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Kunstwart und Kulturwart — 27,1.1913

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Heft 3 (1. Novemberheft 1913)
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Vom Heute fürs Morgen
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Unsre Bilder und Noten
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https://doi.org/10.11588/diglit.14287#0310

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töten, aber mit Unrecht die Frei- Einen Sieg, den sie niemals errin--

heit in alledem, wodurch sie wahr-- gen wird, sie werde denn Mutter

haft lebendig macht. Diese Freiheit in großem Sinne.
muß sich die Frau zurückerobern! Gerhart Hauptmann

Unsre Bilder und Noten

ans Neumanns „Herbst am Starnbergersee" ist eins von
H^jenen Kunstblättern, die noch vor wenigen Iahren keine Zeitschrist
^/ihren Lesern hätte bieten können, die mit einer größeren Zahl von
Abonnenten rechnen muß. Man hätte solch einen Farbenholzschnitt nicht
„verstanden", nicht genossen, weil damals die Vorbedingung zu solchem
Eingehen nur bei einem ganz kleinen Kreise zu sinden war: das Ein-
sühlen ins Technische. Ein farbiger Originalholzschnitt ist ein Werkchen,
bei dem jeder Äbzug ein Original ist: jede Platte wird vom Künstler nur
für diesen einen Druck eingefärbt und so oder so gedruckt, so daß kein
Abzug dem andern in allen Linzelheiten gleicht: der Künstler „malt"
gleichsam einen jeden einzeln, wenn er auch statt unmittelbar auss Papier,
aufs vermittelnde Holz malt. Nur die starken Flächen und Linien bleiben sich
gleich, die zarten und verschwimmenden nicht einmal immer; denn diese
kann auch der Pinsel aus den Holzstock bringen nnd der Stock weitergeben aufs
Papier. Auf unserm Blatt ist es mit einem steindruckähnlichen Verfahren
gelungen, einen Abzug sehr getreu zu vervielfältigen. Man vergleiche
derartige Blätter mit den üblichen Farbendrucken, den Vierplatten-Auto-
typien. Hier scheint nichts Mechanisches dabei, wir glauben die Farbe
zu erhalten, wie sie getuscht und gewischt war.

„Herbst" — ist das auch das „Thema" des Bildes von Martin
Brandenburg? Insofern schon, als die Stimmung hier die der
„Feier der Natur" nach Hebbels Herbstbild ist: „Dies ist die Lese, die sie
selber hält, denn heute löst sich von den Zweigen nur, was vor dem milden
Strahl der Sonne fällt." Aber der Unterschied zwischen dichterischem und
bildnerischem Schauen ergibt nun dies: dem Dichter ist die Vorstellung
vom Blätterfall aus beseeltem Leben in sanften Tod eine Vorstellung, die
als solche vorübergleitet, und ihm als eigentliche Danergabe ihr Ge-
fühl hinterläßt, den Maler jedoch lockt sie zu unmittelbarer Gestaltung.
Ganz und gar nicht immer zu seinem Glück, wir lassen auch dahingestellt,
ob Brandenburg restlos geben konnte, was er geben wollte. Wer ihm
aber gerecht werden will, muß bereitwillig sein, das Eigentümliche
in sich nachznbilden, um dessen Darstellung er rang: eben das Nieder-
schweben von noch lebendigen, langsam entschlummernden Blattgeistern
zu einem sansten Sichauflösen am mütterlichen Lrdengrund.

Line andre Art phantastischer Kunst zeigt uns Dürrwangs gra-
phisches Blatt „Stille Fahrt". Dürrwang hat ein eigentümliches Be-
streben, dekorativ-ornamentale Wirkungen mit solchen traummäßigen
Schauens zu verbinden. Traummäßig ist auch die „stille Fahrt" derer
im Kahn, aus die wir von einem Nirgendwo-Land durch ein aus Erden-
heim unmögliches leuchtendes Lanbgehänge blicken. Ls ist wirklich
Traumstimmung in diesem Blatt, nicht nur erreflektierte, nein, innerlich
geschaute. Wer spürt sie nicht, der sich nicht absichtlich der gewünschten
künstlerischen Suggestion widersetzt?

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