltung und wohl auch
an der Börse ist es Negeh daß man nach Begabung
sucht, daß man sie fördert, indem man ihr Aufgaben
stellt und die richtigen Lindrücke zuführt. Auch wer-
den schon seit einiger Zeit talentirte U7aler nach
Nom geschickt, wo die Deutschen zu Tnde vorigen
Zahrhunderts Asmus Tarstens, den bviedererwecker
ihrer Runst, verhungern ließen. Aber im Neich der
Dichtung? Da liegen allenfalls die Zeitungen gleich
Spinnen auf der Lauer, um irgend ein junges Blut




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