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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 43,2.1930

DOI Heft:
Heft 7 (Aprilheft 1930)
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Heiseler, Henry von: Der Traum von Deutschland
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https://doi.org/10.11588/diglit.8888#0045

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schasfeii. Der Liebende muß nokwendig nngerecht sein all den zahllosen Ilnge-
liebken gegenüber, gan; cinerlei, ob es siih nm Frauen oder um Rassen handelk.
Selbsl der Fehler einer geliebken Frau oder geliebken Rasse kann den Liebenden
enkzücken, der Vorzug einer nngeliebken ihn unker Umsiänden enewieren. Oder
es wiederholk sich bcständig der Vorgang, daß man bedeukende Verkreter srem-
der Nassen unwillkürlich aus irgendeine Weise seiner eigenen Rasse zu gewm-
nen suchk, indem man ekwa bei Jesus, Danke, Cervantes, Kolumbus, Puschkin
nach germanischcn 2lhncn forschk. Das ist ein wenig kindisch, aber es gibk ja
doch erhalkenswürdige oder zum mindesten liebenswerke Kindereien.

Rkeue und neue Gestalken dringcn heran. Der Taugenichts mik seiner Geige,
Vulk mik seiner Flöke, Walk und Wima. Daneben die großen Lehrcr Kank
und Humboldk, der klare Schopenhauer, der dunkle Hamann, Herder, Ranke.
Das erhabcne Manneskum Bachs, das lcidenschafkliche Menschcntum Beek-
hovens, die über Lragischer Tiefe spielend schwebende Göktlichkeik Mozarts,
die ergreifende Serenikäk Glucks, Kleist mik seinem Kinderkopf und der über-
strömenden Musik in seinem Bluk und auf seinen Lippen. Weiker ohne Wahl
Wolfram und Gokkfried, Lukher und Meister Eckehark, Grimnielshausen, Gün-
Lher, Lessing, Leibniz, Friedrich Hölderlin und Skefan George, Gerhark Haupk-
mann und Frank Wedekind, Tieck, 2lrnim, Jmmermann, und Schiller sclbsi-
vcrständlich, Hebbel nnd Ludwig, Gokkhelf und Conrad Ferdinand Meyer und
der höchste von allen, Goekhe. llnd noch habe ich Friedrich nichk genannk, Blü-
cher und Bülow, Gneisenau und Scharnhorst, die Holbeins, Cranach, Dürer,
Roberk Mayer, Kepler, Erasmus, die Sachsenkaifer, die Hohenstaufen...

nichk die Hälfke des N'ennenswerken, nichk den zehnken Teil.-

Deuksch sein heißk: eine Sache um ihrer selbst willen kun. Diese berühmke
Formulierung Richard Wagners ist glänzcnd und bestechend, kann aber vor
strengerer Prüfung nichk beslehen. Ein Engländer zum Beispicl ist in hohem
Grade fähig, eine Sache um ihrer selbst willen zu kun, ein Amerikaner nichk
minder. Zukreffender schon hieße es: Gcrmane sein heißk usw., aber auch dann
regen sich Einwände. Sachlichkeik, Treue dem ObjekL gegenüber ist sreilich
eine Eigenschask, die ben Germanen vorwiegend auszeichnek, aber schließlich
besiHk dieser doch noch eine ganze 2lnzahl anderer Eigenschafken. Der Deuksche
ist zum Beispiel kampffreudig, ferner musikalisch, auch hak er Talenk und
Neigung zur philosophischen Spekulakion. Mik gleichem Ocechk häkke also
Wagner sagen dürfen: deutsch sein heißt, kampffreudig, musikalisch oder philo-
sophisch begabt zu sein. Eng ist die Formel, das Leben aber isi weik. Ein
anderes weikverbreikekes Schlagwork laukek: das Volk der Dichter und Denker.
Wic aber läßk sich eine ganze Reihe echk und iiinerlichst deukscher Erscheinun-
gen in diese Formel bannen? Jch nenne nur Blücher, Bülow, Bismarck,
Seydlitz, Zieken, den Kohlhaas, den Erbförster, die HeitereLhei, die Burgundeu
im Nibelungenlied, Goekhes GöH, Hauptmanns Geyer. Schlagwörker und
Formeln sind aber in dcn selkensten Fällen wirklich zutreffend. Der versteckke
Sinn jener Formel, den ihr Erfinder wohl zu fühlen, aber nichk auszudrückeu
vermochke, ist ungefähr der, daß noch im nüchkernsten, im sachlichsten Deutschen
ekwas vom Träumer, ckwas vom Dichter und Denker stecke. Man könnte diesen
Gedanken auch so umschreiben: noch der nüchkernste Deutsche besi'HL wenigstcns
in einem Winkel sei'nes Herzens die Fähigkeik, die Dinge sud specis aeternl

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