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Kunstwart und Kulturwart — 27,1.1913

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Heft 1 (1. Oktoberheft 1913)
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Wohin?: Zum Thema: Kultur und Zivilisation
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Panzer, Friedrich: Jacob Grimm
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https://doi.org/10.11588/diglit.14287#0019

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freies Volk, umrungen von Gefahr, sich täglich das Leben erobere. Nicht
aber waren es seine Werkmeister und wären's die besten und nützlichsten
Lrsinder in der Technik gewesen, Land vom Meer zu gewinnen. Die
große Ausgabe ist auch hier: Organisation der Bildung, damit sie sich
stark genug dazu mache, ihrerseits die Zivilisation zu beherrschen. Die Lin-
sicht in die tiefwesentliche Verschiedenheit von Kultur und Zivilisation ist
längst den Gebildeten klar, im Allgemeinbewußtsein aber entwickelt sie sich
eben erst. Im Alltagslärm wirbeln noch beide Begrifse durcheinander. Und
unsre Zeit verwirrt sie deshalb besonders leicht, weil sie eine zum Staunen
hohe Zeit der Zivilisation ist, wie seit dem „Zeitalter der Entdeckungen^
keine mehr war. Zivilisatorische Güter erobern wir ja heut wie im Fluge
siegende Heere, um Kulturgüter aber kämpsen wir mühselig Schritt um
Schritt — und leider durchaus nicht ohne Verluste.

Sollte die Klärung über diese Fragen nicht beschleunigt werden? Erst,
wenn die Klarheit über sie so allgemein ist, daß keine Phrase und kein
Privatinteresse die Einsicht verdunkeln kann, erst dann werden auch die
Organisationen der Kulturarbeit über die Grenzen der einzelnen Völker
hinaus sich mit den politischen MLchten verbünden können. Gerade die
Flugzeuge sind ja wieder ein Beweis dafür, wie weit die Menschheit
da zurück ist: wäre sie organisiert, sie müßte doch fähig sein, sich hier
und beim Rüsten überhaupt zu einigen. Wie wüstet die Menschheit
noch mit ihren Kräften! Wie wenig erfassen wir noch die ungeheure Wichtig-
keit der Kulturorganisationen! Wir sprachen srüher davon, daß jede falsche
Verwendung einer Menschenkraft einen Verlust nicht nur an Einzel-
menschenkrast bedeutet, sondern an Nationalvermögen. Wir müssen er-
gänzen: jeder Fortschritt der Zivilisation, der in den Dienst der Iln-
kultur gestellt wird, bedeutet in der Entwicklung der Eigenschaften, und
das heißt der Menschheit einen Rückschritt. A

V

Jakob Grimm*

.or einigen Wochen stand ich an dem Märchenbrunnen, mit dem
,Berlin kürzlich den Eingang zum Friedrichshain geschmückt hat.
Der schöne Abend eines verregneten Sonntags hatte ihm eine festlich
bewegte Menge zugeführt, die auf und ab um die gestusten Ränder seines
weiten Beckens flutete. Vor jeder seiner lieblichen Gruppen aber drängte
sich ein Knäuel fröhlich erregter Menschen, daraus ein Fingerzeigen drang,
ein Tuscheln und lautes Rufen dazwischen: Sieh da, Rotkäppchen mit
dem Wolf! And dort Dornröschen! Nnd hier Brüderchen und Schwester-
chen! And da Hans im Glück — und wie sie denn alle heißen, die alten,
lieben, guten Bekannten. Das fast verschämte Lächeln einer schier un-
schicklichen und doch so erinnerungsseligen Freude lag auf den Gesichtern
der Erwachsenen, und laute Lust entjauchzte den Kindern, da man hier
in freier Osfentlichkeit sie grüßen durfte, diese Träger der stillen Freuden
so mancher heimlichen Dämmerstunde. Mir aber ward es warm ums
Herz irr dem Gedanken, wie wir doch über die Sprache hinaus auch heute

* Eine Würdigung Iakob Grimms auf andre Werte hin brachten wir schon
im vorigen Hefte.
 
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