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Kunstwart und Kulturwart — 27,1.1913

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Heft 4 (2. Novemberheft 1913)
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Lose Blätter
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14287#0373

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horchte in das Branden und sah Seehausen die Treppe zum Podium
stürmen.

Sie standen sich gegenüber. Seehausen brüllte. Er hob die Faust.
Aber ehe sie herniederfahren konnte, stieß ihn Elias in das Gesicht, daß
er zurück und über das Podium schlug.

Lin Brausen, ein Toben von unten. Ein Bierglas flog an Elias'
Kopf vorbei. Da faßte ihn eine ftarke Hand und zog ihn nach hinten in
die Kulissen.

Vom tzeute fürs Morgen

Wenn der Vorhang nieder-
geht

Auch etwas zu den Totenfesten

esV^enn es läutet und der Vorhang
^-^fällt, wenn es Zeit ist, abzn-
treten von der Bühne, da ist es son-
derbar, wie arg verschieden sich die
Menfchen stellen.

Ein Erschrecken, eine Äberraschung
— darin sind sie alle gleich. Hinter
dem Lrschrecken aber biegen sich die
Wege auseinander:

Da gibt es welche, die sich stellen,
als hätten sie das Klingelzeichen nicht
gehört. Sie reden weiter und sie
fechten mit den Armen, aufgeregt
und leer. Aber eisern geht der Vor-
hang nieder und schneidet mitten
durch die hohl gewordnen Worte. Das
Wort zerschellt und seine Scherben
kollern ins Parkett. Mit gezücktem
Bleiftift klopfen Kritiker daran herum
und schütteln ihre Köpfe: „Seht, so
hohl war dieser Mensch." Änd seine
vollen Worte haben sie vergessen.

Dann sind da andre, welche nach
dem Klingelzeichen eilig vor den
Vorhang rennen. Ihn im Rücken,
spielen sie voll Eifer weiter. Aber
ausgeschnitten sind sie aus der
Lebensszene, drin sie eben noch ge-
standen. Keine Nerven gehen mehr
hinüber und herüber. Mitleidlos
zerbricht der Schall ihrer Rede an
der starren Vorhangfläche. Fruchtlos
prasselt er ins Publikum.

Wieder andre sah ich, die gebär-
deten sich rasend, wenn das Ab-

gangszeichen auf der Lebensbühne
für sie schrillte: „Nein," schrien sie,
„ich will nicht, und ich will nichtl"
Nnd sie gingen mit dem Degen auf
den Vorhang los. Seine Schwere
suchten sie mit ihrer Degenspitze auf-
zuhalten. Wie eine Gerte bog der
Vorhang ihren Degen und zerbrach
ihn. Beisall klatschte vom Parkett
herauf: Sie hielten diesen letzten
Kampf zum Stück gehörig und waren
voll des Lobes über solch lebenswah-
res Spiel.

Nnd wieder andre sah ich, die
verwechselten das letzte Klingel-
zeichen mit dem ersten. „Ah," sagten
sie und richteten sich auf, „nun be-
ginnt das eigentliche Spiel." Nnd
den Vorhang hielten sie für einen
schlechten Witz des Maschinisten.
Schreckhaft aber weiteten sich ihre
Augen, wenn sie sahen, daß es Ernst
war. Nnd in der zweiten Reihe des
Parketts zerdrückte einer eine Träne.

Dann sah ich wieder einen, der
hatte sich das Beste seiner Rolle und
das Wichtigste, was er zu sagen
hatte, allzulange aufgespart. Der
Vorhang schnitt es ihm vom Munde,
und sein Bekenntnis sing sich zwi-
schen den Kulissen und mußte nun
mit Fledermäusen unterm Dache des
Theaters flattern.

Nnd endlich sah ich einen, der
zuckte nicht zusammen, als das Klin-
gelzeichen kam. Der zuckte nur ein
wenig mit den Schultern und stieg,
gelassen lächelnd, über die Rampe
ins Parkett. Dort setzte er sich fried-

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