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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 7.1893-1894

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Heft 5 (1. Dezemberheft 1893)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11728#0084

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Eine einaktige Oper „Aglaja", Text von D. Kunhardt,
Musik von Leo Blech, ist im Aachener Stadttheater, wo der
Komponist als Kapellmeister thätig ist, aufgeführt worden.
Die Handlung spielt in Thessalien um t»20, zur Zeit der
griechischen Befreiungskrige, Räuber sind ihre Helden und ein
Räuberhauptmann ist der Hauptheld, die Hauptheldin aber,
wie sich versteht, eine edle Jungfrau. Es kommt zu bösen
Verwickelungen, und fast in jeder Szene entfließt Angstschweiß,
am Schlusse aber Blut. Der Komponist hat im Allgemeinen
nach dem Cavalleria-Rezept gearbeitet, zahlreiche motivische
Anklänge an „Tristan" und die „Walküre" sind ihm unter-
gelaufen. Jn der Verwendung der Ausdrucksmittel schwankt
der noch sehr jugendliche Komponist zwischen Überladung und
Dürftigkeit. Die Jnstrumentation bevorzugt etwas zu ungestüm
charakteristische Farben und nimmt z. B. die hohen Stimm-
lagen ein wenig über Gebühr in Anspruch. Jn dem Werk
sanden verschiedene rein musik'alische Einzelheiten einen nicht
nur durch den Lokalpatriotismus motivirten Beisall.

Giacomo Puccinis lyrisches Drama „Manon Les-
caut" hat in Hamburg seine Erstanfführung sür Deutschland
erlebt. Jn Frankfurt a. M. gab man ziemlich zu gleicher
Zeit eine andere Oper dieses Komponisten, „Die Willis", in
deren Handlung eine weibliche Vampyr-Abart eingreist und
die Katastrophe herbeiführt — die „Willis", unter welchen
Fabelwesen man die abgeschiedenen Seelen verlassener Brüute
zu verstehen hat, denen die Untreue der Männer das Herz
gebrochen. Sie rächen sich, indem sie den heimkehrenden Ver-
rätern auflauern und sie zwingen, mit ihnen so lange zu
tanzen, bis sie sterben. Die „Willis" erlebten in Hamburg
schon vor zwei Jahren eine erfolgreiche erste Theaterauf-
sührung sür Deutschland. Über „Manon Lescaut", die in Turin
um Ostern zum ersten Male gegeben worden, haben wir damals
aussührlich berichtet.

Jm Karlsruher Hoftheater hat unter Mottls Leitung eine
„Berlioz-Woche" stattgefunden. Man hat den „Benvenuto
Cellini", die anmutige komische Oper „Beatrice und Benedikt"
mit von Mottl nachkomponirten Reziativen und die beiden
Teile der „Trojaner" aufgesührt, unter siegreicher Überwindung
aller Schwierigkeiten, die diesen Werken anhasten. Außer
einzelnen kleinen Bruchstücken aus weniger bekannten Berlioz-
schen Werken wurden noch die großartige Lear-Ouvertüre und
die Sinfonie fantastiqne gespielt. S.

Mldende Ikünste.

» Max Klingers „Lalome".

Der Lichtenbergsche Kunstsalon, der init seinen trefflichen
Sonderausstellungen unter der thatkrästigen und verständnis-
vollen Leitung des Herrn Morawe schnell eine größere Be-
deutung sür das Dresdner Kunstleben erlangt hat, als je ein
anderes derartiges Unternehmen dort, vereinigt gegenwärtig
einige der wichtigsten Schöpfungen Max Klingers in seinen
Räumen. Wir finden da von großen Bildern die „Kreuzigung",
die „Nymphe", die wundersame Symbolisirung des Erwachens
und Sehnens seinnerviger Naturen zur „blauen Stunde" der
Dämmerung, dann einige der besten von Klingers älteren
„Grisfelwerken", vor allem aber ein plastisches Werk und eine
Folge von Radirungen, die hier zum ersten Male vor die
Oeffentlichkeit gestellt werden.

Das plastische Werk ist die Salome. Aus verschiedenem
sarbigem Marmor gebildet und dann noch zum Teil bemalt
die Halbstatue eines Weibes, das vor sich hin blickt, die Arme
auf der Brust lüssig übereinander gelegt; an ihr Gewand
lehnen auf dem Postament ein alter und ein junger Mannes-

kopf. Klinger selbst hat die Gestalt aus dem Marmor gehauen
und auch in bildhauerisch-technischer wie koloristischer Beziehung
eine höchst interessante Leistung geboten. Aber uns bleibt
kaum Muße, das viel zu prüfen und zu bewundern, so gewaltig
ist der seelische Ausdruck.

Denn dieses Weib ist nicht nur Salome, die das Haupt
des Täusers begehrt. Sondern sie ist die dämonische Ver-
körperung des Weibes als der Vernichterin des Mannes über-
haupt und die gelebt hat zu allen Zeiten, in den blutgierigen
Wüstlingskaiserinnen des Altertums wie in Kundry und wie
in Nana. Nnd dieser Kopf zu ihrer Linken ist nicht das
Haupt Johannis oder weß Einzelnen sonst, sondern das Haupt
der irrenden Jünglingsschwärmerei, die sich dem Weibe opsert,
wie das entsetzlich verzerrte Gesicht des alten Sünders zu
ihrer Rechten, das Grauen, Mitleid und Ekel zugleich erregt,
wieder keines Einzelnen Kopf, sondern das Haupt ist des
lebenslänglichen Sklaventums unter der Geilheit schlechthin.
Es braucht eine Zeit, bis wir uns der Mittel klar werden,
durch die solch überwältigende Symbolik erreicht ist. Daß
nichts im Allegorischen stecken geblieben, daß alles in dieses
Wesen da organisch umgeschafsen ist, an das wir nun
glauben müssen, weil es vor uns lebt, das war die erste
Vorbedingnng zu so überzeugendem Eindruck. Aber die er-
blickte Menschengestalt wirkt doch wieder wie eine geistige Krast,
weil aus jeder Körperform das Seelische spricht. An diesen
Augen, diesem Munde, diesen Ohren, diesen gemeinen Gliedern
könnte ein Lombroso Studien machen über Verbrechernatur.
Und doch ist der Eindruck des Ganzen dem ersten Blicke nicht
ungesällig. Man kann begreisen, daß solch ein Weib fangen
kann, wen sie vernichten will — also erreicht diese Gestalt
der Sünde anf echt künstlerischem Wege, was jene mittel-
alterlichen Gestalten der Sünde so kindlich erstrebten, die ein
von vorn besehen schönes Weib in der Rückenansicht als
gefüllt mit Würmern und Schlangen enthüllten. Meisterhaft
auch für die seelische Wirkung ist dabei die Verwendung der
Polychromie, gerade auch durch eine da und dort erscheinende
Zwiespältigkeit von Form und Farbe. Denn sie regt das für
die besondere Absicht so wichtige Oszilliren des Gefühls
zwischen den Eindrücken von Wirklichkeit und Symbolik im
Beschauer an.

Die andere große Neuschöpfung von Klinger sind seine
Bilderph antasien über Brahmssche Lieder. Er
giebt mit diesen Radirungen eine Folge, die auch die besten
seiner srüheren eher übertrifft, als daß sie hinter ihnen zurück-
bliebe. Von ihr, einem gleich der Salome wahrhaft genialen
Werke, sprechen wir im nächsten Heft. A.

* Mtlbelm Steinbausen.*

Seit zwanzig Jahren schasft er, und die seine Kunst kennen,
sahen ihn in der illustrationzeichnenden, in der Bildnis-
in der Landschafts- wie in der historischen, Lesonders der
religiösen Malerei sich bethätigen: aber wie Wenige kennen
seine Kunst! Sie ist einsam geblieben; einsam, weil ste
still ist. Seine Bilder Ledenten nicht dies und das, was
von Tagessragen zur Verhandlung steht; sie lenken die
Aufmerksamkeit durch keinerlei rührende oder witzige Ge-
schichte auf sich, die sie erzahlen, noch bieten sie den von
reicher Mahlzeit Satten einen nervenreizenden Sinnen-
genuß. Nein: sie haben keine Stimme, die laut genug
wäre, um im Markt- und Straßenlärm der Gegenwart
vernehmbar zu werden: hier sind wir! Steinhausens
Bilder sind stille Bilder, seine Kunst ist eine stille Knnst.

* Zu der Ausstellung seiner Werke im Dresdner Kunst-
verein.



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