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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 43,2.1930

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Heft 8 (Maiheft 1930)
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Alverdes, Paul: Bemerkungen zu einer Novelle von Hans Grimm
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https://doi.org/10.11588/diglit.8888#0148

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macht haben. Was aber ihre Poesie aiigeht, so tann sie den Derglcich inik den
obengenannten Jahren gar nicht erst tvagen: die Ivesentücheii Gedichte dieses ersten
Jahrhundert-Drittels sind vor deni Kriege geschrieben worden, das dichterische Drama
liegt völlig brach, wenn man den einzigen „Turm" Hofmannsthals ausnimmt, und
neben einigen allerdings hochbedeutsamen Leistungen der Übersetzung und der Nach-
dichtung hat sich nur ihre epische Dichtung zu eimgem Range erheben können, ja,
hier sind gerade in den Jahren nach dem Kriege verschiedene Werke der verschieden-
sten Llrtung entstanden, die den Vergleich mit den Meistern des vergangenen Jahr-
hunderks wohl nicht scheuen müssen. Zu diesen zählt anf dem Gebiete der Novelle
und der kürzeren Erzählung Hans Grimms „Richter in der Karu"; ja, er hat mit
dieser Arbeit, die auch innerhalb seines ganzen bisherigen Schaffens ihresglei'chen
nicht hat, eine deutsche Prosa-Dichtung geschasfen, die mik anderen als den hohen
Mustern ihrer Gattung gar nicht erst verglichen werden kann.

„Der Richter in der Käru" ist vor einigen Jahren gewissermaßen unter Ausschluß
der Ösfentlichkeit und von dieser auch nicht weiter beachtet in den Drncken eirier
Göttinger Bibliophtlen-Gesellfchaft erschienen; unverständlicherweise war er damals
mit einer recht nebensächlichen Erzählung des Dichters zusammengekoppelt, und auch
diesmal ist cs ihm nicht beschieden, wie er es wohl verdiente, allein vor das Publikum
zu treten, sondern er erfcheint in der Gesellschaft einiger anderer Geschichten. Es
sind freilich Geschichten von Hans Grimm, und fie können sich sehen lassen
Aber in keiner von ihnen, auch nicht in der nach einigem anfänglichen Umstand —
auch sprachlichem Umstand — zu jener ganz eigentümlichen Dichte und Unerbitt-
lichkeit seines epischen StileS entwickelten, geheimnisvoll-unausweichlichen Erzählung
von des Elefanten Wiederkehr — in keiner von i'hnen ist jene völlige innerc Unab-
hängigkeit vom Milieu und seinen Bedingtheiten erreicht wie im Richter in derKaru.
Unter Unabhängigkcit vom Gegenständlichen kann aber hier nicht dessen Verball-
hornung, Derachtung oder Verfälschnng verstanden werden, nach welchem Rezept
just in dem verwichenen Jahrzehnt imnier wieder versucht worden ist, den puren Geist
herauSzudestillieren. Das genaue Gegenteil davon ist, wie in jeder cchten epischen
Erzählung, im „Richter" der Fall. Er spielt in der Karu-Stadt und deren Um-
gebung und vor Gericht daselbst und kann und soll nirgends anders spielen. Der
Richter ist nicht einer von vielen, sondern Richter Lambert, seine Frau ist Frau Lam-
bert und schreibt ganz bestimmte Briefe, über die ihr Gatte ganz bestimmte Ge-
danken hat — völlig lebenstren und völlig nebensächlich dies wie alles andere ein-
gangs zu lesen: aber nun fügt es sich eben, daß Richter Lambert über einen Mann
zu Gerichte sitzen soll, der, wenn er nicht der Farnier Dufanr wäre, der Richter Lam-
bert sein könnte. Allerdings hat der Farmer Dufaur seine ungeliebte Gattin, die
nicht seinem Behagen und nicht seincr Lust, wohl aber seinem Werk im Wege war,
umgebracht, und er leugnet es nicht ohne einige Aussichten, bis ihn der Richter kraft
Gesctzes zum Todc verurteilt, nachdem er ihn in seiner Seele freigesprochen hat. Dies
alles begibt sich, wie gesagt, in einem ganz bestimmten Milieu, das mit oft scheinbar
behaglicher Breite und Umständlichkeit bekanntgemacht wird. Zugleich aber ist wie
in keiner andern Erzählung GrimmS hier alles auf alles bezüglich, und die Bemev-
kungen und Ansichten eines Dieners, das Gebaren eines Reitpferdes, die iiächtlichen
Träume eines ManneS sind so ganz außer dem Spiel und so mitten darin zugleich,
wie das Wirbeln des StaubeS, Stoßen des Windes und der wandernde Strahl der
Sonne selbst. Es ist Dichter-Welt, in die wir hier blicken: sie erscheint fugenloser
und klarer in ihreni Aufbau und ihrer Ordnung, auch der geselligen, als sie sich
dem zerstreuten und flachen Blick deS nur aufnehmenden und nicht gestaltenden Bc-
rrachters geben mag, und ist eine wirkliche und bcdingte Welt zugleich. Denn vhne
die ganz besonderen Voraussetzungeu dieser heroischen Landschaft und des harten,
ständig bedrohten und ständig fordcrnden Menschen-Daseins in ihr wären die qroßeu

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