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Kunstwart und Kulturwart — 27,1.1913

DOI Heft:
Heft 3 (1. Novemberheft 1913)
DOI Artikel:
Nidden, Ezard: Krisis, Krach, Bankrott der Literaturgeschichte, [2]
DOI Artikel:
Schmidt, Leopold: Ein Chopin-Buch
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14287#0248

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wissenschaftlich aufklaren — ich verstehe diese Redewendung Professor
Meyers nicht; aber angenomnren, sie sei so wahr wie dunkel: brauchen
wir denn nicht hundert Prosessoren schon heute, um die Lebenswerte
dieses geistigen Lebens zu vermitteln? Möge die Abhängigkeit eines
Dichters von „sprachlichen Verhältnissen^ in tausend Fällen bewiesen werden
— aus diese kommt wenig an, wenn die hundert großen, ewig Unabhängigen
nicht durch die Wüste jener Untersuchungen geschleppt werden, sondern
ihr Inneres spenden dürfen. Wie dies geschehe — das Problem
der Deixis in der Kunstwissenschaft — ist eine weit vordringlichere Frage
als die Erarbeitung jener zwei „großen Erkenntnisse".

Ich kann hier nicht alle die heute übergangenen Probleme ausweisen
und noch weniger als Kritiker darlegen, welche Mittel zu ihrer Klärung
führen können. Die neue Literaturwissenschaft, die neben der alten,
nicht aus ihren Trümmern, sich erhebt, die neue Wissenschaft, welche
es abweisen wird, „Geschichte" der Literatur zu sein, da es eine solche
in wissenschaftlicher Form nie geben kann, sie wird leisten, was wir nur
fordern können. Heute — Hunderte von „fertig" ausgebildeten Studenten,
von Lehrern und allerdings: von Iournalisten bezeugen es — leistet die
Literaturwissenschaft nur einen geringen Bruchteil von dem, was die
Nation an sie zu fordern hat, und nicht den werthaftesten! Die „Anderung
der Gesinnung" aber, zu den werthaften hin, die bahnt sich an. Das war's,
wovon ich in meinem „Krisen"-Aufsatz sprach.

Viel hätte ich aber erreicht, wenn Professor Meyer fühlte, daß er mir
nicht einen kleinsten „Punkt" widerlegt. Daß er nicht einmal den Sinn
meiner Aussührungen getrosfen hat. Er weiß viel zum Lobe seiner Wissen--
schaft, was ich ihr gern gönne. Gegen den Tadel wußte er nichts
zu sagen — die kleinen Reibereien am Berufstand seiner Gegner, seine
kleinen Stiche über das Wasserkochen auf der andern Seite erwidre ich
nicht. Da geht's um Nebensachen, die Hauptsache aber, das, worüber
ich im Kunstwart sprach und worüber der Kunstwart noch oft sprechen wird,
sie ist eine der größten Hauptsachen der ganzen geistigen Kultur.

Ezard Nidden

Ein Chopin-Buch

^^^.or kurzem ist im Verlage von Schuster L Loefsler (Berlin) ein Buch
(erschienen, das alle Verehrer Chopins in hohem Grade interessieren
^^-^muß. Adolf Weißmann unternimmt darin den Versuch, den
Meister, der heute mehr denn je der pianistischen Welt gehört, den eigentlich
wohl erst unsre Zeit so recht in seiner Bedeutung erkannt hat, vom Stand-
punkt des modernen Musikers und Historikers aus zu bewerten. Er tut
es, indem er unter Weglassung alles Nebensächlichen, Akzidentellen den
Wesenskern der künstlerischen und menschlichen Persönlichkeit herausschält
und in vielfach neuer Beleuchtung zeigt. Nnd er tut es auf seine Weise.
Man muß sich deshalb, will man dem Buch gerecht werden, zuerst mit der
Persönlichkeit des Versassers befreunden.

Mir ist da der Ausdruck „Persönlichkeit" aus der Feder geschlüpft. In
der Tat glaube ich, daß man Weißmann als eine solche unter den heutigen
Mufikschriftstellern bezeichnen darf. Er hat sich zuerst durch eine Bizet-
biographie bekannt gemacht; dann folgte „Berlin als Musikstadt", ein
Buch, das nichts weniger als ein trockenes Geschichtskompendium ist und
 
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