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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 43,2.1930

DOI Heft:
Heft 10 (Juliheft 1930)
DOI Artikel:
Heilbrunn, Ernst: Englische Nachkriegsliteratur, [1]: D. H. Lawrence
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https://doi.org/10.11588/diglit.8888#0269

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„Dem Taumel weih ich mich, dem schmerzlichsten Genuß,
Verllebtem Haß, erqmckendem Berdruß."

Heute nennk man dies Ambivalenz, und sie hat Lawrence immer wieder ge-
schilderk. „Es war furchkbar und über alle Maßen schön." „Dann ging er..
weg von ihr, befriedigk und zerbrochen, erfüllk und vernichkek." Lawrence
gilk es, den verhirnken Menschen Europas zu befreien, und Eros isk der erße,
der auö seiner „SchrecklichkeiL", wie das familienheilige England ihn noch
immer empfindek, enkhert werden muß; aber sobald der neue Mensch sich
ihm als Allverwandler und allgemeinem Elirier anheimgibk oder ihm in hoss-
nungsloser (moralischer!) Verpflichkung verfällt, wächsk die Fremdheik, der
Wunsch nach Selbstbewahrung, nach hoher Einsamkeik in ihm auf; es hak
sich nur „mik Hilfe" der Frau ekwas ereignek, aber fie war es nichk: „Wir
möchken uns selbst bekrügen und glauben, Liebe wäre die Wurzel von allem.
Das isi sie nichk. Die Wurzel isk Jenseiks, ein nackkes Fürsichsein, das ein-
same Jch, das sich nie vereinigen und vermischen kann." So isk dieser Ver-
herrlicher des Eros steks in schwerer Fehde mik der Liebe, er möchke sie fask
zerkreken sehen, weil sie immer wieder mit den Ansprüchen sehnenbrcchender
Selbskhingabe und holdseliger Zerknirschung aufkrikk. So wird das befreike
Werben der Geschlechker in seiner epischen Linie zu einem wilden Geschlechker-
kampf. Diesen hak er immer wieder geschilderk: das Auflodern in der Enk-
rückung, den Haß bei „konsequenker" Überwälkigung des ganzen Menschen. In
der Tak isk Fauskisches in Lawrence, aber dieses Fausks Grekchen läßk sich
von ihm rekken, und so wird Haß ihr Teil. „Die Liebe sollke einem das Ge^-
fühl von Freiheit geben, nichk von Gefangenschafk." Und die Erlösung aus
dicsem Zirkel? Wie zwei ganz gleiche Sterne sollken die Liebenden skehen,
zueinander in Bezug, aber jeder sich in sich selbsk erfüllend.

Dieses Lawrence's „Urerlebnis" gibk seinen Romanen ununkerbrochen eine un-
gewöhnlich geheimnisreiche schwelende Geladenheik, nie läufk eine Konver-
sakion dahin nur sozial charakkerisiercnd oder von unverbindlich kreisender
Psychologie. Wie die Raubtiere umschreiken sich die Menschen, sagen ekwas
und meinen doch ihr innerskes Leben... so kommk die Dichte und das
Funkeln ciner Parabcl in Gespräch wie Geschehen. 2lber zugleich sind die
Romane lcichk von enervierender Unauflöslichkeik.... Lragische Phankasien
und Medikakionen über die Ausweglosigkeik unseres europäischen Lebens. ITa-
turgemäß können sie nichk episch sein, nichk „plastische Geskalkung", bisweilen
erscheinen sie wie Rhapsodien, besonders in den späkeren Werken aber folgt
Skizze auf Skizze, und wir hießen es Pointillismus, wenn dieser Name nichk
meinen lassen könnte, bloß die Farbe einer Szene sei festgehalten, während es
doch um ihren vikalen HiHegrad gehk.

Lawrence gibk England in erster Linie für die tropischen Zonen auf. Ganz
außerordentlich sind die Szenen, in dencn der geile und schweigende Tropen-
wuchs den Menschen niederdrücken und mik ihm sich düngen möchke. Iknd un-
gemein eingeweihk ist auch Lawrences Wissen um primikive Kulte, um die
Wuchk exokischer Willensspannung. Aber er gehörk gleichwohl nichk zu denen,
die im Skile Lecomke de Lisles und der Neuromantik in einem „Exokismus
der Sinne" vom „Ienseiks des Ienseiks", wie er den schweigenden Busch
oder den Urwald nennt, sich hätte zerlösen lassen. Lawrence isk kein Diony-

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