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Kunstwart und Kulturwart — 27,1.1913

DOI Heft:
Heft 1 (1. Oktoberheft 1913)
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Nidden, Ezard: Ignorabimus
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https://doi.org/10.11588/diglit.14287#0023

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aus seinem neuesten Werk, soll die erstaunte wissenschaftliche Welt, sein
Schwiegervater mit ihr, das Gegenwort gegen das »blasphemische, hof-
färtige, hochmntige" Ignorabimus vernehmen. Doch es kommt nicht dazu.
Ein paar zufällige Amstände verschenchen die Ruhe der stillen Arbeitstätte,
als Exponent der Handlung tritt eine fünfte Gestalt ein, der kühle, klare,
weltbürgerliche „Neo-Don Iuan" Baron Uexküll; er und Professor Dufroy--
Rsgnier werden zu der letzten spiritistischen Sitzung (im 3. Akt) beige-
zogen, aber was sich ergibt, ist nicht Klarheit, Bestätigung wissenschaft-
licher Ergebnisse und Erkenntnisse, sondern es sind grauenvolle Rätsel über
das Schicksal der verstorbenen Schwester des Mediums nnd Andeutnngen
entsetzlicher Greuel. Der Aufklärung über diese persönlichen Geschicke und
ihre Vorgeschichte arbeitet nun aber auch das Drama selbst zu. Alle Ge-
stalten sind durch innerste, leidenschaftlich-heiße Teilnahme an dem atem-
losen Geschehen beteiligt. Nnd indem Stück für Stück sich der Schleier
hebt und surchtbare Verstrickungen sichtbar werden, indem manches von
den Experimenten sich als allzu menschlich bedingt erweist, trübt sich
das Gesamtbild wieder: ganz und restlos genügt hier keine Erklärung,
wenn auch die Herzenstragödien, die hier um den Erkenntnistrieb gelagert
sind, und ihn stets zu lenken scheinen, bis zur innigsten Erschütterung durch-
lebt werden. Die beiden letzten Akte breiten die ganze Vorgeschichte, alle
die ungewöhnlichen, gespensterhast nachwirkenden Ereignisse der Familien-
geschichte bis ins einzelne aus, jeder Punkt der Handlung, jedes geistige und
leidenschaftliche Streben darin findet eine Begründung, man sieht zuletzt
klar, so klar, daß alle Wirrnis wie ein fluchbeladner, mythushafter Traum
erscheint, und doch: gerade so entzieht sich die tiefste Nrsache wieder der
Erkenntnis. Vergebens richtet man die Frage auf: ist nun alles rein
menschlich geschehen, nach unsern Ersahrungen natürlich und begreiflich,
oder wirkt hier eine Macht, deren Wesen uns fremd bleibt? Wir wissen
es nicht. And wie die feine Gestalt der Tochter und Schwägerin, das
Medium, am Schluß zur vorher düster angekündigten Stunde wirklich
stirbt, wie das blutige Duell, das vorher prophezeit ist, für unser Ge-
fühl zur Gewißheit wird, so entläßt uns diese qualvollste aller Tragödien
erschüttert, innerlichst durchwühlt, aber ungeklärt. Selbst die Hebel und
Schrauben dieser fünf überlangen, bohrend eindringlichen Akte zwingen
dem Geschehen kein Stück Erkenntnis ab, das die Natur nicht offenbaren
mochte.

In dem bösen Vorwort dieses finsteren, unter dem Hochdruck intellek-
tualer Leidenschaft stehenden Werkes bezeichnet Holz das „Problem Er-
kenntnis" als das Thema seiner Dichtung. Wie das gemeint ist, geht
wohl schon aus den wenigen Andeutungen des Inhalts hervor, die hier
gegeben werden konnten. Ls ist nicht der Gottheit lebendiges Kleid,
nicht die bunte, beglückende Fülle der Welt, die zu erkennen hier die
Sehnsucht trachtet; fern von Fausts und Virgils Weltwanderung ringt
hier einsames Denken um ein „Prinzip", das dem Phantom verzweifelt
ähnlich sieht. Am Ende steht wohl auch, daß es sich noch ins Freie
nicht gekämpft habe, aber nicht einmal der Schimmer einer endlichen
Erlösung und Befreiung dämmert dahinter auf. Soweit mein Denken
reicht, hat das den einfachen Grund in der Äberspitzung und Einengung
der Problemfülle. Alles ist hier angelegt darauf, daß schließlich in
wenigen Sätzen oder Formeln das wahre Ergebnis sich einstelle, in
einer nur scheinbar logischen, in Wahrheit engen und dem Wort zu sehr

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