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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 7.1893-1894

DOI Heft:
Heft 4 (2. Novemberheft 1893)
DOI Artikel:
Lange, Konrad von: Über malerische Ausführung
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https://doi.org/10.11588/diglit.11728#0059

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4. Dekt.

Lrscbeint

Derausgeber:

Ferdinand Nvenarius.

Kesrellpreis:

vierteljährlich 21/z Mark. ^

Wber maleriscbe Nuskübrung.



!ie erklärt sich die Thatsache, daß die ältere
und neuere Malerei in Bezuch Huf die
Genauigkeit der Aussührung so sehr von
einander abweichen? Das ist eine Frage,
die sedem Laien auf die Lippen kommt, wenn er Bilder
des t?. Jahrhunderts oder der Gegenwart mit solchen
des t5. und zs. Jahrhunderts vergleicht. Wie kanien
Rembrandt und Fr. Hals, Velasquez und Murillo dazn,
und wie kommen z. B. neuerdings die Jmpresfionisten, die
Schotten und viele der Münchener Sezessionisten dazu, die
Umrisse ihrer Figuren weichi und verschwommen, die Flächen
wie ein Konglomerat von Farbenflecken zu behandeln,
während I. von Eyck, Dürer und Holbein die llmrisse
scharf und linienhaft, die Flächen glatt vertrieben aus-
führten? Die Thatsache ist ja schon oft konstatirt worden,
aber die Gründe dafür hat man bisher, soviel ich weiß,
nicht eingehend erörtert. Die Frage der Berechtignng der
modernen Malweise wird inssweiten Kreisen, besonders des
Publikums, immer wieder von neuem ausgeworfen, in den
meisten Fällen sogar verneint. Es wird gesagt: Wir
sehen thatsächlich die Linien und Formen der Natur voll-
kommen scharf. Wie kommt der Maler dazu, sie ver-
schwommen darzustellen?

Was man gewöhnlich für die verschwommene Behandlung
ansührt, ist die Einwirkung der Luft. Man sagt: Die
Luft tritt als Medium zwischen das Auge und den ge-
sehenen Gegenstand, und durch die Luft werden nicht nur
die Farben abgewandelt, sondern auch die Formen, d. h. die
Farbengrenzen, verwischt. Jch möchte dieser Erklärung nur
in beschränktem Maße beistimmen. Sie hat wohl für
den Hintergrund eine gewisse Giltigkeit, nicht aber für

den Bordergrund. Ein lebensgroßer gemalter Kopf z. B.
setzt eine so geringe Entfernung des Modells vom Maler
voraus, daß auf die Art seiner Aussührung die Luft keinen
maßgebenden Einfluß ausüben kann. Auch tritt ja an-
nähernd dasselbe Quantum Luft, welches den Maler von
seinem Modell trennte, zwischen das Auge des Beschauers
und das von ihm betrachtete Bild, so daß also eigentlich
die Luft schou ganz von selbst in der Malerei eine ahn-
liche Wirkung wie in der Natur erzeugen müßte. Wie
kommt es nun, daß trotzdem die modernen Maler auch
bei einem lebensgroßen Kops die Umrisse verschwimmend
malen, die Farbenslächen gewissermaßen mosaikartig zu-
sammensetzen?

Gehen wir einmal vom Einsachsten aus, nämlich von
der Umrißzeichnung. Es ist bekannt, daß kein geübter
Zeichner oder Maler grade Linien in der Natur, z. B.
scharfe Kanten eines Hauses als mathematisch grade Linien
zeichnet. Er wird sie stets, auch wenn sie dem Auge nahe
gedacht sind, in Form zittriger oder schwankender, aus kleiuen
Teilen zusammengesetzter Linien behandeln. Der Grund
dasür kann nur ein optischer sein, nur in der Beschaffen-
heit unserer Augen liegen. Nun lehrt uns allerdings die
Optik, daß ein Mensch mit normalen Augen, wenn er
einen Gegenstand fixirt, diesen Gegenstand auch thatsächlich
genau sieht. Theoretisch betrachtet würde er also z. B.
die scharfe Kaute eines Hauses wirklich als Linie, als
mathematische Liuie sehen. Aber diese theoretische Forderung
trifft praktisch nicht zu, insbesondere nicht für den Maler.
Jn Wirklichkeit fixiren wir nämlich von allen Gegenständen
unserer Umgebung immer nur einen, alle übrigen projiziren
sich auf unserer Netzhaut nur als uuvollkommene und ver-

Skbiclk i»e§

^xveites Oovember-Dett 1693.

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