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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 43,2.1930

DOI Heft:
Heft 10 (Juliheft 1930)
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Alverdes, Paul: Kleine Reise: aus einem Tagebuch
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https://doi.org/10.11588/diglit.8888#0261

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gukem WeLLer den Rückweg über den See zu nehmen. Aber r'ch war es ganz
zufrieden so und wünschte mir nichts Besseres.

Jn Flüelen fragke ein älkeres Fräulein, die an einem Bandelier eine lederne
Tasche umgehängk Lrug, auf der wiederum mehrere kleinere Taschen für Geld-
forken, Fahrscheine, Äusweise und Gokk weiß was aufgenähk waren, den
Skationsvorfleher alle fünf Minuken nach den genauen Umsiänden des zu
erwarkenden Zuges. Er gab ihr jedesmal freundliche Auskunfk, wenngleich er
ihr die ferner verlangken Anschlüsse von Bologna nach Livorno und Siena
nichk mikzukeilen wußke. Dazwischen lief sie mik der halb verzweifelken und
halb hoffnungsvollen Miene eines Menschen auf und ab, der beim besten
Willen nicht glauben kann, was er für sein Leben gerne glauben möchke.
Für Menschen ihrer Gemüksark gibk es kein größeres Glück auf der Welk
als Skakionsvorsteher.

Dic Fahrk ging den Gotkhard hinan, an Abgründen vorbei, über Abgründe
fork, kehrend und wiederkehrend bis zur völligen Verwirrung. Ganz plöhlich
erscheink das Tal auch eben dork, wo man scheinbar ohne Schwierigkeiken
hereingefahren war, durch ein mächkiges Gebirge von schwarzem Granik mit
lang herunkerlechzenden Schneefernern abgeschlossen. Es war vorher nichk zu
sehen gewesen, oder ich hakke es doch nichk wahrnehmen können, denn ein jun-
ger Landessohn, ein Bauernknechk seines Zeichens, hakke sich sogleich in das
einzige enge Fensler meines Abkeils gelümmelk, als ich es für einen Augen-
blick hakke verlasfen müssen, und war durch kein verbindliches Klopfcn auf die
Schulter und unverbindlicheres Skoßen und Drängeln von der Skelle zu
bringen, und zu reden, war mir wegen des Lärmes und des sioßenden Wagens
ganz unmöglich, er häkke keine Silbe verstanden. Er führke eine nagelncue
schöne Art mik sich, mik der ich ihm ganz ohne Mikleid die Hirnschale häkte
aufhacken mögen. Endlich, kurz vor dem Tunnel dampfke er ab, dampfke darf
ich wohl sagen, denn er roch ganz unsäglich, und ich spürke es mik Genug-
kung, als sei er damik bestraft. Übrigens war er strohblond, breit wie eine
Haustüre, nußbraun von Stirn und Wangen und von einer herrlichen Ge-
sundheik rund herum. Es schneike und regneke, als wir in den Gokthard-
Tunnel einfuhren.

Wirklich schien jenseiks in Airolo die Sonne. Die Fenster waren noch hoch
geschlossen, ein blauer Himmel zeigke sich rnik stillem weißen Gewölk. Mir
wurde immer heißer, ich hielk mich allen Ernstes für fiebernd und hakke hypo-
chondrische Gedanken. Aber als ich endlich das Fenster herunkerzog, da schwoll
eine dufkende Wärme herein, ich lehnke mich weik hinans, noch der Fahrwind
war weich und wohlig, und ich sah in eine selig veränderke Welk.

Rkoch war das Gebirge wild gegliederk, ja bei kleineren Formen kühner und
überraschender als jenseiks des Passes — aber von wilder Heikerkeit zugleich!
Das war nichk mehr das düstere und drohende Wolkengestühl wie drüben,
sondern es waren SkufensiHe der heikeren Gökker, die festlich über dieses
Land geboken: Über seine Bachschluchken und Gießbäche im grüngoldenen
Schakken-Zwielichk, über feine weiß sgringenden Gewässer, über sein braun
und rok und buntes Würfelwerk der glänzenden Steine unker der rieselndcn
Wasserhaut, seine weglos verwachsenen Nußwälder und Kastanienhaine, seine
laub- und rebenbegrünten Bergeshänge und steinernen Lauben und Grokken

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