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Kunstwart und Kulturwart — 27,1.1913

DOI Heft:
Heft 3 (1. Novemberheft 1913)
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Nidden, Ezard: Krisis, Krach, Bankrott der Literaturgeschichte, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.14287#0246

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2

/^ndlich! So ist es also doch gelungen, einmal einen Literaturwissen--
^schafter auf den Kampfplan zu locken, und der Streit der Geister
kann anheben. Doch schon am Beginn der Meyerschen Aussührungen,
wo sie sich der Sache selbst zuwenden, stocke ich: diese drei Punkte
sind es nicht, auf die sich meine Meinung über die Wissenschaft von
der deutschen Literatur bringen läßt. Zweifelhast genug, ob überhaupt
„Punkte", seien es drei oder sechs, das Lrgebnis einer systematischen
Äberschau sein könnten. Gehen wir aber zunächst auf die Punkte Prof.
Meyers ein.

s. Ob die wenigen Auserwählten heute größer oder geringer sind als
einst, weiß ich kaum, es ist mir auch nicht wichtig. Nicht glaube ich,
daß es keine Physiker und Historiker gibt, die man neben Mommsen oder
Helmholtz nennen könnte. Der Punkt bleibe beiseite, ein jeder von uns
gibt was er hat, nur der Schelm mehr.

2. Die „großen Gesichtspunkte". Auch dieses ärgerliche Wort habe ich
nicht gebraucht, so wenig wie ich „Spezialisten"reiterei betrieb. Auch
hier gebe ich Professor Meyer — als ehemaliger Berliner Student darf
ich es — Recht: Ed. Meyer, Wilamowitz, Lamprecht, Troeltsch, Harnack
stehen auf andern Höhen als wo das Schlagwort hinreicht; nicht einmal
mein vielgewandter Herr Gegner ist ein Spezialist, wie schon ein Blick
in den unfehlbaren Kürschner beweist. Doch weiter. Von Gustav Roethes
Plänen weiß ich zufällig, zufällig durch einen seiner Kollegen von Bur--
dachs Werk, zufällig besitze ich Rngers „Hamann" und kenne ich Walzels
Tätigkeit. Aber mit Ausnahme der letzteren: was haben diese Dinge,
was haben sprachgeschichtliche, mythologische, grammatische Dinge mit der
Lösung der Aufgaben zu tun, die zu lösen vorab Ausgabe der Literatur--
wissenschaft wäre? Der Aufgaben, von denen ich sprach? Nichts!
Verschieben wir erst einmal die Grundlage, dann ist es leicht, uns zu
widerlegen. Gern sei die Möglichkeit anerkannt, daß jene großen Arbeiten
bedeutenden Wert haben, gern sei dem Lobe des Gundelfingerschen Buches
beigestimmt (das ich selbst seinerzeit mit höchstem Lobe besprach), aber
wenn ich fordere, daß ein Heer den Feind im Westen schlage, so taugt es
nicht, mir zu erwidern: nun, es schlägt doch den im Osten! Nein, nicht
aus fünf Bücher und drei Männer kommt es mir an, sondern auf eine
an Tausende jährlich verabreichte wissenschaftliche Erziehung,
aus Methoden und Ziele, auf die „Gesinnung". Die Früchte
nannte ich nicht um ihrer Geschmacklosigkeit willen, sondern um den Baum
zu bestimmen, der sie trug, tragen konnte! Doch was lese ich — „selbst--
verräterisches Lob über Witkops Lyrikgeschichte", und von mir? Bleiben
wir maßvoll: was würden Sie sagen, Herr Professor, wenn ich Ihr
Lob meiner kritischen Arbeit „selbstverräterisch" fände, etwa als ob Sie
diese im stillen für literaturwissenschaftlich zukunftverheißend hielten? Bitte,
wo habe ich sie gelobt?, so würden Sie fragen. Und ich frage Sie,
wo ich jenes Witkopsche Buch gelobt habe! Nirgends habe ich's ge--
lobt, ich habe dem Herausgeber dieses Blattes gegenüber sogar seine Be--
sprechung abgelehnt, da ich schon fürchtete, daß man mir selbst aus vor--
sichtiger Besprechung des halbdilettantischen Buches, das ich allerdings
nicht nur für ein phrasenreiches Deklamatorium halte, einen Strick drehen
würde. Aber aus ungeschriebnen, ungesprochnen, ungedachten Worten mir

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