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Kunstwart und Kulturwart — 27,1.1913

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Heft 6 (2. Dezemberheft 1913)
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Avenarius, Ferdinand: Vom Feste der Ruhe
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Kuntze, Friedrich: Dum calculat Deus ...
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https://doi.org/10.11588/diglit.14287#0582

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Ruhe hören wrr etwas davon, und sei es nur in einern Geflüster, Gewisper
und Geträum. Stimmen aus Heidenzeiten, Stimmen aus erstem Menschen-
geisterwachen. Und es mag sein, daß in Rudimenten in uns sogar aufbegehrt
und versagt und wieder redet und fragt, was noch älter ist.

T

Nur in der Ruhe kommt der Mensch — auch hier wieder ist unsre
Sprache feinfühlig wie ein Poet und denkt für uns: „zu s i ch". Aber
unser Ich besteht ja nicht nur aus dem Ererbten, auch aus dem Erworbenen.
And: dem uns Aufgedrängten. Mit der Aufdringlichkeit des Körper-
haften hämmert sich dies Draußen des Heute durch unsre Sinne ins
Hirn: ich bin das Wichtigste, ich, denn ich bin hier. Denken wir an
die Großstadt, wo das Draußen am lautesten ist, weil es sich hier im Kampfe
ums Dasein ja geradezu entwickelt hat an dem Grundsatz, sich vor-, sich aufzu-
drängen. Alles spricht da vom Heut, alles ist im Heut, du kannst ihm kaum
ausweichen, diesem Heut, das doch vielleicht morgen schon gleichgültig,
übermorgen schon abgelöst und abgetan ist. Was erwirbst du davon,
um es fortan zu besitzen? Nur das kannst du erwerben, was du in
einer Einheit verbinden kannst mit dem, was schon in dir war, was du
schon hattest. Das Äbrige hat dich. Melleicht nur wie eine Angewohn-
heit, vielleicht wie ein Schmarotzer, vielleicht wie ein Dämon. Du glaubst
dich stärker geworden durch das Aufgedrängte und fütterst es doch mit
dir, und wenn es erregt dich verbraucht, meinst du, du betätigtest deine
Kräfte, du lebtest dich. ^

Ein Fest der Ruhe ist kein Schlaf. Am Feste der Ruhe ist alles in
uns wach. Am Festtag der Ruhe sind wir von den Zudringlichkeiten des
Heute srei, aber nicht von seiner bescheidenen Gegenwart. And mit
ihr setzt sich in freundlichem Ich und Du auseinander, was in uns ist.
Dann mag sich lösen, was nicht zueinander gehört. Dann wird sich die
HLnde reichen, was beieinander bleiben mag, um den Reigen der Freude
zu schreiten oder in Seligkeit vor ewiger Schönheit zu knien. Dann mag
das Heut und Einst, das Fremd und Ligen auch die Bünde schließen,
die fruchtbar sind.

Gegenwart, die du restlos neue Maschinen ersinnst und erzeugst, um
Zeit zu sparen, Gegenwart, in der trotzdem jedes Iahr jeder weniger Zeit
hat — halte die Feste der Ruhe hoch! A

vum ealeulst veus ...

^^s gehört bestimmt das Wort des Reichsfreiherrn von Leibniz: äum
E^^eulsulut Osus, tit muuäus — wie Gott rechnet, wird die Welt — zu
^o^denen, sür die des alten Erdmann Kennzeichnung zu Recht besteht:
es gebe Aussprüche von Leibniz, die wie ein Blitz eine Welt durchhellten.
In diesem Wort liegt in eingefalteter Weise all das beschlossen, was
folgen wird; es sei somit gleich zuerst genannt — so wie es ja auch wohl
am längsten von allem, was hier gesagt werden kann, im Gedächtnis bleiben
wird. Will man aber nur auf das sehen, was aus dieser unendlich reichen

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