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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 43,2.1930

DOI Heft:
Heft 10 (Juliheft 1930)
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Alverdes, Paul: Kleine Reise: aus einem Tagebuch
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https://doi.org/10.11588/diglit.8888#0259

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für jeHL, aber der GeselligkeiL noch unterkan. Jch sprach mik mir selbst, ich
rcdeke die Berge und die Abendwolken, den Braus des Windes auf dem er-
dunkelnden Wasser, das immer tiesere Grün der Kastanien-Wipfel über den
Gärkcn mik allerlei vorgeprägken Worken an. ZuleHL waren es ein paar Verse,
die ich seik meiner Schulzeik nie wiedcr vergessen: „Mach hurkig, Jennic, zieh
die Naue ein / Der graue Talvogk kommk, dumpf brüllk der Firn / Der
Mykhenstein ziehk seine Haube auf / Und kalt her bläst es aus dem Wekker-
loch . .

Jch wiederholke sie mir einige Male halb lachend und halb mik Grausen, denn
nuu zeigkcn sich Gesichker, die ich lange nichk mehr gesehen, Nmmen, auf die
ich schon vergessen hakke, — Gesichker und Namen der Token, mik denen Lch
aus dem'Düsseldorser Pennal die Szencn aus dem Tell aus eine halb krave-
sticrende und halb ergriffene Weise während der großen Pausen dargestellk
hakte. Wir brachken uns mik den Linealen zu Tode und erwarsen den Bogk
mik dem Zeigestecken. Da wußke der immer feige und ängstliche Sk... noch
nichk, daß er keine vier Jahre danach an einem Bajonckkstich sollke sterben
müssen, und des Tellen Sohn, der ofkmals mik einem Apfel aus sciner Früh-
stückskasche auf dem Haupke das SchüHenlied gesungen hakke, daß cr hoch
über eincr englischen Skadk in der Lufk zu Asche verbreuncn sollke.

Es dunkclke schon, die Basteien vonSkansstad sahen bleich herüber, in den
Wäldcrn über Bürgenstock brauste der Wind, die ersten Lichker zcigken sich
ringsnmher und manche hoch wie Skcrne an den Wänden, aber roken, irdi-
schen Lichkes. Ich ließ mir Wein und Fleisch kommcn und keilke mik den
Fischen. Wie uun aber der Dampfer dichk an den Ufcrn enklang heimkehrte
und in den üppig verschwiegenen Gärken der vielen kleinen Gasthöfe die
Lakernen sich wiegken und an manchem Balkon und mancher Loggia die
Türen weik offen standen nnd den Blick in sreundlich erhcllke Zimmer ge-
währken, da wendeke sich die Seele begierig wiedcrum dem Allerlebendigstcn
zu. Hier, dachke ich, sind die Herbergen der Liebenden, ich muß hier nur aus-
steigen und mich zu Tische seHen und mich werden Blicke treffen wie lange,
süße Schläge aus das Herz, ich bin willkommcn, bin längst erwarkek. Aber
es zeigte sich nicmand, in keinem Hause, sie schienen alle unbewohnk nnd die
Lichker zur Täuschung zu brennen. Ein paar Saalköchker mik weißcn Häub-
chen strichen herum, und an den Anlegebrücken standen die Hausdiener mik
goldgestickkcn MüHeu im gelben Schein der Skakionslampen und spuckken
verdrossen ins Wasser. Ein PlaHrcgcn troff hernieder, als ich gegen neun
Ilhr des Abends wieder über die Brücke lief.

Der Wirk saß noch in seiner Loge und hakkc blukunkerlauscne Augen. Er
schwankte hin und her, seine Skimme aber war unveränderk gcmessen, als cr
mir mit sehr höslichen Worten guke Nachk wünschke. Als ich obeu aus dem
Fenster sah, da war gerade gegenüber das Vcreinshaus der Abstinenzler. Sie
hielten Versammlung ab in einem kleinen Saal, in den ich hineinblicken
konnke, und lauschken mik ernsten, bekümmerken Mienen einem Vorkrag, dcn
ein ungemcin großer und breikschultriger Abstinenk zu halken schien. Er hakke
einen Zwicker auf der Nase und las aus einer Liste ekwas vor, und zuweilen
nahm er ihn herunker und drohke damik, indcm er Zahlen oder Daken aus
seiner Liste wiederholke. Dann ging eine Bewegung durch die Abstincnzler,

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