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Kunstwart und Kulturwart — 27,1.1913

DOI Heft:
Heft 1 (1. Oktoberheft 1913)
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Gregori, Ferdinand: Theaterfragen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14287#0027

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Theaterfragen

es alle wie ich, daß es nach und nach stiller wird um die
/ / Theaterereignisse herum? Nicht des Sommers wegen, wo ich das
^^^aufzeichne, sondern auch von Winter zu Winter. Die Bücher-
flut, die jahraus, jahrein von neuen „Revolutionen des Theaters", von
endgültigen Problemlösungen erschwoll, verebbt gemach, nur hinkende Nach--
zügler waren die Wiener Verdeutschung des englischen „Mirakels" und die
Breslauer Versammlung der 2000 Statisten; nur einen Raumwechsel bedeutet
das Hellerauer Kammerspiel. Für eine Weile scheinen die Inszenierungs-
ausfassungen erschöpft zu sein, und man wird hoffentlich die Ruhe finden,
diese flackernden Möglichkeiten in stetigen Wirklichkeiten zu befestigen.

Von denen freilich, die ihr unaufhörliches Rennen im Kreise mit dem
allgemeinen Fortschritt verwechseln, hören wir's anders. Sie klagen über
die Müdigkeit der Theaterführer und behalten äußerlich recht, weil viel-
leicht nie vorher so zahlreiche Anderungen in den Intendanten- und
Direktorenstellen vorgekommen sind wie im letzten Winter oder kurz zuvor.
Nur selten war dabei der Tod oder eine jahrzehntelange Tätigkeit im
Spiele, die nach der Pension lechzte. Die Herren hatten's meist nach
wenigen Spielzeiten satt und traten ins Privatleben oder tauschten die
Plätze. Nicht allein Otto Brahms Tod legt die vornehme Bühne des
Lessingtheaters in andre wohlerprobte HLnde und nicht allein die Künstler-
Sozietät wird einen neuen Zug in das Berliner Antlitz bringen; eine
ganze Reihe alter und neuer Berliner Paläste spielt „Kämmerchen ver-
mieten", eine ganze Reihe von Theaterleitern zieht sich zurück, andre
rücken vor oder vereinigen aus Geschäftsgründen zwei und drei Stätten
zu anderthalb und zwei Personalen. Müdigkeit ist aber daran nicht
zu spüren, und die Nnruhe, die drinzustecken scheint, hat nur nebensächliche,
jedenfalls nicht künstlerische Nrsachen. Denn man stellt keine verblüsfenden
Programme mehr auf, man weiß, was man kann und demzufolge auch,
was man will. Doch Berlins Theatertreiben braucht nicht einmal für
allgemeine Betrachtungen herangezogen zu werden, weil sein Publikum
gar kein örtlich irgendwie individualisiertes, begrenztes Gepräge hat.
Hier treffen sich in den Theatern meist zugereiste neugierige Handelsleute
und nicht die im deutschen Boden verwurzelten Freunde der Kunst, die
einen Herzschlag belauschen wollen.

Auch aus den mancherlei Verschiebungen im übrigen Deutschland spricht
kaum eine Müdigkeit. Ihre Leiter haben gewechselt die beiden größten
Hamburger Theater^ Wiens Burg steht im Zeichen des Provisoriums,
München, Frankfurt, Leipzig, Breslau und Köln sind neu besetzt; Ver-
änderungen ähnlicher Art gingen und gehen vor in Mannheim, Straß-
burg, Darmstadt, Braunschweig, Meiningen, Koburg, Gera, Magdeburg,
Graz und anderswo. Aber so wackelig diese höfischen oder städtischen Posten
auch sind, sie sind's meist, weil diplomatische Fähigkeiten in
Frage kommen. Die immer inniger werdenden Kartellierungen der
Schauspieler und Sänger mit den Mitgliedern des Chors und des Orchesters
ftellen den Theaterleiter jetzt in erster Reihe vor einen sozial homo-
genen Block und erst in zweiter vor künstlerisch-ehrgeizige Naturen. Das
erfordert nicht nur eine neue Linstellung seines Blickes, sondern eine neue
Begabung. Seine Lage wird dadurch noch schwieriger, daß seine Be-
hörde ihn lieber abschiebt als ihn unterstützt, wenn irgendeine Unzu-

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