Nechte den Vater der Musik nennen, wie Hoiner den der §
Dichtknnst. -—- Er starb im Monat Febrnar, ain Feste
Mariä Lichtmeß unter Papst Clemens XIII., und
ist in genanntcr Basilika init größter Feierlichkeit und unter
Begleitung einer großen Menge von Sängern begraben
worden. Jch, Melchior Mafor, der dieses niederschrieb,
bin Augenzeuge gewesen. Er hat 6 8 Jähre gelebt. —
Wie die Töne des Hexachordes, so steigt Dein rnhmreicher
Name, o Palestrina, hiinmelwärts zu dcn Gestirnen empor.
— O unvernieidlicher Tod, Dn bitterer, hartherziger und
grausainer Tod, der Du die Teuipel und die Fürstenhöfe
der süßen Klänge beraubt: Deine Gewalt nahin uns den
hinweg, der durch seine Harmonien die Zierde der Kirche
war. Sage darum auch der Musik, sie möge ruhen in
Frieden.«
Daß die Werke Palestrinas im t?- und 18. Jahr-
hundert wenig mehr praktisch znr Aufführung kamen, sa
sogar der Name des Meisters nur mythenhaft und als
Repräsentant einer vergangenen Kunstepoche spärlich genannt
wird, wenn auch immer — schon wegen der Traditionen
der päpstlichen Kapelle — hoch geachtet blieb, ja fast als
unnahbar und rätselhaft angesehen wnrde, lag in den ganz
neuen Verhältnissen, in welche die Musik durch den monodisch-
dramatischen Stil und durch Vernachlässigung des Vokal-
chorgesanges gegenüber der Solistenmanie der Kastraten
gestoßen wurde. Ambros schildcrt diese Revolution meister-
hast im -i. Bande seiner Musikgeschichte Erst im 19. Jahr-
hundert begann durch Baini, Proske, Winterfeld, Thibaut,
Kiesewetter nnd Anderc das Verständnis sür die hehre
Größe, den religiösen Ernst, die künstlerische Vollendung,
den in sich abgeschlossenen Stil der Werke Palestrinas
zu wachsen.
Einer der Ersten, welche auch praktisch einzugreifen
entschlossen waren, ist Richard Wagner gewesen. Jn seiner
18-19 abgesaßten Denkschrist zurOrganisation eines deutschen
National-Theaters entwickelt er so klare und richtige Jdeen
über katholische Kirchenmusik und preist mit so warmen
Worten den unvergänglichen Wert der Kompositionen
Palestrinas, daß dem Propheten von damals jetzt nach
50 Jahren endlich doch Gehör geschenkt werden sollte, wo
nur immer es die Umstände gestatten!
Manche Musiker und Laien haben bisher das Wesen
des klassischen Vokalsatzes in einer einfachen Akkord- oder
Harmonienverbindung erblickt, da in gleichzeitiger, fast rezi-
tirender Weise die Tepte bloß seierlich, wie gleichmäßige
Orgeltöne, abzusingen seien; daß rhythmisches Leben in
Fülle jeder einzelnen Stimme innewohne, daß eine metro-
nomisch, nach dem Taktpendel abgemesscne Vortragsweise
einem musikalischen Morde gleiche, daß dynamische Ab-
stusungen und die feinsten Schattirungen der Einzelstimmen
zu gleicher Weise an besvnderen Stellen zu beobachtcn sind,
der Sopran also beispielsweise Etwas mit verktingender
Stimme vorträgt, während eine andere Stimme krästig
und frisch schon einsetzt — hielten Viele sür einen Verstoß
gegen ein traditionelles Herkommen. Viel Schuld an dieser
falschen Auffassung trugen Lehrbücher, die beim Anatomi-
siren der Melodien und kontrapunktischer Konstruktionen
die Seele der Gesangsmuse finden wollten, aber auch jene
Sammler und Historiker, die aus dem reichen Borne der
Schöpsungen Pierluigis mit Ängstlichkeit und vorgefaßter
Meinung nur solche Stücke uud Nummern als Beispiele
auswählten, in denen die Stimmen in möglichst gleichzeitiger
Harmonie auch ein gleichzeitiges Ab- und Zunehmen, leisen
oder starken Vortrag beobachten konnten. . .
Sollten diese Zeilen dazn beitragen, das Studium
aller Werke Palestrinas bei den ernsteren Musikern srisch
anzuregen, dann ist nur eine heilige Pslicht gegen Giovanni
Pierluigi aus Palestrina erfüllt, — aber man habe dann
auch die trefflichen Gedanken von Ambros vor Augen: »Wer
in Palestrinas Musik durchaus dasselbe sinden will, was
ihm in späterer, unter ganz anderen Bedingungen und mit
ganz anderen künstlerischen Zielen entstandener Musik lieb
geworden ist, wird sich allerdings getäuscht fühlen. Man
weise, wenn man will, den römischen Musikstil ganz zurück,.
aber man messe ihn nicht mit der neapolitanischen Elle
und man bedenke, daß die »iVlisZn lMpne Nnrcelli«, das
»wohltemperirte Klavier« und die »Lintonin eroica.« drei
verschiedene Dinge sind!" A. s.
Wüdende Ikünste.
» Dresdner Ikunstbriek. Es kommt wirklich nicht vom
Lokalpatriotisnms her, daß wir jetzt häufiger Dresdner Kunst-
briefe drucken. Seit der Lichtenbergsche Kuustsalon unter der
Leitung des Herrn Morawe steht, sind seine Ausstellungen etwas
gewordeu, das weit über Dresdeu hinaus Teilnahme erregen
darf, denn sie bieten nun des Öfteren, was Jahrzehnte lang
in Elbflorenz unerhvrt war: Künstler, die zu kennen sich lohnt,
treten hier mit ihren Werken zum ersten Male oder doch, wie
jüngst Klinger, mit bedeutsamen neuen Werken zum ersten Male
uicht nur vor das Dresdner, sondern überhaupt vor das größere
Kunstpublikum.
Jetzt habeu die Lichtenbergschen Säle eine Ausstellung
von Paul Baum. Wer ist Paul Baum? Gauz und gar
ein Neuling nun allerdings nicht. Die Dresdner alten Schlages
haben im Kunstverein und sonstwo schon mehrfach Gelegenheit
gehabt, sich über diesen Naturalisten zu ärgern. Und außer-
halb Dresdens ist den Malern und den ernsteren Kritikern
auch schon längst dieses oder jenes Ölbild von ihm aufgefallen,
das durch seine Leuchtkraft die Umgebung „schlug" und bei
näherem Hinblicken ausfiel durch das kräftige Streben nach
Naturtreue. Aber das größere Kunstpublikum wird von Paul
Baum doch erst durch diese neue Ausstellung erfahren.
Dem Schreiber dieser Zeilen, der Baums Arbeiten seit
etwa sieben Jahren versolgt, ist das liebste an dem Manne
dieses: er hat sich stets niit dem hingebendsten Fleiße bemüht,
nur zu malen, was ihm selber nun einmal malenswert erschien,
er hat nach rechter Künstlerweise die subjektive Wahrheit seines
eigeneu Sehens und Empfindens zu seinem Gesetzgeber gemacht,
nicht irgendwelche Wünsche der Beschauer- und Käuferwelt und
er hat dabei sogar guten Mutes ein einträgliches kleines Lokal-
rühmchen aufgegeben, das ihm nach dem Erfolg seiuer ersten
und minder selbständigen Bilder schon mit dem Barte ersproß.
Nie aber hat er mit dem Naturalismus kokettirt, nie hat
er mit der Häßlichkeit geliebäugelt, weil gewisse Leute aus
Überdruß am allzureichlich eingeflößten Syrup sür das einzig
Wohlschmeckeude den Essig erklären, und also sür Essig gute
Abnehmer sind.
Baums Malen ist durch uud durch naiv. Er ging aus
der Akademie übers Feld und konnte sich nun mal nicht helfen:
er fand schön, was die Herren Professoren nicht schön fanden.
Wie das Licht über die Wiesen rieselte, auf den Wegen spazieren
ging, über die Steine kletterte, in den Büschen und Bäumeu
Versteckens spielte, ganz unausfällig, ganz ohne Kontrast, ganz
friedlich vereint, sozusagen, mit seinem Spielkameradeu, dem
Schatten: es gefiel Herrn Paul Baum nun mal. Und es ge-
fiel ihm auch, wie sich die zierliche Birke und die zarte Erle
mit tausend feinen,' immer feineren, seinsten Ästchen, Zweigen,
Reisern gleichsam im Himmel auslöste, wie sich ihr Farbenton
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Dichtknnst. -—- Er starb im Monat Febrnar, ain Feste
Mariä Lichtmeß unter Papst Clemens XIII., und
ist in genanntcr Basilika init größter Feierlichkeit und unter
Begleitung einer großen Menge von Sängern begraben
worden. Jch, Melchior Mafor, der dieses niederschrieb,
bin Augenzeuge gewesen. Er hat 6 8 Jähre gelebt. —
Wie die Töne des Hexachordes, so steigt Dein rnhmreicher
Name, o Palestrina, hiinmelwärts zu dcn Gestirnen empor.
— O unvernieidlicher Tod, Dn bitterer, hartherziger und
grausainer Tod, der Du die Teuipel und die Fürstenhöfe
der süßen Klänge beraubt: Deine Gewalt nahin uns den
hinweg, der durch seine Harmonien die Zierde der Kirche
war. Sage darum auch der Musik, sie möge ruhen in
Frieden.«
Daß die Werke Palestrinas im t?- und 18. Jahr-
hundert wenig mehr praktisch znr Aufführung kamen, sa
sogar der Name des Meisters nur mythenhaft und als
Repräsentant einer vergangenen Kunstepoche spärlich genannt
wird, wenn auch immer — schon wegen der Traditionen
der päpstlichen Kapelle — hoch geachtet blieb, ja fast als
unnahbar und rätselhaft angesehen wnrde, lag in den ganz
neuen Verhältnissen, in welche die Musik durch den monodisch-
dramatischen Stil und durch Vernachlässigung des Vokal-
chorgesanges gegenüber der Solistenmanie der Kastraten
gestoßen wurde. Ambros schildcrt diese Revolution meister-
hast im -i. Bande seiner Musikgeschichte Erst im 19. Jahr-
hundert begann durch Baini, Proske, Winterfeld, Thibaut,
Kiesewetter nnd Anderc das Verständnis sür die hehre
Größe, den religiösen Ernst, die künstlerische Vollendung,
den in sich abgeschlossenen Stil der Werke Palestrinas
zu wachsen.
Einer der Ersten, welche auch praktisch einzugreifen
entschlossen waren, ist Richard Wagner gewesen. Jn seiner
18-19 abgesaßten Denkschrist zurOrganisation eines deutschen
National-Theaters entwickelt er so klare und richtige Jdeen
über katholische Kirchenmusik und preist mit so warmen
Worten den unvergänglichen Wert der Kompositionen
Palestrinas, daß dem Propheten von damals jetzt nach
50 Jahren endlich doch Gehör geschenkt werden sollte, wo
nur immer es die Umstände gestatten!
Manche Musiker und Laien haben bisher das Wesen
des klassischen Vokalsatzes in einer einfachen Akkord- oder
Harmonienverbindung erblickt, da in gleichzeitiger, fast rezi-
tirender Weise die Tepte bloß seierlich, wie gleichmäßige
Orgeltöne, abzusingen seien; daß rhythmisches Leben in
Fülle jeder einzelnen Stimme innewohne, daß eine metro-
nomisch, nach dem Taktpendel abgemesscne Vortragsweise
einem musikalischen Morde gleiche, daß dynamische Ab-
stusungen und die feinsten Schattirungen der Einzelstimmen
zu gleicher Weise an besvnderen Stellen zu beobachtcn sind,
der Sopran also beispielsweise Etwas mit verktingender
Stimme vorträgt, während eine andere Stimme krästig
und frisch schon einsetzt — hielten Viele sür einen Verstoß
gegen ein traditionelles Herkommen. Viel Schuld an dieser
falschen Auffassung trugen Lehrbücher, die beim Anatomi-
siren der Melodien und kontrapunktischer Konstruktionen
die Seele der Gesangsmuse finden wollten, aber auch jene
Sammler und Historiker, die aus dem reichen Borne der
Schöpsungen Pierluigis mit Ängstlichkeit und vorgefaßter
Meinung nur solche Stücke uud Nummern als Beispiele
auswählten, in denen die Stimmen in möglichst gleichzeitiger
Harmonie auch ein gleichzeitiges Ab- und Zunehmen, leisen
oder starken Vortrag beobachten konnten. . .
Sollten diese Zeilen dazn beitragen, das Studium
aller Werke Palestrinas bei den ernsteren Musikern srisch
anzuregen, dann ist nur eine heilige Pslicht gegen Giovanni
Pierluigi aus Palestrina erfüllt, — aber man habe dann
auch die trefflichen Gedanken von Ambros vor Augen: »Wer
in Palestrinas Musik durchaus dasselbe sinden will, was
ihm in späterer, unter ganz anderen Bedingungen und mit
ganz anderen künstlerischen Zielen entstandener Musik lieb
geworden ist, wird sich allerdings getäuscht fühlen. Man
weise, wenn man will, den römischen Musikstil ganz zurück,.
aber man messe ihn nicht mit der neapolitanischen Elle
und man bedenke, daß die »iVlisZn lMpne Nnrcelli«, das
»wohltemperirte Klavier« und die »Lintonin eroica.« drei
verschiedene Dinge sind!" A. s.
Wüdende Ikünste.
» Dresdner Ikunstbriek. Es kommt wirklich nicht vom
Lokalpatriotisnms her, daß wir jetzt häufiger Dresdner Kunst-
briefe drucken. Seit der Lichtenbergsche Kuustsalon unter der
Leitung des Herrn Morawe steht, sind seine Ausstellungen etwas
gewordeu, das weit über Dresdeu hinaus Teilnahme erregen
darf, denn sie bieten nun des Öfteren, was Jahrzehnte lang
in Elbflorenz unerhvrt war: Künstler, die zu kennen sich lohnt,
treten hier mit ihren Werken zum ersten Male oder doch, wie
jüngst Klinger, mit bedeutsamen neuen Werken zum ersten Male
uicht nur vor das Dresdner, sondern überhaupt vor das größere
Kunstpublikum.
Jetzt habeu die Lichtenbergschen Säle eine Ausstellung
von Paul Baum. Wer ist Paul Baum? Gauz und gar
ein Neuling nun allerdings nicht. Die Dresdner alten Schlages
haben im Kunstverein und sonstwo schon mehrfach Gelegenheit
gehabt, sich über diesen Naturalisten zu ärgern. Und außer-
halb Dresdens ist den Malern und den ernsteren Kritikern
auch schon längst dieses oder jenes Ölbild von ihm aufgefallen,
das durch seine Leuchtkraft die Umgebung „schlug" und bei
näherem Hinblicken ausfiel durch das kräftige Streben nach
Naturtreue. Aber das größere Kunstpublikum wird von Paul
Baum doch erst durch diese neue Ausstellung erfahren.
Dem Schreiber dieser Zeilen, der Baums Arbeiten seit
etwa sieben Jahren versolgt, ist das liebste an dem Manne
dieses: er hat sich stets niit dem hingebendsten Fleiße bemüht,
nur zu malen, was ihm selber nun einmal malenswert erschien,
er hat nach rechter Künstlerweise die subjektive Wahrheit seines
eigeneu Sehens und Empfindens zu seinem Gesetzgeber gemacht,
nicht irgendwelche Wünsche der Beschauer- und Käuferwelt und
er hat dabei sogar guten Mutes ein einträgliches kleines Lokal-
rühmchen aufgegeben, das ihm nach dem Erfolg seiuer ersten
und minder selbständigen Bilder schon mit dem Barte ersproß.
Nie aber hat er mit dem Naturalismus kokettirt, nie hat
er mit der Häßlichkeit geliebäugelt, weil gewisse Leute aus
Überdruß am allzureichlich eingeflößten Syrup sür das einzig
Wohlschmeckeude den Essig erklären, und also sür Essig gute
Abnehmer sind.
Baums Malen ist durch uud durch naiv. Er ging aus
der Akademie übers Feld und konnte sich nun mal nicht helfen:
er fand schön, was die Herren Professoren nicht schön fanden.
Wie das Licht über die Wiesen rieselte, auf den Wegen spazieren
ging, über die Steine kletterte, in den Büschen und Bäumeu
Versteckens spielte, ganz unausfällig, ganz ohne Kontrast, ganz
friedlich vereint, sozusagen, mit seinem Spielkameradeu, dem
Schatten: es gefiel Herrn Paul Baum nun mal. Und es ge-
fiel ihm auch, wie sich die zierliche Birke und die zarte Erle
mit tausend feinen,' immer feineren, seinsten Ästchen, Zweigen,
Reisern gleichsam im Himmel auslöste, wie sich ihr Farbenton
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